Quo vadis, Stadt Nürnberg?
"Unsummen fürs Opernhaus und nichts für die Jugend? Das ist obszön"
25.10.2021, 05:54 Uhr
Alle sollen gleichberechtigt sein. Jedem Menschen muss gleichermaßen sein Recht gewährt werden. Doch kann man Gerechtigkeit eigentlich messen?
In Zahlen gefasst, lässt sich Nürnberg derzeit auch so beschreiben: 400 bis 700 Millionen Euro soll die dringend notwendige Renovierung des Opernhauses am Richard-Wagner-Platz schätzungsweise kosten. Die Umbauzeit im Denkmal (Brandschutz, Statik, Bühnentechnik) wird lange sein – daher braucht es zusätzlich eine äußerst kostspielige Interimsspielstätte, hier kursiert die Zahl von 200 Millionen Euro.
An den Rampen 31 in Steinbühl, einem Stadtteil im Süden, ließ die Stadt die Chance verstreichen, eine knappe Million Euro in ein Gelände für das selbstverwaltete Jugendzentrum P31 zu investieren.
Um Äpfel und Birnen nicht in einen Topf zu werfen: Der Nürnberger Stadtkämmerer Harald Riedel (SPD) hat längst darauf hingewiesen, dass sich die Stadtkasse die geplante Generalsanierung des Opernhauses schlicht und einfach nicht leisten kann - gefordert wird die Finanzierung vom Freistaat.
Zeiten sind hart
Dennoch sind harte Zeiten für die Generationengerechtigkeit - und darum geht´s nicht nur bei der Rente - angebrochen. Die aktuellen Interessenskonflikte: Klima, Digitalisierung, Corona-Maßnahmen. Die Enttäuschung vieler junge Menschen über die gebremste Vehemenz für die Lösung der Klimakrise ist groß. In der Corona-Krise entwickelte die Jugend Solidarität, um das Leben der Älteren und Kranken zu schützen. Der Lehrbetrieb wurde eingeschränkt, das Leben der Jungen auf später verschoben. Doch Solidarität ist auch leicht verspielt, wird sie immer derselben Gruppe abverlangt.
"Ich halte es für regelrecht obszön, Unsummen für das Opernhaus auszugeben und gleichzeitig die Jugendlichen im Stich zu lassen ", sagt Marian Wild. Der promovierte Architekt und Kunstwissenschaftler ist überzeugt: "Das Projekt 31 ist nur Symptom eines Prozesses, der nicht nur das Jugendzentrum betrifft, sondern mehrere Kulturorte in der Stadt."
Die "Initiative für ein selbstverwaltetes Jugend- und Kulturzentrum" in Nürnberg wurde im Herbst 2001 gegründet, beteiligt sind unterschiedliche Gruppen, Vereine und Einzelpersonen. Ziel der Initiative: Ein unabhängiges Kulturzentrum ohne Konsumzwang zu schaffen, Konzerte und Kneipenbesuche erschwinglich zu machen.
Doch derzeit steckt die Alternative Kultur Nürnberg e.V. mitten in einer Räumungsklage. Die AAA+ Fertigbau GmbH klagt, die Mitwirkenden des Projekts 31 sollen ihre Räume verlassen.
Wohnraum ist knapp
Vorher hatte der Verein bei der Stadt angeregt, das Gelände zu kaufen. Die Stadt griff nicht zu, der frühere Eigentümer des Geländes verkaufte an die AAA+ Fertigbau, der Investor plant ein 10-Familien-Haus mit rollstuhlgerechten Wohnungen und Stellplätzen für Elektroautos. Wohnraum ist knapp, die Stadt will die Bebauung, ein rechtskräftiger Bauvorbescheid liegt vor.
Die Mitglieder des Jugend- und Kulturzentrums sind frustriert, seit sie diese Pläne kennen – und machten ihrem Ärger immer wieder Luft. Unter dem Motto "Kultur braucht Freiräume – Projekt 31 erhalten" demonstrierten bereits mehrfach einige Hundert Menschen, das Projekt 31 erfährt Solidarität von anderen Initiativen. Die freie Kulturszene sieht sich mit ähnlichen Missständen konfrontiert.
Bangen um die Existenz?
"Als selbstverwalteter, freier Träger kennen wir aus unseren Anfangsjahren das Zittern und Bangen um die Existenz und den Verbleib", sagt Margit Mohr, Leiterin des Kulturzentrums Kuno. Seit über vier Jahrzehnten unterstützt die Stadt das Kulturzentrum finanziell, gelungen ist dies nur aufgrund des großen Engagements der Vereinsmitglieder. Im Kulturzentrum im Norden der Stadt werden Kunst- und Literaturprojekte entwickelt, das kulturelle und gesellschaftliche Leben maßgeblich mitgestaltet.
Protest in Herzchen-Form
Mohr: "Doch ist die kommunale Haushaltslage angespannt, werden Kürzungen vorgenommen. Selbst kleine Veränderungen der Fördersumme haben teilweise Personalkürzungen zur Folge, oder veranlassen die vorzeitige Einstellung eingeführter Projekte."
"Don´t break my heart" - mit Luftballons in Herzchen-Form und diesem Slogan demonstrieren die Jugendlichen des P31 für ihr Herzensprojekt in Steinbühl. Vorher haben sie gerechnet, versucht, von der Stadt eine Art Kredit und Förderungen zu bekommen, sie haben darüber nachgedacht, ob sie das Jugendzentrum mit einer Mischfinanzierung selbst stemmen könnten, und festgestellt, dass die eigene Kraft nicht genügt. Nun versuchen sie mit ihren Herzchen-Ballons klarzumachen, dass das Geld, das man in Kultur investiert, nicht einfach Luxus bedeutet, sondern den Geist und die Seele einer Stadtgesellschaft ausmacht.
Vor Gericht scheitert ein Vergleich
Auf einen Vergleich konnten sich der Verein und der Investor bislang vor Gericht nicht einigen. Der Investor bot bis zu 10.000 Euro, würde die Alternative Kultur e. V. in wenigen Monaten das Gelände räumen, der Verein lehnte ab, er will Zeit. Ob die Kündigung des Vereins rechtskräftig ist, will das Landgericht Nürnberg-Fürth am 19. November verkünden.
SPD-Stadträtin als Rückhalt
Es ist nicht so, dass dies bei der Stadt nicht angekommen wäre: Der Verein steht im Kontakt zum Jugendamt, Claudia Arabackyj, Vize-Vorsitzende der SPD im Stadtrat, engagiert sich seit Jahren für das Projekt. Sie ist beeindruckt von dem Engagement der Jugendlichen. Mittlerweile haben die Aktiven des Vereins etwa 80 alternative Objekte an das Liegenschaftsamt weitergereicht, 40 Immobilien haben sie bereits besichtigt. Doch bislang gab es nur Rückschläge: Meist sind die Immobilien bereits verkauft, sollen abgerissen werden oder ein neues Kulturzentrum ist an diesem Ort schlicht nicht umsetzbar.
Arabackyj: "Wir brauchen in dieser Stadt auch junge Kultur und eine kritische Öffentlichkeit, nur so werden wir unseren gesellschaftlichen und sozialen Aufgaben auch gerecht."
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ein Kultur- und Jugendzentrum ist nicht einfach nur ein Ort oder gar mit einer Kneipe zu vergleichen. Im P31, dies stellt das Team klar, habe man über Politik diskutiert und alternative Gesellschaftsmodelle nachgedacht und konnte selbst kreativ werden, etwa bei Konzert selbst zu mischen und sich um die Technik zu kümmern.
Heimatsuche in der eigenen Stadt
Marian Wild: "Und wir können nicht in Hochkultur und Populärkultur, in Alt und Jung denken. Wir brauchen die Jugendkultur und auch die Subkultur, damit sich die Hochkultur weiterentwickeln kann und umgekehrt, all dies muss im Fluss sein. Die Subkultur von heute ist die Hochkultur von morgen."
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