Tabuthema in der Gesellschaft: Häusliche Gewalt bei Männern

14.6.2020, 05:45 Uhr

Das häusliche Umfeld stellt in aller Regel den wichtigsten Schutzraum dar. Dort körperliche, psychische oder sexualisierte Gewalt erfahren zu müssen, mündet häufig in Trauma-Folgestörungen. Sie müssen bearbeitet werden. Damit Betroffene das Erlebte mit der Zeit überwinden könne, aber auch, damit sie die erlittene Gewalt nicht selbst weitertragen.

Gewalt haben diese Männer häufig als Kinder oder Jugendliche in ihren Herkunftsfamilien erfahren. Im Erwachsenenleben sind es in aller Regel gewaltbereite Frauen, die in Partnerbeziehungen übergriffig werden. Etwa 18 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt sind Männer, sagt Jürgen Mahler, Therapeut und Traumafachberater sowie Vorstandsmitglied im Trauma-Hilfezentrum Nürnberg (THZN). Sexualisierte Gewalt trifft zu mehr als 20 Prozent Männer – in aller Regel als Jungs oder junge Erwachsene, nicht selten, indem sie von anderen Männern vergewaltigt wurden.


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Abgekapselte Vergangenheit

Während aktuelle Gewalterfahrungen offensichtlich sind, bricht die – oft gut abgekapselte – Vergangenheit nicht selten bei Männern wieder auf, die in eine Krise geraten sind, berichtet Mahler. Das kann eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit als Folge eines Unfalls sein. Das kann beispielsweise auch ein Herzinfarkt sein, der den Verlust von Freunden, Ehefrau und der mühsam aufgebauten Firma nach sich zieht: Fast alles, was das Leben des Betroffenen ausgemacht hat, womit er sich definiert, was ihn gestützt hat, bricht damit weg. Für die überwunden geglaubte Vergangenheit eröffnen sich dadurch riesige Tore zur Seele.

Mit Beratung und stabilisierender Unterstützung kann das THZN hier erste Hilfe leisten. Das sei "keine klassische Traumatherapie", die einen längeren Zeitraum beanspruchen würde, sagt Mahler. Vielmehr gehe es darum, betroffene Männer zu begleiten und deren Alltagsfähigkeiten wieder herzustellen.

Zu wenig Fachtherapeuten

Körper-, kunst- und gesprächstherapeutische Angebote tragen zur Stabilisierung bei und helfen Betroffenen, mit akuten Ängsten besser umzugehen. Dabei klären die Mitarbeiter auch, ob Interesse an einer Traumatherapie besteht. Allerdings, sagt Mahler, gebe es hier viel zu wenige Fachtherapeuten. Mitte März hat das Trauma-Hilfezentrum, das seit 2013 in Nürnberg besteht, dieses Gewaltschutz-Präventionsprojekt gestartet, das zu weiten Teilen durch das bayerische Sozialministerium finanziert wird.

Ziel des Projektes, das auch in München läuft, ist es, Gewalt von Anfang an zu verhindern, unabhängig davon, ob Frauen oder Männer von Gewalt betroffen sind. Dass das Corona-Virus dieses wichtige neue Angebot sabotieren würde, war im Vorfeld nicht abzusehen gewesen. Das THZN berät inzwischen wieder persönlich, aber auch telefonisch, per Video-Sitzung oder über datensichere Mail-Verbindungen.

Auch Angehörige werden einbezogen

Dafür stehen jeweils drei Therapeuten und Therapeutinnen bereit. Bei jeder der Unterstützungsformen können Betroffene entscheiden, ob sie von einem Mann oder einer Frau begleitet werden möchten. Aktuell versucht das THZN über Sozialpsychiatrische Dienste und ähnliche Einrichtungen in Kontakt mit Betroffenen zu kommen.

Sowohl sie als auch deren Angehörige können sich mit Jürgen Mahler in Verbindung setzen: per Mail unter maenner@thzn.org oder unter = 99 00 90- 11. Als Projekt-Verantwortlicher stellt er dann den Kontakt zu Mitarbeitern her. Eine Beratung ist auch anonym möglich; für die Statistik dokumentiert das THZN in solchen Fällen lediglich die Wohnort-Postleitzahl und das ungefähre Alter des Betreffenden.

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