Nürnbergs Herr der Nagetiere

01.02.2013, 13:29 Uhr
Nürnbergs Herr der Nagetiere

© Stefan Hippel

Es tippelt, raschelt. Von irgendwo­her ist ein Kratzen zu hören, dann ein Nagen. Wo genau die Geräusche ihren Ursprung haben, ist nur schwer auszu­machen. Zumindest für den Laien. Zwischendurch scheint sich in einem der mehr als zehn riesigen, zum Teil verglasten Käfige etwas zu bewegen. Im nächsten Moment steht alles still.

Björn Jordan weiß genau, wo er hin­schauen muss. Oder hingreifen. Für Fotos langt er tief ins Stroh oder in ein hohles Holz — und bringt ein winziges Tier ans Licht, eines seiner Nagetiere. Jordan teilt seine Wohnung in Zerza­belshof mit mehr als 40 Nagern. Die kleinen Tiere haben hier unter dem Dachboden ihr eigenes Reich, zwei Stockwerke über der Erde.

Das Zimmer, das die vielen Winz­linge bevölkern, ist sauber. Es riecht wie in einer Tierhandlung, aber weni­ger intensiv. Auf einem Regal liegt eine Packung Karotten, „extra guter Geschmack“ steht darauf. „Das ist aber Zufall“, sagt Jordan. Und trotz­dem: Wie viel ihm die Nagetiere wert sind, zeigt schon die viele Zeit, die der 31-Jährige in sein Hobby investiert — täglich mindestens 30 Minuten.

Wobei Hobby in Jordans Fall fast nicht mehr zutrifft. Nicht nur, weil Björn Jordan nahezu alles über Nage­tiere weiß. Sondern auch, weil er hier unter seinem Dach keine Goldhams­ter oder Kaninchen hält, sondern Kleine Wüstenspringmäuse oder Sand­ratten. Seltene Tiere, die Jordan auch züchtet.

Hornhaut gegen Nagerbisse

Über die Kleine Wüstenspringmaus hat er sogar ein Buch verfasst. Sanft hält er den Nager mit den schwarzen Knopfaugen und den seltsamen Glied­maßen in seiner Hand. „Sieht ein biss­chen aus wie eine Mischung aus Tyran­nosaurus Rex und Känguru“, nimmt Jordan gleich vorweg. Tatsächlich hat die Kleine Wüstenspringmaus lang­gliedrige Hinterfüße, die bis zu 64 Mil­limeter lang werden. Dagegen sind die Vorderfüße stark verkürzt.

Vorsichtig setzt Jordan die Maus, die in kurzer Zeit vor Nervosität zwei­mal zubeißt, zurück in ihren Käfig. Dort macht das Tier zwei große Sätze und ist verschwunden. Von den Bissen spürt Jordan aber wenig. „Hornhaut“, sagt er und grinst. „Die hat jeder Nagetierzüchter“, ergänzt der Vor­sitzende des Vereins Bundesarbeits­gruppe Kleinsäuger (BAG).

Mit dem Verein fängt alles an — zumindest im großen Stil. Vorher hält „Mr. Nagetier“, der trotz seiner Lei­denschaft nie einen Spitznamen be­kommen hat, als Sechsjähriger einen Goldhamster. Warum die kleinen Säu­getiere? „Eigentlich haben mich Wild­tiere fasziniert — aber ein Elefant oder eine Giraffe passen schlecht in den Vorgarten.“ Schnell begeistert sich Jordan deshalb für die Winzlinge — und legt auch beim eigenen Bestand nach, später auch über den Zuchtver­ein BAG. „Dort bin ich als 17-Jähri­ger aufgenommen worden.“ Heute ist er Vorstand.

Und mehr. Björn Jordan ist außer­dem verantwortlich für die Tiergarten­zeitschrift manati, ist Teil des Vor­stands des Fördervereins Tiergarten­freunde Nürnberg — und ehemaliger Kurator für Nagetiere in einem Zoo in den Vereinigten Arabischen Emira­ten. Es ist die vielleicht spannendste Episode im beeindruckenden Lebenslauf des erst 31 Jahre jungen Mannes, den der Zoo von klein auf fasziniert. Schon früh hilft er deshalb im Nürn­berger Tiergarten aus, organisiert Exkursionen, gibt Führungen.

Reise in den Orient

Bis 2007. In dem Jahr zieht Björn Jordan, der sich zuvor durch zahlrei­che Zeitschriften und Bücher zum Nagetier-Experten gemausert hat, in die Emirate. Genauer: in den erst zehn Jahre zuvor aufgebauten Zoologi­schen Garten in Sharjah. Mit einem Engagement rechnet der damals 25-Jährige bei seiner Bewerbung nicht. Gesucht wird nämlich ein Bio­loge. Und trotzdem geht die Stelle an den gelernten Versicherungsfachwirt.

„Eigentlich bin ich hingefahren, um abzusagen“, erinnert sich Björn Jor­dan. Zu weit, zu viel Risiko. Vor Ort aber begeistern ihn der moderne Zoo und die Aufgabe derart, dass der Ver­trag schnell unterzeichnet ist — und Jordan mit einem Mal Herr über 1000 Nagetiere. Hinter sich lassen muss der junge Mann damals Familie, Freunde, Heimat. Und sein mühsam gezüchte­tes eigenes Reich mit 150 Nagern. Nun also der Orient. „Eine unglaub­liche Zeit“, sagt Björn Jordan. Mit einem Auftrag:

Züchten. Für den Experten ein Leichtes, „weil dort vor­her viele Fehler gemacht wurden“, also falsche Nahrung, von der wie­derum die falsche Menge. Schnell stellt sich Erfolg ein. Von zu Beginn 150 wächst die jährliche Nachzucht in Sharjah auf 1500, darunter ein paar bedrohte Arten.

Kein „Maus-Papa“

Auch die Mitarbeiter motiviert Jordan — mit kleinen Beloh­nungen für erfolgreiche Zucht. „Am Ende haben alle darauf geachtet, Hun­dekuchen in die Käfige zu legen. Warum? „Die häufigste Gefahr ist, dass die Eltern den Nachwuchs wegen Eiweißmangels auffressen. „Und Hun­dekuchen haben viel Eiweiß.“ Vor drei Jahren war für Jordan, der seinen Urlaub in Zoos auf der ganzen Welt — demnächst in Kalifornien — verbringt, Schluss im Emirat. Weil die Entwicklung im Zoo stagniert, „aber auch aus Heimweh“, gibt Jordan zu. Kein

Heute begnügt er sich mit 40 tieri­schen Mitbewohnern — und zwei menschlichen, die das Hobby akzeptie­ren. Namen haben Jordans Tiere übri­gens nicht. Die Begründung des 31-Jährigen: „Tiere zum Schmusen und Kuscheln sind Nagetiere einfach nicht — und deswegen gebe ich ihnen auch keine Namen.“ Traurig ist er zwar schon, wenn ein Teil seiner Tier­familie stirbt, aber er ist eben Züchter und kein „Maus-Papa“.

Draußen ist es inzwischen dunkel. Heißt auch: Das Obergeschoss in Jor­dans Haus erwacht zum Leben. „Die meisten Nagetiere sind nachtaktiv, sie kommen jetzt langsam in Bewegung.“ Dann nimmt sich der Nager-Experte oft ein wenig Zeit, setzt sich vor die Käfige seiner Tiere — und beobachtet. „Wie bei einem Aquarium“ — nur mit viel mehr Geräuschen.

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