Regenbogenfamilie in Nürnberg: Mutter, Mutter, Kind

18.2.2018, 20:29 Uhr
Die zweijährige Luise schaut ein Bilderbuch an: Über "Du gehörst dazu. Das große Buch der Familien", erschienen im Sauerländer-Verlag, sagen ihre Eltern, dass es die Welt zeigt, wie sie ist — bunt.

© privat Die zweijährige Luise schaut ein Bilderbuch an: Über "Du gehörst dazu. Das große Buch der Familien", erschienen im Sauerländer-Verlag, sagen ihre Eltern, dass es die Welt zeigt, wie sie ist — bunt.

"Für viele sind wir eine schillernde Regenbogenfamilie, aber eigentlich sind wir ganz schön spießig", finden Katja und Kerstin Müller, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchten. Sie sehen sich eher als Familie mit zwei Müttern, "ansonsten herrscht bei uns ein ganz normaler Alltag — wie bei allen anderen auch, die ein kleines Kind haben", bekräftigt Katja (35). Eine feste Rollen- oder Aufgabenverteilung gibt es bei den Frauen nicht. Mal bringt die eine Luise in die Krippe, mal die andere — oder eben gemeinsam. Beim Kochen, Putzen, Aufräumen verhält es sich ähnlich. "Aber das ist bei den Hetero-Paaren in unserem Freundeskreis genauso", wirft Kerstin (33) ein.

Beide Mütter arbeiten gern, momentan Teilzeit. Wichtig ist den Akademikerinnen, dass ihr Nachwuchs — ganz gleich, ob nun Junge oder Mädchen — emanzipiert aufwächst. "Unser Kind soll einfach offen sein, was Rollenbilder angeht, und sie hinterfragen. Wir wünschen uns, dass Luise später selbstbewusst entscheidet, was sie machen oder werden möchte, und auf Augenhöhe, fern jeglicher Klischees, ihren Weg geht."

Und so steht im Wohnzimmer ihrer Nürnberger Altbauwohnung eine Kinderküche ("Luise hat Spaß am Kochen und schaut uns gerne beim Schnippeln zu") neben einer Lego- und Autokiste ("damit spielt sie auch gerne") und einem rosafarbenen Puppenwagen ("Den hat sie geschenkt bekommen, da er ihr gefällt, behalten wir ihn"). Die 35-Jährige ergänzt: "Wir sehen das nicht so verbissen. Wenn Luise zum Beispiel unbedingt Glitzer tragen möchte, dann ist das eben so." Alles kein Problem. Nicht nur das Spielzeug, auch der Lesestoff ist gemischt. Neben den üblichen Bilderbüchern liegen "Mommy, Mama, and Me" oder auch "Du gehörst dazu: Das große Buch der Familien" auf dem Stapel. "Ein sehr wertvolles Kinderbuch. Es zeigt die ganze Bandbreite und wie die Welt ist: bunt", sagt Katja.

Austausch und wichtige Entscheidungen

Wie anfangs bereits erwähnt: Luise ist ein absolutes Wunschkind. Schon ein Jahr vor der Schwangerschaft haben die beiden Nürnbergerinnen sich Gedanken über ihren Nachwuchs gemacht und gezielt den Austausch mit zwei Frauenpaaren gesucht, beide jeweils mit zwei Kindern. Ein großes Thema war, ob der biologische Vater im Familienleben eine Rolle spielen soll. Sie entschieden sich dagegen. Mit Luises Geburt ist die Situation nun real und auch einfacher geworden. "Wir fühlen uns normal und wollen keinen Stempel, sondern einfach als Frauenpaar mit Kind sichtbar werden." Dass Luise ohne Vater groß wird, sehen ihre Eltern keineswegs als Mangel. "Unsere Tochter wächst mit vielen Männern auf, ob nun in der Familie oder im Freundeskreis", erzählt Kerstin. "Ich denke, sie wird sich ihre Vorbilder suchen — sowohl männliche wie weibliche."

Obwohl sie sich vor der Geburt über viele Dinge den Kopf zerbrochen haben, ergibt sich inzwischen vieles aus der Situation heraus. Auch das Thema: Was ist, wenn Luise nach Hause kommt und aufgrund der Reaktion anderer Kinder fragt, warum sie zwei Mütter hat? "Darüber hatten wir uns ganz viele Gedanken gemacht, aber jetzt lassen wir es einfach auf uns zukommen", sagt die 35-Jährige. "Wir werden es ihr, wenn es so weit ist, erklären und geben ihr bereits jetzt das Rüstzeug auf den Weg, dass sie damit umgehen kann. Und ergänzt: "Kinder werden immer gehänselt, ob sie nun zu dick sind, eine Brille tragen oder eben zwei Mamis haben."

Für ihre Arbeitgeber finden die beiden Frauen, die seit zehn Jahren ein Paar sind, nur lobende Worte. Sowohl die Chefs wie auch die Kollegen wissen von ihrer Beziehung. Das sei nie ein Thema gewesen, geschweige denn ein Problem. Auch hämische Bemerkungen oder indiskrete Fragen gab es nicht — bis zur Bekanntgabe der Schwangerschaft. Dann kamen Fragen wie "Habt Ihr den Säugling im Ausland gekauft?" oder "Wie habt Ihr das denn gemacht?" Vor allem über die direkte Art und Weise haben sich die beiden geärgert und auf ihre Privatsphäre verwiesen. "Lediglich gute Freunde wissen Bescheid, den anderen haben wir klargemacht, dass sie mit ihrer Fragerei eine Grenze überschreiten", sagt Kerstin. "In dem Moment, wo das Kind da war, haben sich jedoch alle mit uns gefreut."

Unangebrachte Neugier im Alltag

Auch bei anderen Müttern, etwa in der Krabbelgruppe, hatten sie nicht den Eindruck, dass sie etwas Besonderes seien. Katja: "Ich habe mal meine Frau erwähnt, damit war das geklärt." Auch wenn sicher einige hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen oder spekuliert haben, wie Luise entstanden ist.

Solch unangebrachte Neugier begegnet den beiden Frauen immer mal wieder. Und so wollen sie an dieser Stelle lediglich die verschiedenen Möglichkeiten einer solchen Elternschaft aufzeigen: Viele Frauenpaare fragen im männlichen Freundeskreis herum und nutzen die sogenannte Becher-Methode, um schwanger zu werden. Die Männer nehmen dann oftmals eine Onkelfunktion ein. Auch gibt es im Internet entsprechende Angebote in puncto Familiengründung — wie die Plattform familyship.de, die das Paar als "seriös und sehr individuell" bezeichnet. Weitere Optionen sind eine Samenbank einer Kinderwunschklinik — wie etwa in Erlangen — , die Aufnahme eines Pflegekindes oder seit der gesetzlichen Neuregelung der Ehe für alle im Oktober 2017 auch eine Adoption. In Nürnberg hat noch kein gleichgeschlechtliches Paar diese Möglichkeit genutzt, beim Jugendamt der Stadt ist bislang keine Bewerbung eingegangen.

Der Frankenmetropole stellen Katja und Kerstin ein gutes Zeugnis aus. Als Frauenpaar unterwegs zu sein oder sich in der Öffentlichkeit zu küssen, sei hier längst normal. Es herrsche eine große Offenheit. Als Katja hochschwanger war und sie händchenhaltend durch die Stadt gelaufen sind, haben sie zwar Blicke geerntet, aber eher überraschte als diskriminierende. Katja räumt jedoch ein: "Für Männerpaare mit Kind ist es mit Sicherheit schwieriger."

Seit 2011 haben die beiden Frauen eine eingetragene Lebenspartnerschaft. "Wir wollten heiraten — wie jedes andere Paar auch", sagt Kerstin. Wobei es offiziell eigentlich "verpartnern" heißt — zumindest damals noch. Mit der Gesetzesänderung, die am 1. Oktober 2017 in Kraft trat, ist das Geschichte, "die Bundesregierung hat unsere Rechte immer mehr einer Hetero-Ehe angepasst — sogar beim Adoptionsrecht".

"Richtig heiraten"

Die beiden Frauen wollen in diesem Jahr erneut zum Nürnberger Standesamt und "noch mal richtig heiraten". Sie sind nicht die Einzigen: Seit Oktober gab es dort 83 solcher Umwandlungen und 20 neue gleichgeschlechtliche Eheschließungen.

Im Zuge der neuen Familienmodelle muss auch das Abstammungsrecht reformiert werden. Die 35-jährige Katja ist die leibliche Mutter von Luise, doch aufgrund des rechtlichen Prozederes im Rahmen der Stiefkindadoption war Kerstin ein Jahr lang nicht mit ihrer Tochter verwandt. "Das Familiengericht hat alles sorgfältig geprüft und auch eine Mitarbeiterin des Jugendamts bei uns vorbeigeschickt, die mir sehr persönliche Fragen gestellt hat", erinnert sie sich. Jetzt teilen Katja und Kerstin sich das Sorgerecht. Es war eines von insgesamt 13 Stiefkindadoptionsverfahren bei lesbischen Paaren in den letzten zwei Jahren in Nürnberg.

Auch vor dem Hintergrund, dass sie noch weitere Kinder wollen, hofft das Paar, dass dieses Gesetz zeitnah entsprechend angepasst wird. Im gleichen Atemzug betont es: "Mit Blick auf andere Länder wissen wir es sehr zu schätzen, dass wir Kinder haben können und den Schutz des Staates genießen. Bis auf das Abstammungsrecht sind wir total glücklich mit der Situation hier."

Frank Schmidt vom Nürnberger Jugendamt sieht in dieser Ungleichheit noch die letzte Regelungslücke für den Gesetzgeber: "Wir vermuten, dass die Änderung des Abstammungsrechts in der kommenden Legislaturperiode erfolgen wird."

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