Nach Doppelmord in Gebersdorf: Familie über Gerüchte empört

Elke Graßer-Reitzner

Lokalredaktion Nürnberg und Rechercheteam

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5.12.2020, 12:49 Uhr
Freunde, Nachbarn und Kollegen haben Kerzen und Blumen am Gartenzaun des Wohnhauses der getöteten Frau abgelehnt. Auf einem Zettel haben sie ihre Trauer und ihre Wut zum Ausdruck gebracht.

© Elke Graßer-Reitzner, NN Freunde, Nachbarn und Kollegen haben Kerzen und Blumen am Gartenzaun des Wohnhauses der getöteten Frau abgelehnt. Auf einem Zettel haben sie ihre Trauer und ihre Wut zum Ausdruck gebracht.

Das beige Taxi ganz hinten im Garten neben dem Reihenhäuschen aus den 60er Jahren ist zugeschneit, wer eilig die Bibertstraße entlang läuft, würde es wahrscheinlich gar nicht bemerken. Doch Unbekannte haben zwei mit Engel und Kreuz bemalte Kerzen, weiß und rot, genau auf der Waschbetonsäule des Gartenzauns postiert, die in der Verlängerung des Wagens steht. Gelbe Rosen liegen dazwischen, auch sie mit Schnee bedeckt.

Das Taxi. Es war Sevda B.s feste Burg, ihre Einnahmequelle. Ein Symbol für ihre Stärke. Denn die in der Türkei geborene 63-Jährige hatte das Unternehmen zusammen mit ihrem Mann Musa B. (alle Namen geändert) vor Jahrzehnten in Nürnberg aufgebaut, es lief, ganz ungewöhnlich für eine ehemalige Gastarbeiterin ihrer Generation, allein auf ihren Namen.

Söhne sollten studieren können

Sevda sei eine starke Frau gewesen, noch dazu erfolgreich, sagen Familienmitglieder. Sie habe alles getan und viel gearbeitet, damit ihre beiden Söhne studieren können, sagen Kollegen aus der Branche. Man habe sie gemocht. Dass Familie B. dann aber irgendwie Probleme hatte, bekamen die Taxerer mit. "Es ging ums Geld. Musa wollte, dass sie das Taxi verkauft", sagt ein Kollege, der über zehn Jahre mit ihr befreundet war.

Das Ehepaar B. trennte sich vor über zwei Jahren. Sevda lebte weiter mit ihren Söhnen in dem Haus, das früher dem Hausmeister der Gebersdorfer Schule gehört hatte und nach seinem Tod verkauft worden war.

Musa sei handgreiflich geworden, heißt es in der Familie. Er habe es wahrscheinlich nicht verkraften können, dass seine Frau das Unternehmen führte. Jedoch ist das in der verzweigten Familie B. nichts Ungewöhnliches. Auch Sevdas Schwester betrieb ein Taxigeschäft, ebenso sind weitere Angehörige, darunter auch Frauen, mit ihren Droschken auf Nürnbergs Straßen unterwegs.

Freund wollte vermitteln

Immer wieder fuhr auch Musa Taxi. Doch wohl nicht so oft, wie es Sevda gerne gehabt hätte. Sie habe geklagt, dass er sich lieber "ins gemachte Nest" habe setzen und für den Unterhalt nicht groß habe sorgen wollen, berichten Verwandte.

Das Taxi von Sevda B. ist zugeschneit. Das Geschäft lief auf ihren Namen.

Das Taxi von Sevda B. ist zugeschneit. Das Geschäft lief auf ihren Namen. © Elke Graßer-Reitzner, NN

Oft hat er sich mit seinem Freund Erkan J. unterhalten, der mit seiner Frau und dem gemeinsamen Kind immer wieder bei Familie B. eingeladen war. Man traf sich, man feierte miteinander. Es sei der 62-jährige Erkan gewesen, der im Ehekrieg vermittelt habe, erzählen Freunde von Erkan. "Er wollte nur Gutes", sagen auch Mitglieder der Familie B. Er habe sich beide Seiten angehört und abends seiner Frau von dem Dilemma berichtet, dass Musa und Sevda ihre Sicht der Dinge nicht vereinigen konnten.

Vor zwei Wochen, an jenem Samstagmorgen, muss Erkan in seinem Taxi zusammen mit Musa zu Sevdas Haus in der Bibertstraße gefahren sein, so schildern es Kollegen. Was sie dort wollten und was dann genau passierte, ermittelt gerade die Staatsanwaltschaft. Als Sevda aus dem Haus kam, habe Musa zuerst Erkan J. mit einem Schuss aus einem Revolver getötet und anschließend auf seine flüchtende Frau geschossen, erzählen die Taxerer.

Sohn saß mit der Mutter beim Frühstück

Eine Frau aus der Nachbarschaft berichtet kopfschüttelnd, ihre Töchter seien zu dem Zeitpunkt auf der Bibertstraße unterwegs gewesen und hätten gesehen, wie der 66-Jährige Sevda B. mit einem Kopfschuss niedergestreckt habe. Auch Sevdas Sohn hat die grausame Tat durchs Küchenfenster mit ansehen müssen. Er war zuvor mit seiner Mutter beim Frühstück gesessen, als Erkans Taxis vorfuhr.

Die Bibertstraße war nach der Bluttat weiträumig abgesperrt.

Die Bibertstraße war nach der Bluttat weiträumig abgesperrt. © NEWS5 / Bauernfeind, NEWS5

Die genauen Hintergründe versucht die Staatsanwaltschaft gerade aufzuschlüsseln. Musa B., den die Polizei kurz nach der Tat in der Bibertstraße festgenommen hatte und der in Untersuchungshaft sitzt, hat sich bislang noch nicht zum Geschehen geäußert. Woher er die Waffe hatte, ist völlig offen. Er habe weder eine Waffenbesitzkarte noch einen Waffenschein besessen, sagt Oberstaatsanwalt Thomas Strohmeier.

Immer auf den guten Ruf bedacht

Die Familie der Getöteten ist empört und wütend darüber, dass es sofort nach dem Mord hieß, Sevda B. habe ein Verhältnis mit Erkan gehabt. Dies sei absolut falsch, Sevda würde sich im Grab herum drehen, wenn sie dies hörte, sagt eine junge Frau aus dem engsten Verwandtenkreis, die mit dabei war, als die Leiche vorbereitet wurde für die Überführung in die Türkei zur Bestattung. Sevda sei immer auf ihren Ruf bedacht gewesen, ein Verhältnis wäre sie nie eingegangen.

Polizisten fanden den mutmaßlichen Schützen ganz in der Nähe des Tatortes in der Bibertstraße.

Polizisten fanden den mutmaßlichen Schützen ganz in der Nähe des Tatortes in der Bibertstraße. © NEWS5 / Bauernfeind, NEWS5

Die Anwohner in der Bibertstraße reagieren zurückhaltend auf Fragen nach der 63-Jährigen. Sevda seine eine "angenehme Nachbarin" gewesen, sagt eine junge Frau. Wie geht der 4300 Einwohner zählende Stadtteil mit der furchtbaren Bluttat um? Bürgervereinsvorsitzender Roman Wenzel kann da wenig Auskunft geben: "Man hört nichts, man sieht nichts, und wegen Corona bekommt man auch nichts mit."

Eine Insel der Glückseligen

Gebersdorf sei im Hinblick auf Kriminalität stets eine "Insel der Glückseligen" gewesen, sagt Wenzel. Beschwerden über Lärmbelästigungen nach einer Grillfeier im Sommer sei das Herausragendste gewesen. Im nahen Kindergarten "Regenbogen" haben die Erzieherinnen noch nicht mit den Jungen und Mädchen über das Verbrechen sprechen müssen. Am Tag der Tat war dort zu, selbst Kinder, die in der Nähe des Tatorts wohnen, haben die Morde bisher nicht erwähnt.

Doch die Opfer sind in den Herzen von vielen Menschen. Am Zaun von Sevda B.s Haus bilden in der Dämmerung Grabkerzen ein Lichtermeer. Nachbarn, Freunde, Kollegen haben sie hingebracht, Rosensträuße und Adventsgestecke dazwischen drapiert. Mit roter Schleife hängt ein Blatt Papier an einer Holzlatte. "In Gedenken an die Betroffenen. In Trauer und Wut", steht darauf. Gerichtet ist der Zettel auch an "alle Betroffenen und Überlebenden von #Männergewalt".