Nürnbergs Herr der Nagetiere
01.02.2013, 13:29 Uhr
Es tippelt, raschelt. Von irgendwoher ist ein Kratzen zu hören, dann ein Nagen. Wo genau die Geräusche ihren Ursprung haben, ist nur schwer auszumachen. Zumindest für den Laien. Zwischendurch scheint sich in einem der mehr als zehn riesigen, zum Teil verglasten Käfige etwas zu bewegen. Im nächsten Moment steht alles still.
Björn Jordan weiß genau, wo er hinschauen muss. Oder hingreifen. Für Fotos langt er tief ins Stroh oder in ein hohles Holz — und bringt ein winziges Tier ans Licht, eines seiner Nagetiere. Jordan teilt seine Wohnung in Zerzabelshof mit mehr als 40 Nagern. Die kleinen Tiere haben hier unter dem Dachboden ihr eigenes Reich, zwei Stockwerke über der Erde.
Das Zimmer, das die vielen Winzlinge bevölkern, ist sauber. Es riecht wie in einer Tierhandlung, aber weniger intensiv. Auf einem Regal liegt eine Packung Karotten, „extra guter Geschmack“ steht darauf. „Das ist aber Zufall“, sagt Jordan. Und trotzdem: Wie viel ihm die Nagetiere wert sind, zeigt schon die viele Zeit, die der 31-Jährige in sein Hobby investiert — täglich mindestens 30 Minuten.
Wobei Hobby in Jordans Fall fast nicht mehr zutrifft. Nicht nur, weil Björn Jordan nahezu alles über Nagetiere weiß. Sondern auch, weil er hier unter seinem Dach keine Goldhamster oder Kaninchen hält, sondern Kleine Wüstenspringmäuse oder Sandratten. Seltene Tiere, die Jordan auch züchtet.
Hornhaut gegen Nagerbisse
Über die Kleine Wüstenspringmaus hat er sogar ein Buch verfasst. Sanft hält er den Nager mit den schwarzen Knopfaugen und den seltsamen Gliedmaßen in seiner Hand. „Sieht ein bisschen aus wie eine Mischung aus Tyrannosaurus Rex und Känguru“, nimmt Jordan gleich vorweg. Tatsächlich hat die Kleine Wüstenspringmaus langgliedrige Hinterfüße, die bis zu 64 Millimeter lang werden. Dagegen sind die Vorderfüße stark verkürzt.
Vorsichtig setzt Jordan die Maus, die in kurzer Zeit vor Nervosität zweimal zubeißt, zurück in ihren Käfig. Dort macht das Tier zwei große Sätze und ist verschwunden. Von den Bissen spürt Jordan aber wenig. „Hornhaut“, sagt er und grinst. „Die hat jeder Nagetierzüchter“, ergänzt der Vorsitzende des Vereins Bundesarbeitsgruppe Kleinsäuger (BAG).
Mit dem Verein fängt alles an — zumindest im großen Stil. Vorher hält „Mr. Nagetier“, der trotz seiner Leidenschaft nie einen Spitznamen bekommen hat, als Sechsjähriger einen Goldhamster. Warum die kleinen Säugetiere? „Eigentlich haben mich Wildtiere fasziniert — aber ein Elefant oder eine Giraffe passen schlecht in den Vorgarten.“ Schnell begeistert sich Jordan deshalb für die Winzlinge — und legt auch beim eigenen Bestand nach, später auch über den Zuchtverein BAG. „Dort bin ich als 17-Jähriger aufgenommen worden.“ Heute ist er Vorstand.
Und mehr. Björn Jordan ist außerdem verantwortlich für die Tiergartenzeitschrift manati, ist Teil des Vorstands des Fördervereins Tiergartenfreunde Nürnberg — und ehemaliger Kurator für Nagetiere in einem Zoo in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Es ist die vielleicht spannendste Episode im beeindruckenden Lebenslauf des erst 31 Jahre jungen Mannes, den der Zoo von klein auf fasziniert. Schon früh hilft er deshalb im Nürnberger Tiergarten aus, organisiert Exkursionen, gibt Führungen.
Reise in den Orient
Bis 2007. In dem Jahr zieht Björn Jordan, der sich zuvor durch zahlreiche Zeitschriften und Bücher zum Nagetier-Experten gemausert hat, in die Emirate. Genauer: in den erst zehn Jahre zuvor aufgebauten Zoologischen Garten in Sharjah. Mit einem Engagement rechnet der damals 25-Jährige bei seiner Bewerbung nicht. Gesucht wird nämlich ein Biologe. Und trotzdem geht die Stelle an den gelernten Versicherungsfachwirt.
„Eigentlich bin ich hingefahren, um abzusagen“, erinnert sich Björn Jordan. Zu weit, zu viel Risiko. Vor Ort aber begeistern ihn der moderne Zoo und die Aufgabe derart, dass der Vertrag schnell unterzeichnet ist — und Jordan mit einem Mal Herr über 1000 Nagetiere. Hinter sich lassen muss der junge Mann damals Familie, Freunde, Heimat. Und sein mühsam gezüchtetes eigenes Reich mit 150 Nagern. Nun also der Orient. „Eine unglaubliche Zeit“, sagt Björn Jordan. Mit einem Auftrag:
Züchten. Für den Experten ein Leichtes, „weil dort vorher viele Fehler gemacht wurden“, also falsche Nahrung, von der wiederum die falsche Menge. Schnell stellt sich Erfolg ein. Von zu Beginn 150 wächst die jährliche Nachzucht in Sharjah auf 1500, darunter ein paar bedrohte Arten.
Kein „Maus-Papa“
Auch die Mitarbeiter motiviert Jordan — mit kleinen Belohnungen für erfolgreiche Zucht. „Am Ende haben alle darauf geachtet, Hundekuchen in die Käfige zu legen. Warum? „Die häufigste Gefahr ist, dass die Eltern den Nachwuchs wegen Eiweißmangels auffressen. „Und Hundekuchen haben viel Eiweiß.“ Vor drei Jahren war für Jordan, der seinen Urlaub in Zoos auf der ganzen Welt — demnächst in Kalifornien — verbringt, Schluss im Emirat. Weil die Entwicklung im Zoo stagniert, „aber auch aus Heimweh“, gibt Jordan zu. Kein
Heute begnügt er sich mit 40 tierischen Mitbewohnern — und zwei menschlichen, die das Hobby akzeptieren. Namen haben Jordans Tiere übrigens nicht. Die Begründung des 31-Jährigen: „Tiere zum Schmusen und Kuscheln sind Nagetiere einfach nicht — und deswegen gebe ich ihnen auch keine Namen.“ Traurig ist er zwar schon, wenn ein Teil seiner Tierfamilie stirbt, aber er ist eben Züchter und kein „Maus-Papa“.
Draußen ist es inzwischen dunkel. Heißt auch: Das Obergeschoss in Jordans Haus erwacht zum Leben. „Die meisten Nagetiere sind nachtaktiv, sie kommen jetzt langsam in Bewegung.“ Dann nimmt sich der Nager-Experte oft ein wenig Zeit, setzt sich vor die Käfige seiner Tiere — und beobachtet. „Wie bei einem Aquarium“ — nur mit viel mehr Geräuschen.
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