Verbände gehen gegen AfD-Mitglieder in ihren Reihen vor
4.1.2019, 12:55 UhrDie Meldungen häuften sich: Verschiedene Verbände kritisierten zuletzt die AfD und erklärten, dass deren Haltungen mit ihren eigenen nicht in Einklang zu bringen seien. Der Kreisjugendring Nürnberg-Stadt etwa sieht die AfD "im Widerspruch zu unserer täglichen Arbeit, unseren Werten, unserer Haltung und unseren Positionen". Auf seiner Herbst-Vollversammlung beschloss der Kreisjugendring deshalb, Vertreter der AfD weder zu jugendpolitischen Veranstaltungen einzuladen, noch ihnen in eigenen Einrichtungen Raum zu geben.
Nicht mehr geduldet
Der Bezirksverband Mittelfranken der Gewerkschaft ver.di gab bekannt, künftig keine AfD-Mitglieder in seinen Reihen mehr zu dulden. "Das ist zunächst vor allem ein politisches Signal. Die praktische Umsetzung
ist dann natürlich etwas anderes", räumte Bezirksgeschäftsführer Jürgen Göppner ein.
Auch die Lebenshilfe Nürnberg hält die Politik der AfD mit ihren Grundsätzen für unvereinbar. Im Einzelfall droht Mitarbeitern, die gleichzeitig AfD-Mitglieder sind, eine Kündigung, sollten sie sich zu den teils rechtspopulistischen, völkischen und rechtsextremen Haltungen dieser Partei bekennen.
Rechtlich befinden sich die Verbände mit ihren Vorhaben auf sehr dünnem Eis. Die bloße Mitgliedschaft in einer Partei reiche keineswegs aus, um einem Mitarbeiter zu kündigen, erklärt Eike Weißenfels, Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Nürnberg. Dafür sorgt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das auch unter dem Namen Antidiskriminierungsgesetz bekannt ist. Ziel des Gesetzes ist es, "Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern und zu beseitigen".
Stichwort Meinungsfreiheit
Selbst wenn sich ein Mitarbeiter negativ über Inklusion äußern sollte, hat die Lebenshilfe deshalb keinen Grund, ihm zu kündigen. Stichwort Meinungsfreiheit: Die AfD selbst sieht die Forderung der Vereinten Nationen, behinderten Kindern die Teilhabe am Bildungssystem zu garantieren, in Deutschland als erfüllt an. Sie setzt sich deshalb für den Erhalt der Förder- und Sonderschulen ein.
Um eine Kündigung zu kassieren, müsse ein Mitarbeiter entsprechend auffallen und stören. Aus arbeitsrechtlicher Sicht kommt eine Kündigung laut Weißenfels nur dann infrage, wenn der Angestellte seiner eigentlichen Arbeit nicht nachkommt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn sich ein Busfahrer weigert, bestimmte Fahrgäste mitzunehmen.
Betriebsfrieden in Gefahr
Eine Kündigung sei auch dann möglich, wenn der Angestellte dem Ansehen seines Arbeitgebers oder dem internen Betriebsfrieden schade. So hat das Arbeitsrecht immer wieder mit Fällen zu tun, in denen es darum geht, wie schwerwiegend ein Mitarbeiter Kolleg(inn)en oder auch Vorgesetzte beleidigt hat. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob dem Arbeitgeber eine bloße Abmahnung seines Mitarbeiters zuzumuten ist. Dadurch trägt er das Risiko, dass dieser beleidigende Äußerungen oder Taten wiederholt.
Ist ein Vorfall so gravierend, dass man den Arbeitgeber diesem Risiko nicht aussetzen kann, ist eine fristlose Kündigung möglich. So braucht sich beispielsweise kein Chef durch Vergleiche oder Gleichsetzungen mit Nazigrößen beleidigen zu lassen, erklärt Christine Roth, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Hier sei eine Grenze überschritten, so dass eine Abmahnung allein nicht mehr ausreiche. Der Arbeitnehmer müsse damit rechnen, dass ihm gekündigt werde.
Ganz klar ist die Situation bei körperlicher Gewalt, wie Weißenfels betont: "Wer schlägt, der fliegt." Solange jemand aber nur bösartige Gedanken hege oder menschenverachtende Texte in ein Tagebuch schreibe, rechtfertige das keine Kündigung, sagt Roth, die in ihrer Schulzeit mit einem "Stoppt Strauß"-Anstecker für Schlagzeilen sorgte.
Es gibt Ausnahmen
Die Juristinnen betonen beide, dass stets im Einzelfall entschieden werden muss. Dabei spiele die Verhältnismäßigkeit eine große Rolle, aber auch wie lange jemand bereits im Unternehmen ist, ob er sich bisher etwas hat zuschulden kommen lassen und wie er sich nach seiner Tat verhalten hat. Außerdem sei von Bedeutung, ob der Mitarbeiter das Unternehmen nach außen vertrete.
Ausnahmen, die normalerweise gegen das gesetzliche Diskriminierungsverbot verstoßen würden, gibt es bei Tendenzbetrieben. Zu ihnen gehören die Kirchen. Erst kürzlich hat jedoch der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die katholische Kirche einem erneut verheirateten Mitarbeiter nicht kündigen kann. Die Luxemburger Richter hatten argumentiert, dass es für die konkrete Arbeit des Arztes nicht zwangsläufig notwendig sei, die Sicht des Arbeitgebers zu teilen. Über die Frage, ob kirchliche Arbeitgeber strengere Maßstäbe an ihre Mitarbeiter anlegen dürfen, muss nun die deutsche Justiz entscheiden.
"Total aufpassen"
Weißenfels kann nachvollziehen, dass Gewerkschaften und Selbsthilfevereinigungen wie die Lebenshilfe Haltung demonstrieren wollen. Dass Maßnahmen wie der kategorische Ausschluss bestimmter Mitarbeiter vor Gericht Bestand haben würden, glaubt sie nicht. "Wir müssen hier total aufpassen", warnt sie vor einem Abdriften in eine Gesinnungsjustiz. Statt "alles sofort in Grund und Boden zu stampfen", was aus einer bestimmten Ecke kommt, hält sie es für besser, die eigenen Positionen positiv hervorzuheben.
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