Stricken ist «Yoga für die Finger«
15.06.2009, 00:00 Uhr
Eigentlich ist es ja nur eine schlichte Handarbeit. Doch wenn man die Damen fragt, die sich im Café «Bei Ulla« versammelt haben, dann ist der Umgang mit den Nadeln für sie viel mehr. «Das ist mein Finger-Yoga«, sagt zum Beispiel Claudia Nelson, Kinderkrankenschwester im Südklinikum und seit 26 Jahren aktiv im Stricken. Kreativ und beruhigend sei’s, findet die 40-Jährige, die gerade eine lila Babymütze fabriziert. Früher sei sie gelegentlich belächelt worden. «Stricken tut doch nur die Oma«, hieß es dann. «Aber ich habe auch schon viele angesteckt mit meinem Strickwahn.«
Handarbeiten nicht mehr altmodisch?
Die Zeiten, in denen Handarbeiten als altmodisch verpönt waren, sie scheinen vorbei zu sein. Sabine Stich wurde sogar im Urlaub in Griechenland gefragt, ob sie denn nicht ihr Werk verkaufen wolle. Doch die 47-Jährige strickt in erster Linie für den Eigenbedarf. «Bei meiner Statur ist es einfach praktisch, wenn man sich die Sachen selber machen kann«, sagt die 1,52 Meter kleine Buchhalterin. Früher habe sie auch für ihre Kinder gestrickt - «das war schön, weil ich das auch auf dem Spielplatz machen konnte«.
Jetzt arbeitet sie für soziale Projekte, strickt Socken und Mützchen für die Säuglings- und Kinderstationen des Südklinikums und beteiligt sich an der Aktion «Eine Mütze voll Leben« der Organisation «Save the Children«: Die gestrickten Mützen gehen an Babys in der Dritten Welt, sie sollen dazu beitragen, die hohe Säuglingssterblichkeit zu verringern. Babys verlieren die meiste Wärme über den Kopf, das Klima im Geburtsland spielt dabei keine Rolle.
«Hier helfe ich gern«
Um dieses Projekt zu unterstützen, ist Stich auch zum «Öffentlichen Stricken« gekommen. Eigentlich brauche sie derlei Aktionstage nicht, sagt die Nürnbergerin. «Aber hier helfe ich gern.« 120 Mützen und 200 Paar Socken kamen schließlich zustande.
Die Vorstellung, dass irgendwo in einem Land der Dritten Welt ein Baby die von ihr gestrickte Mütze tragen wird, rührt auch Dorothea Harner. Für sie sei das Stricken nach dem Tod ihres Sohnes vor zwei Jahren eine Form der Trauerbewältigung. «Das lenkt mich ab«, sagt die 66-Jährige. «Ich brauch’ das zur Beruhigung, für meine Nerven.«
Stricken in der Gruppe
Regelmäßig besucht sie deshalb die Strickstunden der «Wollwelt«: Ewa Hey bietet in ihrem Laden in der Wodanstraße 9 mehrmals pro Woche die Möglichkeit zum Stricken in der Gruppe und steht auch Anfängerinnen mit Rat und Tat zur Seite. Karin Jehnes hat so zu einem neuen Hobby gefunden. «Socken klappen schon einwandfrei«, sagt die 53-Jährige, die sich in den Strickstunden einiges abgeschaut hat.
Ausgleich und Zeitvertreib sei die Handarbeit für sie, sagt die Hausfrau. Hey selbst hatte als junge Frau aus der Not heraus mit Stricken begonnen. «Bei uns gab es in den Geschäften nichts Buntes«, sagt die gebürtige Polin. «Das mussten wir selber machen.« Auch sie schätzt am Stricken aber längst mehr als die modische Extravaganz. «Man kommt auf neue Ideen, weil man viel Zeit hat, nachzudenken.«