Reiches Gedächtnis

04.03.2012, 19:31 Uhr
Reiches Gedächtnis

© Stefan Hippel

Aus einem ziemlich vergilbten und merkwürdig steifen Briefumschlag fischt Michael Diefenbacher vorsichtig einen unförmigen Klumpen Pergament. „Das“, erklärt der Leiter des Nürnberger Stadtarchivs den Besuchern im Lesesaal, „ist eine Urkunde von 1453 aus dem Archiv der Familie Tucher. Sie lagerte im Keller ihres Anwesens am Egidienberg. Der Panzerschrank hielt dem Druck und den Flammen bei dem großen Bombenangriff am 2. Januar 1945 nicht stand. Zum Teil wurden Urkunden durch das Feuer zerstört, zum Teil durch das schmelzende Siegelwachs getränkt und zusammengepresst – so sieht das dann aus“.

Zum Glück haben die Überlebenden die verkohlten Pergamentbatzen nicht einfach in den Müll gekippt. Immerhin haben sich etwa 800 Urkunden in dieser Form erhalten. Restaurierungsversuche blieben lange erfolglos. Bis sich das Stadtarchiv vor zehn Jahren mit Spezialisten einer Fachhochschule in Köln zusammentat. Ein Ergebnis kann Diefenbacher dem staunenden Publikum ebenfalls präsentieren: eine Urkunde, die zwar ein größeres Brandloch aufweist, aber zum größten Teil wieder lesbar ist. „Allerdings ist das extrem teuer und nur bei einigen besonders wichtigen Stücken möglich.“

Um die Vielfalt der Archivbestände und der Arbeit zu demonstrieren, hat er für einen Streifzug durch die Unglücksannalen eine ansehnliche Auswahl repräsentativer Stücke zusammengestellt – darunter eine private Chronik, die in reißerischer Manier ein Judenpogrom ebenso schildert wie einen Großbrand in der einstigen Schmelzhütte Am Sand. Karten und Stiche dokumentieren die Schäden durch Überschwemmungen wie 1595, 1784 oder 1909. Und die Schutzbriefe, die der Landbevölkerung im 30-Jährigen Krieg kaiserlichen Beistand zusichern sollten, waren, wie sich rasch erwies, das Papier nicht wert, auf dem die verschnörkelten Zusicherungen nachzulesen sind.

Ein anderer Katastrophenfall aus der Stadtgeschichte spielt in der Familiengeschichte von Wolfgang Kucharz eine Schlüsselrolle. „Ich hatte erst am Morgen von dem Tag der Archive erfahren und bin spontan hergekommen“, erläutert der Nürnberger, der sich seit einem Jahr intensiver mit den Vorfahren beschäftigt. Zum Beispiel mit Adalbert Karl Christian Berger.



„Der war Kaminkehrer, wohnte im Lorenzer Viertel und war beim Großbrand im Nordturm der Lorenzkirche 1865 an den Löscharbeiten beteiligt; dabei ist er fast erblindet“, erzählt Kucharz, Im Stadtarchiv ließ er sich von Kurt Reichmacher zeigen, was sich vielleicht noch über den Schornsteinfeger herausfinden lässt. „Grundsätzlich helfen die Kirchenbücher, für die es seit 1808 Zweitschriften gab, die der Stadt einen Überblick über die Einwohner geben sollten. Die Namen und Daten sind bei uns inzwischen in einer Datenbank verfügbar. Sogar Krankheitsbezeichnungen wie Schlagfluss und Zehrfieber sind aufgenommen“, erläutert der Mitarbeiter. „Weil auch geschützte Daten dabei sind, ist aber leider kein freier Zugang möglich.“ Im übrigen könne freilich jeder Bürger die Dienste des Archivs auch ohne Anmeldung in Anspruch nehmen. Von historischen Karten können Interessenten – gegen Gebühr – sogar Ablichtungen anfertigen lassen.

 

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