Nürnberger Menschenrechtspreis 2021 geht an chinesische Whistleblowerin
1.3.2021, 15:06 UhrNach dreieinhalbstündiger Sitzung einigte sich die hochkarätig besetzte Jury auf den Preis für die 44-Jährige, die seit Juni 2019 in Schweden lebt und dort Asyl erhalten hat. Die Verleihung der mit 15,000 Euro dotierten Auszeichnung bringe sie damit nicht zusätzlich in Gefahr, stellte Oberbürgermeister Marcus König fest. Er habe sie am Sonntagabend telefonisch informiert, sie nehme, berichtete er, den Preis gerne an.
In "Umerziehungslager" festgehalten
Die Kasachin war im Kreis der Jury intern nominiert worden. Sie gehört wie die Uiguren zu den Minderheiten im einstigen Ostturkestan. Ursprünglich als Staatsbeamtin tätig und mit der Leitung mehrerer Vorschulen betraut, wurde sie 2017 als Ausbildung in eines der "Umerziehungslager" zwangsrekrutiert und dort auch festgehalten. Ein Jahr später kurzfristig und überraschend freigelassen, wurde sie alsbald erneut interniert und unter anderem auch gefoltert. Allerdings gelang ihr die Flucht nach Kasachstan. Dorthin hatten sich zuvor bereits ihr Mann und ihre beiden Kinder in Sicherheit gebracht.
Aus unmittelbarer Anschauung und Einsicht in das Lagersystem und die Repressionsmaschinerie schilderte sie in Interviews mit der Autorin Alexandra Cavelius unfassbare Verbrechen - und ordnete diese in die globale Strategie des Regimes der kommunistischen Partei ein. Das daraus entstandene Buch "Die Kronzeugin" erschien im vergangenen Jahr.
Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch werden in den verharmlosend als Berufsbildungszentren titulierten Lagern bis zu einer Million Musliminnen und Muslime gewaltsam festgehalten. Folter, Gehirnwäsche, Vergewaltigung und die erzwungene Einnahme von Medikamenten und Drogen seien an der Tagesordnung. Schon Kinder werden drakonisch bestraft, wenn sie nur ihre Muttersprache benutzen.
Permanente Bedrohung
"Trotz permanenter Bedrohung und Einschüchterungsversuchen habe sie unerschrocken Zeugnis abgelegt und sich mit bewundernswertem Mut für die muslimischen Minderheiten in China eingesetzt", würdigt König ihr Engagement. Die Jury hofft, "dass die Öffentlichkeit, die der Preis mit sich bringt, Sayragul Sauytbay den nötigen Schutz bietet, ihre Arbeit in Sicherheit fortzusetzen", heißt es in der Begründung.
Dabei wolle die Jury mit diesem Beispiel das Augenmerk exemplarisch auf die Verfolgung von Minderheiten in vielen Teilen der Welt lenken, erläutert Professor Hilal Elver. Auch im Rahmen des Nürnberger Menschenrechtspreises werde das drückende Los von vielen Minderheit damit erstmals zum Thema gemacht. Schließlich wollte die Jury aber auch das mutige Eintreten von Frauen für die Menschenrechte würdigen - wobei der Nürnberger Preis bisher an fünf Frauen und zehn Männer verliehen wurde.
Die Stadtspitze baue darauf, dass die Preisverleihung die Städtepartnerschaft mit Shenzhen nicht beeinträchtigt. "Wir pflegen freundschaftliche Beziehungen, und unter Freunden muss es möglich sein, Wahrheiten auszusprechen", betont OB Marcus König. Gerade vor dem Hintergrund der eigenen deutschen Geschichte "dürfen wir hier nicht schweigen, auch nicht aus falscher politischer oder wirtschaftlicher Rücksichtnahme". Schließlich seien die Menschenrechte unveräußerlich, universal und unteilbar.
Nach dem regulären Turnus wäre die Auszeichnung im kommenden September im Opernhaus verliehen und mit einer großen "Friedenstafel" gefeiert worden. Angesichts der Corona-Pandemie erscheine es allerdings unvertretbar, eine solche Veranstaltung mit ein paar tausend Teilnehmern durchzuführen, stellt Martina Mittenhuber, die Leiterin des Menschenrechtsbüros, mit Bedauern fest.
"Uns ist es wichtig, den Preis und das Thema breit in die Zivilgesellschaft hineinzutragen" und es also nicht bei Zeremonien in kleiner Runde zu belassen. Als neuer Termin wurde daher der 15. Mai 2022 ins Auge gefasst. Dann soll auch das übliche Begleitprogramm mit Begegnungen, Besuchen in Schulen und einem internationalen Kongress möglich sein.
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