Raumausstatterin Anastasia behilft sich mit Zetteln
18.01.2008, 00:00 Uhr
Emin Amrakhov reiste vor sieben Jahren mit seinen Eltern und einem Bruder aus Aserbeidschan nach Deutschland ein. Der 20jährige, der seit Geburt schwerhörig ist, sprach damals kein Deutsch und nimmt auch heute noch Deutschunterricht.
Im Moment setzt er allerdings aus, weil er sich auf die Prüfung vorbereitet. Nach seiner Ausbildung als Industriemechaniker würde Amrakhov gerne bei der MAN arbeiten, wo er auch ein Praktikum absolviert hat.
Seine Ausbildung macht er beim Berufsbildungswerk Nürnberg für Hör- und Schwergeschädigte (BBW); es bietet in der Trägerschaft des Bezirks Mittelfranken 27 Ausbildungsberufe an. Das Spektrum reicht von der Elektrotechnik über die Raumgestaltung bis hin zu Wirtschaft, Verwaltung und Zahntechnik.
Viele Pendler
Angeschlossen sind eine Berufsschule und ein Internat, denn das Einzugsgebiet ist bundesweit und nur etwa 70 Schüler der insgesamt ungefähr 250 Jugendlichen - darunter auch einige Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion - sind Pendler. Die anderen kommen aus den unterschiedlichsten Regionen Deutschlands.
Jürgen Walter (55) ist im Sozialdienst des BBW tätig und als Koordinator der Integrationsarbeit dafür verantwortlich, dass die Auszubildenden später in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können. Die Absolventen gehen nicht in beschützende Werkstätten, sondern arbeiten nach der Ausbildung bei MAN oder Siemens, in Kommunalverwaltungen oder Handwerksbetrieben.
Die Ausbildung basiert auf hohem Niveau und bedient sich modernster Maschinen, so dass die Auszubildenden meist «absolut konkurrenzfähig» zu hörenden Azubis sind, heißt es.
Die Absolventen legen wie alle anderen die Prüfung vor der IHK oder der Handwerkskammer ab. Sie sind oft sogar besser als der Durchschnitt. Einen Bonus bei der Prüfung, der ihnen zustehen würde, beantragen die wenigsten, denn er wird im Zeugnis aufgeführt.
Besonders schwer ist die Prüfung für jene Auszubildenden, die gehörlos geboren sind oder kurz nach der Geburt ertaubt sind. Sie haben nie Sprache gehört und deswegen auch große Schwierigkeiten beim Spracherwerb, beim Schreiben und damit auch bei Textaufgaben, weil sie oft die Grammatik und den Satzbau nicht richtig verstehen können.
Für die Gehörlosen, aber auch für die Schwerhörigen mit Migrationshintergrund ist der Erwerb der deutschen Sprache eine hohe Hürde. 36 Schüler des BBW, darunter Gehörlose, Schwerhörige und Sprachbehinderte, bekommen jeweils neun Stunden Unterricht pro Woche in Deutsch als Fremdsprache. Etwa die Hälfte davon stammt aus Osteuropa.
Elsa Makarewitsch (57), die den Sprachförderunterricht am BBW gibt, reiste selbst als Spätaussiedlerin 1996 aus Kasachstan nach Deutschland ein. Die studierte Lehrerin und Schulpsychologin berichtet, dass die meisten gerne und freiwillig in den Unterricht kommen. Manchmal stelle aber auch ein Meister fest, dass es Nachholbedarf gibt, und empfehle den Schülern, lieber den Unterricht zu besuchen.
Unter Marktbedingungen
Ähnlich wie in den Lehrwerkstätten großer Firmen produzieren die Werkstätten des BBW unter Marktbedingungen. So arbeiten die angehenden Zahntechniker zum Beispiel für Dentallabors. Wenn im Internat neue Möbel gebraucht werden, wird dies vom Tischler-Nachwuchs im Haus erledigt.
Je nach Grad der Hörschädigung können die Auszubildenden gesprochene Sprache mehr oder weniger gut interpretieren. Manche von ihnen wie Anastasia Britner, die seit Geburt vollkommen gehörlos ist, lesen von den Lippen ab. Es dauert eine Weile, bis sie sich an das Mundbild eines neuen Gesprächspartners gewöhnen.
Das Gespräch mit der angehenden Raumausstatterin findet daher mit Unterstützung des Gebärdendolmetschers Detlef Droth statt. Der 54jährige Erzieher studierte Sozial- und Qualitätsmanagement und ist außerdem Leiter der unterstützten betrieblichen Ausbildung beim BBW und für das Qualitätsmanagement zuständig.
Anastasia Britner hat ihre Ausbildung 2005 angetreten und möchte gerne bei einer Firma im Raumausstatterbereich tätig werden. Sie kam 2002 mit ihrer Familie aus Kasachstan und lebt heute in Kronach. Auch sie konnte kein Deutsch und besuchte zunächst einen Deutschkurs für russischsprachige Hörgeschädigte bei der Caritas in Köln - ein Projekt, das so in Deutschland einzigartig ist.
Ein Zettel hilft
Die 24jährige arbeitet gerade am Aufbau eines Stuhls mit Polster und Spannstoff. Ihre Gehörlosigkeit sei später im Berufsleben kein großes Problem, so Jürgen Walter, denn Arbeitsaufträge und Bemaßungen könne man auf einen Zettel schreiben.
Außerdem arbeiten meist zwei Leute zusammen, und sie gewöhne sich sehr schnell an das Gegenüber, wenn sie einen festen Ansprechpartner hat. Das spiele sich nach einer Woche ein.
Julia Weisbeck ist in Kirgisien geboren und kam 1992 nach Deutschland, wo sie zunächst die normale Schule besuchte und dann in eine Schwerhörigenklasse kam. Das Erlernen der deutschen Sprache, so die 23-Jährige, «war für mich sehr schwer». Dennoch schaffte sie es, ihren Realschulabschluss zu absolvieren, und steht seither in Ausbildung beim BBW.
Seit Juli trägt Weisbeck ein Cochlea Implantat, weil ihr Gehör immer schlechter wurde. Bei der Operation werden Elektroden in die Gehörschnecke eingeführt, um den mit einem Mikrofon aufgenommenen Schall elektrisch direkt an den Hörnerv weiterzugeben.
Allerdings dauert es ungefähr zwei Jahre, bis Laute richtig umgesetzt werden können; in dieser Zeit werden viele Außengeräusche als sehr störend empfunden. Bis dahin verlässt sich die angehende Bürokauffrau, die heute fließend Deutsch spricht und auch schon ihr Praktikum in einem Autohaus erfolgreich hinter sich gebracht hat, auf ihr Restgehör und das Ablesen von den Lippen.
Nächste Folge: Maria Pak aus Kasachstan und ihr Bistro.