Nicht suchen, sondern finden

19.12.2006, 00:00 Uhr
Nicht suchen, sondern finden

Jeder weiß, dass kleine Geschenke die Freundschaft und große die Liebe erhalten. Doch je näher das Weihnachtsfest rückt, desto größer wird oft der Frust. Die Zeit läuft, aber man steht noch immer mit leeren Händen da.

Es fehlt an Ideen, so viel man sich auch den Kopf zerbricht. Alles bisher Geschenkte scheint ausgelutscht. Schließlich kann man nicht schon wieder ein Album mit Fotos der Kinder unter den Christbaum legen. Je länger eine Partnerschaft dauert, desto schwieriger wird es, den anderen mit einem originellen und mit viel Liebe ausgesuchten Geschenk zu überraschen. Ein wahres Dilemma! Was also tun? Sich weiterhin Stress machen, einen Verlegenheitskauf tun oder ganz verzichten?

«Gerade an Weihnachten gehört Schenken zum Ritual. Es ist eine Geste der Liebe“, stellt Psychologin Pedra Stumpf fest. «Das Fest ohne glänzende Augen ist schwer vorstellbar“, stimmt ihre Kollegin Vita Kolvenbach zu. Außerdem gerate, wer nichts schenke, unter sozialen Druck. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Gratwanderung zwischen Pflicht und Kür.

Zum Glück gibt es eine Art «Einmaleins des Schenkens“. Dessen wichtigste Regel mutet beinahe simpel an, denn sie lautet: «Dem anderen eine Freude bereiten!“ Die Nürnberger Stilberaterin Roselie Herrmann erläutert: «Verabscheut man beispielsweise bestickte Deckchen, der zu Beschenkende findet sie aber ausgesprochen schön und wünscht sie sich sogar - dann soll er sie auch bekommen! Es geht nicht darum, was einem selbst gefällt.“

Keine Dessous, keine Kochtöpfe

Und schon ist die Expertin in Sachen Geschmack bei der zweiten Regel: «Mache niemals körpernahe Geschenke!“ Vor allem Dessous seien heikel. «Da liegt der Verdacht nahe, dass der Schenkende mehr an sich selbst gedacht hat“, werden wir aufgeklärt. «Kochtöpfe“, ergänzt Roselie Herrmann, «könnte man übrigens auf die gleiche Ebene stellen.“ Die Ausnahme von der Regel nennt die Stiltrainerin auch: «Wenn solche Dinge auf dem Wunschzettel stehen, darf man sie selbstverständlich auch verschenken!“

Beherzigt man die strengen Benimmregeln, verbietet sich überraschenderweise auch das Verschenken von Parfüm. «Es sei denn, es wird ausdrücklich gewünscht, und zwar mit exakter Angabe der Duftnote.“ Denn fehlt sie, kann es ins Auge gehen - möglicherweise verabscheut die beschenkte Person ausgerechnet diesen Duft. Eventuell haben sich auch ihre Vorlieben geändert.

Dritter Eckpunkt: Vorsicht bei Geldgeschenken! «Nur für Jugendliche sind sie ideal. Zumal, wenn man sie an einen Zweck bindet wie den Führerschein oder den Urlaub“, sagt Roselie Herrmann. Sie verweist dennoch auf die unendlich vielen Möglichkeiten, Geldscheine dekorativ zu falten, um sie anschließend an einen Tannenzweig oder einen Blumenstrauß zu hängen. «Schon erhält das Ganze eine persönliche Note!“

Letzter Punkt im Exkurs - die so genannten SOS-Geschenke für Männer. «Socken, Oberhemd und Schlips wurden in alten Tagen nur all zu gern verschenkt. Doch wenn es sich um ein Stück von auserlesener Exklusivität und Qualität handelt - nur zu! Damit kann man auch heutzutage richtig Freude bereiten!“

Schön winken - mit dem Zaunpfahl

Angesichts des schwierigen Terrains empfehlen sich jedenfalls rechtzeitige Überlegungen. «Wer dem anderen aufmerksam zuhört, erfährt dessen mögliche Wünsche“, macht Vita Kolvenbach Hoffnung. Leider soll es Männer geben, bei denen nur der Wink mit dem Zaunpfahl fruchtet. «Wenn man weiß, dass sich der Partner allein schwer tut, ist gegen Hinweise nichts zu sagen“, beruhigt die Psychologin. Natürlich könne es passieren, dass der Tipp in Vergessenheit gerät. Dann sei die Enttäuschung groß und der Frust programmiert. Ergo: besser nicht darauf spekulieren und sich überraschen lassen, was unterm Christbaum liegt.

Doch manchmal klappt es - die Wünsche werden auf einer Liste sorgsam notiert oder fest im Hinterkopf registriert. So erübrigt sich beim Gang durch die Läden die verzweifelte Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Nicht suchen, sondern finden sei ohnehin die bessere Vorgehensweise, glaubt Vita Kolvenbach. Die zweifache Mutter und stolze Oma von zwei, demnächst sogar von drei Enkelkindern schwört selbst auf die Entdeckung im Vorbeigehen.

«Wer am erfolgreichsten unter Druck handelt, der saust vermutlich erst kurz vor Weihnachten los - und wird trotzdem auf Anhieb fündig“, räumt die Nürnberger Psychologin ein. Fakt ist aber: Die Mehrheit dürfte gut beraten sein, Streifzüge frühzeitig zu starten, um zwanglos Ausschau halten zu können. Ein sichereres Mittel gegen Weihnachtseinkaufsstress gibt es nicht, obendrein macht es Spaß, in Ruhe zu stöbern.

Nicht zu teuer, denn teuer verpflichtet

«Ein Geschenk soll nicht zu teuer sein“, rät Stilberaterin Herrmann. «Wenn man zu tief ins Portemonnaie greift, kann das beim Beschenkten Schuldgefühle auslösen“, zeigt Psychologin Vita Kolvenbach mögliche Konsequenzen auf für den Fall, dass einer im Eifer übers Ziel hinausschießt. «Der Beschenkte fragt sich mit Sicherheit: Was wird jetzt von mir erwartet? Womöglich“, so die Psychologin, «wird so eine Spirale in Gang gesetzt, ähnlich wie bei Einladungen.“ Roselie Herrmann verweist auf die gängige Praxis, dass sich innerhalb von Freundeskreisen meist ein Preisrahmen eingebürgert habe. «Wird er übertreten, beschämt man sein Gegenüber“, glaubt auch sie.

Weil der Sinn des Schenkens nicht darin besteht, Gaben in Heller und Pfennig aufzurechnen, genügen schon Kleinigkeiten, um Aufmerksamkeit zu zeigen. «Ich habe an dich gedacht! Du bist mir wichtig!“ - das besagen ein Buch, eine schöne Flasche Wein oder eine ausgesuchte Schokolade. Der Renner, ist von Roselie Herrmann zu erfahren, seien heuer Hörbücher.

Unschlagbar ist natürlich Hausgemachtes mit Herz. Ein Beispiel aus der privaten Ideenkiste der Psychologin Vita Kolvenbach: Eine Freundin, die im Kirchenchor singt, bekam gegen ihre Eishände bei den Chorproben selbst gestrickte Pulswärmer. Die kosteten kein Vermögen, aber sie machten glücklich! Und genau darum geht es ja. «Gerade bei Kindern liegt die Gefahr nahe, sie mit Reizen zu überfluten“, gibt Vita Kolvenbach zu bedenken, weil außer den Eltern natürlich auch alle Onkel, Tanten, Omas und Opas den Gabentisch decken möchten. «Besser ist es, die Eltern zu fragen, um dann zusammenzulegen - für das erträumte Fahrrad beispielsweise“, rät die Psychologin.

Ihr i-Tüfpelchen erhalten all die genannten und ungenannten Sachen schließlich durchs Verpacken. «Das A und O ist dabei das Papier“, sagt die Stiltrainerin. «Es soll zum Charakter des Geschenks passen und muss unbedingt neu sein. Und: Hände weg von Zellophan!“

Zeit zu verschenken, das ist die schönste Alternative zu materiellen Dingen. So können Omas Gutscheine fürs Babysitting ausstellen. «Kinder, die alles haben, freuen sich bestimmt über einen Tag im Erlebnisbad oder den Besuch im Nürnberger Theater der Puppen“, regt Roselie Herrmann an. Aus einer CD wird ein richtiges Erlebnisgeschenk, wenn man gleich noch die Karten für das Livekonzert ordert, das man sich irgendwann und irgendwo zu zweit anhört. Vom Tanzkurs über ein gemeinsam verbrachtes Wellnesswochenende bis hin zum Ausstellungsbesuch sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Solche bleibenden Erinnerungen sind immer die kostbarsten Geschenke!

Möchte jemand ein Hirschgeweih?

Abschließend noch ein Wort zum anderen Extrem, also Geschenken, die keinerlei Gegenliebe auslösen. So was soll vorkommen! «Selbst über das scheußlichste Hirschgeweih darf man nicht meckern. Man muss aber auch nicht sagen, das gefällt mir wahnsinnig gut“, meint Roselie Herrmann. In einem derartigem Fall Freude zu heucheln, davon hält auch Psychologin Kolvenbach nichts. «Die Lüge kommt rüber“, ist sie sich sicher. Fest steht für die beiden unterschiedlichen Expertinnen, dass man sich trotzdem bedanken muss. Für die Zeit und die Mühe nämlich, die der andere investiert hat. Vielleicht hat er sein Herzblut gegeben, um das Richtige zu finden? Traurig genug, wenn das alles umsonst war.

Aufregend ist schenken und beschenkt werden allemal. Gefühle gehen hin und her. Man schwankt zwischen Hoffen und Bangen. «Und nach der Bescherung“, so Vita Kolvenbach, «sagen ein Lächeln oder eine Umarmung mehr als Worte . . .“

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