Symposium zur Psychiatrie im Dritten Reich
10.03.2010, 00:00 Uhr
Eugenik und Euthanasie sind keine Erfindungen der Nazis. Die Pseudowissenschaften Rassenkunde und Eugenik, die Diskussionen um die Sterilisation bzw. Tötung Geisteskranker (zu denen man auch Alkoholiker, Epileptiker und Verhaltensauffällige subsummierte) hatten international bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert begonnen.
In Deutschland plädierten der Jurist Karl Binding und der Mediziner Alfred Hoche kurz nach dem Ersten Weltkrieg für die Eliminierung von »Ballastexistenzen, unheilbar Blödsinnigen und geistig Toten» – also in einer Zeit der ökonomischen Notlage. Noch 1925 ergab eine Umfrage bei Eltern kranker Kinder zu deren Beseitigung ein Verhältnis von drei zu eins – für deren Tod.
Auf dieser Grundlage konnte Hitler im Oktober 1939 die Aktion T 4 starten. Annähernd 200 000 kranke Menschen mussten im Dritten Reich sterben, weil Mediziner und Heimleiter Vorgaben von oben befolgten. Wobei die Historiker sich mit exakten Zahlen schwer tun, letztlich handelt es sich aufgrund von Aktenvernichtung und unaufklärbaren Todesumständen nur um annähernd exakte Zahlen.
Die Aktion T 4 sah die Bestandsaufnahme sämtlicher Insassen von Heil- und Pflegeanstalten vor, ihre Auswahl, den Abtransport und die Ermordung in sechs Tötungsanstalten. Die Berliner Zentrale verschickte an sämtliche Kliniken Meldebögen zu den Insassen, die die Heimleitung auszufüllen hatte. Danach befand ein Ärztegremium in Berlin über Wert und Unwert der betreffenden Patienten. Die Kriterien, nach denen das Gremium urteilte, bezogen sich auf Rassenzugehörigkeit, Erblichkeit der Krankheit, Heilbarkeit oder Unheilbarkeit, sowie Renitenz oder Friedfertigkeit. Ausschlaggebend aber war die Arbeitsfähigkeit des Insassen. Seine Produktivkraft (in welcher Form auch immer) entschied meist über Leben oder Tod.
Nachdem die Aktion T4 erst die staatlichen Heime geleert hatte, deportierte man die Insassen kirchlicher oder privater Heime zuerst in die freigewordenen staatlichen Heime, um sie von dort aus in die Tötungsanstalten zu verbringen.
Um in eine Heil- und Pflegeanstalt zu gelangen, bedurfte es nicht ausgeprägter psychotischer Erkrankungen. Es reichte ein unsittlicher Lebenswandel, oder ein sozial auffälliges Verhalten, um für »krank» deklariert zu werden. Begriffe wie »asozial» und »gemeinschaftsfremd» machten Karriere als Schlüsselvokabeln im medizinischen Befund. So berichteten die Referenten von Fallbeispielen aus der Grauzone der Verhaltensauffälligkeit, deren »asoziales» Agieren das Stigma der Lebenswertlosigkeit eintrug.
Ein weiteres Kriterium war die Tendenz, den Patienten nicht mehr als Individuum, sondern als Fallbeispiel einer Krankheit, als ein Ding zu betrachten. Diese Verdinglichung und Dehumanisierung in der Fachsprache enthob die Gutachter jeglicher Empathie und ermöglichte somit die schier reibungslose Tötungsmaschinerie.
Und wie sah es in Mittelfranken aus? Während die Klinik in Erlangen Patienten therapierte und heilte und parallel dazu »hoffnungslose Fälle» verhungern ließ, lavierte sich die Neuendettelsauer Heimleitung zwischen den Anweisungen aus Berlin und dem Kampf um ihre Existenz durch. Während in der Ansbacher Kinderabteilung die Ärztin Irene Asam-Bruckmüller kranke Kinder ungestraft tötete.
Wie konnte das alles bloß funktionieren? »Alle handelten, ohne zu wissen, was eigentlich geschieht», mutmaßt der Erlanger Psychologe Hans Ludwig Siemen. Oder zugespitzt formuliert: Ohne es genau wissen zu wollen. »Das System funktionierte, weil alle so funktionierten, wie erwartet.» Vielleicht gingen hier und dort Meldebögen verloren.
Vielleicht beredete eine Schwester Verwandte, diesen oder jenen Kranken wieder aufzunehmen. Aber letztlich ahnten alle, was ablief. Und dass Kinder in Ansbach binnen weniger Wochen starben, wusste man auch in Neuendettelsau. Trotzdem wurde die Mörderin Irene Asam-Bruckmüller nach dem Krieg nie belangt, wie Hans Ludwig Siemen kühl referiert. »Sie erhielt einen Jagdschein aus Neuendettelsau.»
Die Ausstellung »In Memoriam» in den Räumen des Eckstein informiert über die Opfer der Psychiatrie.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen