Nach dem Abi nach Marokko

26.03.2008, 00:00 Uhr
Nach dem Abi nach Marokko

© dpa/oh

Tanger zerreißt einen: An manchen Tagen hasse ich die Stadt mit dem hässlichen Hafen. Und an anderen Tagen genießt man den Wind, während man am Strand bei einem Minztee sitzt und die Küste Spaniens sieht.

Seit September arbeite ich in einem Friedensdienst von Eirene e.V. im marokkanischen Tanger für die Association Darna. Sie kümmert sich um Straßenkinder und Jugendliche, die in Gefahr sind, auf die Straße abzurutschen. Ihre Eltern sind geschieden oder gestorben, und die Jungen und Mädchen müssen auf der Straße arbeiten, um ihre Geschwister zu ernähren.

Die Geschichten, die viele von ihnen hinter sich haben, können wir nur schwer begreifen: Kinderprostitution, Aids, Kleber schnüffeln, Gefängnisaufenthalte wegen Klauen und Todschlag.

Nun bin ich also mitten in diesem Gewusel - eine 20-jährige Freiwillige (von Betreuern und Kinder «unsere Karima» genannt) - und helfe den Kindern, ihre Freizeit zu gestalten. Der Verein Darna versucht, den Jugendlichen einen Platz in der Gesellschaft (wieder) zu geben, was sich in Tanger nicht gerade einfach gestaltet: Nur zwölf Kilometer liegt der «Traum Europa» entfernt, Drogenschmuggel und Prostitution sind hier extrem verbreitet. Tanger ist eine Hochburg der Kriminalität, des Sextourismus und der Kinderarbeit.

Im Jugendhaus, der Herberge, dem Frauenhaus, im Theater und auf der pädagogischen Farm soll den Mädchen und Jungen ein Familienersatz und eine Berufsausbildung ermöglicht werden. Im Frauenhaus etwa wird jungen Frauen, die bereits geschieden sind oder familiäre Probleme haben, eine Ausbildung als Köchin, Friseuse, Schneiderin oder Sekretärin angeboten. Es gibt Alphabetisierungskurse und Seminare über Aids und Frauenrechte.

Ich arbeite hauptsächlich im Theater Darnas: Es ist sehr wichtig für die Jungs, damit sie lernen, sich ausdrücken zu können. Außerdem finden sie hier etwas, das viele in ihrem Leben noch nie erfahren haben: Anerkennung!

Viele der Kinder kennen keine Normen, können nicht lesen und schreiben, und müssen zum Beispiel erst lernen, wie man spielt oder wie man sich wäscht. Weil sie es nicht anders kennen, regeln sie Konflikte untereinander oft mit Fäusten - oder mit Messern. So kann es passieren, dass man plötzlich selbst mit dem Messer bedroht wird - von einem ehemaligen Darna-Jungen auf dem Heimweg oder von einem betrunkenen Jugendlichen, der nicht um 21 Uhr, sondern um 22 Uhr essen will.

Das Leben in Marokko ist für eine europäische Frau nicht einfach, nicht zuletzt durch den allgegenwärtigen Chauvinismus, zu dem das Bild einer alleinreisenden Frau so gar nicht passt. Schwer ist es für mich auch, Jungs, die Darna verlassen haben, vollkommen zugedröhnt auf der Straße wiederzusehen - und zu wissen, sie nicht zurück zwingen zu können. Hier in Marokko stoße ich oft an meine Grenzen, sprachlich, mit der Mentalität, bei der Arbeit.

Doch trotz aller Probleme sind die Jungs wie Brüder für mich geworden. Sie freuen sich über alle kleinen Dinge, die man mit ihnen macht und sei es nur miteinander einen Kuchen zu backen. KATRIN HEISERHOLT