Mitternachtssport: Nachts verausgaben

16.06.2009, 00:00 Uhr
Mitternachtssport: Nachts verausgaben

© Joswig

«Mitternachtssport gibt es schon seit zehn Jahren. Dahinter steht die Idee, mittellosen Jugendlichen, die am Wochenende Freizeit haben, ein Sportangebot zu liefern, bei dem sie sich nachts auspowern können. Und gleichzeitig leer stehende Kapazitäten an Turnhallen zu nutzen», erklärt Richard Probst, Leiter des Kinder- und Jugendhauses «Geiza» und Koordinator des Angebots in Langwasser.

Basketball ist fester Bestandteil

Dass dieses Konzept bei den Jugendlichen ankommt, kann seine Mitarbeiterin Pamela Frick nur bestätigen. «Doch in gewissen Stadtteilen funktionieren verschiedene Sportarten anders», sagt sie. Fußball beispielsweise gibt es deshalb in Langwasser nur unregelmäßig. Basketball ist dagegen immer fester Bestandteil. Der Abwechslung halber wird das sportliche Angebot im monatlichen Wechsel jeweils um Volleyball, Juggern (eine Mischung aus Rugby, American Football und Ritterspiel) oder Badminton erweitert. «Das läuft wider Erwarten, dadurch, dass sich so viele unterschiedliche Menschen treffen, die sich gar nicht kennen, sehr problemlos!»

In der Halle ist mittlerweile richtig Betrieb. Aus den Lautsprechern eines mitgebrachten Ghettoblasters dröhnt ein Song von Rapper Eminem, so laut es die Membrane hergeben. Ohne Musik geht hier gar nichts. Und während Pamela Frick mit Martin Faul, einem Sportstudenten, noch die Netze für die Badminton-Spielfelder spannt, versenken bereits die ersten Basketballspieler unter lautem Johlen ihre Bälle in den Körben an der Wand. Dann fällt der Startschuss auch an der Badminton-Front: Der 17-jährige Kevin Beger drischt aus Leibeskräften mit dem Schläger auf den gefiederten Plastikball ein. Im kühnen Bogen saust der über die Netzkante, wo ihn die gleichaltrige Ilona Köppe genauso unbarmherzig bearbeitet. Nebenan liefern sich Oksana Wichevska und Kevins Bruder Patrick ein erbittertes Duell. Und ganz hinten tritt unter viel Gelächter ein Vierer gegeneinander an.

Dass sich schon Azteken und Inkas gefiederte Bälle mit Schlägern zuwarfen, kümmert die jungen Leute wenig. Auch nicht, dass es dieses Spiel in Indien bereits vor 2000 gab, wie Höhlenzeichnungen belegen, und dass es britische Offiziere im 19. Jahrhundert von dort nach England mitbrachten. Schwer vorstellbar, dass der neue Sport einst in Kirchen ausgeübt werden musste, weil zu jener Zeit nur das hohe Mittelschiff dem Federball freie Flugbahn bot, während die Zuschauer in den Kirchenbänken wie auf Logenplätzen saßen. Heute hat man andere Sorgen: «Sind die Turnschuhe hallengeeignet? Sonst gibt es Ärger mit dem Hausmeister wegen dem Sohlenabrieb», warnt Richard Probst.

Neben absolutem Rauch- und Alkoholverbot sind dies die einzigen Vorschriften, die beim Mitternachtssport befolgt werden müssen. Schläger können gratis ausgeliehen werden. Und den Spielablauf bestimmen die Teilnehmer selbst: «Man kann einfach so zum Spaß draufhauen. Aber ich spiele gern nach festen Regeln, also ein bisschen auf Kampf», grinst Selina Stauber. Prompt legt die zierliche Blondine einen Aufschlag vor, dass ihrem Partner Hören und Sehen vergeht.

Was die Jugendlichen an Badminton um Mitternacht reizt, hat unterschiedliche Gründe. Sportliche bei Ilona Köppe: «Ich will meine Gegner herauszufordern.» Kevin schätzt die Stimmung besonders: «Hier sind alle offener. Es gibt keinen negativen Druck wie beim Schulsport, keine Noten!» Außerdem findet er, dass so spät erst richtig «seine» Zeit ist. Der Meinung ist auch Selina. Selbst wenn die 15-Jährige fürs Mitmachen noch ein Jahr lang die Einverständniserklärung ihrer Eltern braucht, obwohl sie mit ihrer Schwester Vanessa da ist. Wichtig für Schüler und Auszubildende sei auch, dass es nichts kostet. Und man nur mal so zum Zuschauen kommen könne: «Man kann eine Stunde bleiben oder fünf Minuten.»

Diskoabend fällt einmal aus

Mit möglicher Kritik von Couch Potatoes aus dem Freundeskreis hat keiner ein Problem. «Fast alle meine Freunde sind hier», erklärt Kevin Beger. Und Ilona ergänzt: «Mitternachtssport ist schließlich nur einmal im Monat. Dafür kann man doch einmal im Monat den Diskoabend sausen lassen!»

Erzieherin Pamela Frick sieht noch weitere pädagogische Vorteile. «Wer sich körperlich auspowern, andere Leute treffen und neue Fähigkeiten an sich selbst kennenlernen kann, ist vielleicht weniger anfällig für das derzeit leider so populäre Komasaufen», meint sie. «Das macht man doch nur, wenn einem langweilig ist.»

Um 20 Minuten vor Eins ist in der Georg-Ledebour-Turnhalle für diese Nacht trotzdem Schluss. Und in die Disko will aus der Badminton-Gruppe keiner mehr. «Wir sind alle nur noch fix und fertig», beteuert Ilona. Oksana pflichtet bei: «Drei Stunden Sport sind wirklich ganz schön anstrengend!» Auch Patrick Begers Pläne für den Rest der Nacht sind eindeutig: «Erst mal `ne Dusche und dann ins Bett. Stimmt, morgen ist auch noch ein Tag.

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