Vertrauenssache: Empfehlungen als harte Währung
22.01.2015, 20:06 UhrZur Veranschaulichung der Problematik hat die Fachanwältin für Familienrecht eine Figur mitgebracht, wie man sie auf Hochzeitstorten findet. Der markante Unterschied zu den gängigen Modellen: Die Braut trägt statt eines Blumenstraußes Boxhandschuhe und anstelle eines Kusses verpasst sie ihrem Angetrauten einen saftigen Kinnhaken. „So sieht es oft nach der Hochzeit aus“, sagt sie. Ehe, Streit, Ende. Sollten die Zuhörer in der Runde jemanden kennen, der eine Scheidungsanwältin braucht, bittet sie um eine Empfehlung — nennt ihren Namen und ihre Qualifikationen. Und alles in sechzig Sekunden.
Sie nimmt wieder Platz. Applaus. Jetzt kommt der Zahnarzt an die Reihe. Danach der Vertreter eines Immobilienbüros, nach ihm der Schreiner. Auch sie enden mit den Worten „wenn ihr jemanden kennt . . .“. 20 Personen sind an dem verschneiten Morgen im Raum eines Hotels in Nürnberg-Boxdorf zusammengekommen. Sie sind Mitglieder des Business Network International (BNI), eines globalen Netzwerks mit insgesamt 160 000 Mitgliedern in 54 Ländern. Gegründet wurde es 1985 in den USA. Seit zwölf Jahren ist es auch in Deutschland aktiv und ist laut eigenen Angaben das weltgrößte seiner Art.
Der Grundgedanke ist einfach: Ihre Mitglieder empfehlen sich gegenseitig Kunden, Freunden oder Bekannten weiter und sorgen so für zusätzliche Aufträge und Umsätze. Provision verlangen sie nicht. Sie hoffen stattdessen, irgendwann auch eine Empfehlung zu bekommen und dadurch Geld zu verdienen.
Ein IT-Spezialist ist nun an der Reihe und präsentiert sich und seine Firma für Sicherheitssysteme. „Wenn ihr jemanden kennt . . .“
2014 gab es in Nürnberg fünf etablierte „Chapter“ — so heißen die Gruppen mit 20 bis 50 Teilnehmern. Ihre Mitglieder erwirtschafteten laut BNI einen zusätzlichen Gesamtumsatz von rund sechs Mio Ã.
Wie hoch die Mehreinnahmen für jeden ausfallen, hängt von Branche und Auftrag ab: Vom Zwei-Mann-Handwerksbetrieb bis zum internationalen Immobilienmakler reicht die Palette, der Zusatzverdienst durch einen neuen Kunden kann 50 oder 130 000 Ã betragen, erklärt Christiane Zahn, BNI-Direktorin für Nürnberg und Region.
Alles wird in den wöchentlichen Treffen zu früher Stunde erfasst: Wer hat wem eine Empfehlung ausgesprochen, ist daraus etwas geworden und falls ja, wie viel Geld ist dabei hängengeblieben? Die Mitglieder führen Buch und melden ihre zusätzlichen Umsätze an das BNI-Führungsteam. Die meisten betreiben nebenher Werbung in Form von Zeitungsanzeigen oder Flyern. Doch das Netzwerken soll zufällige Mundpropaganda zu einer Geschäftsstrategie machen.
Jetzt ergreift ein Gastronom das Wort: „Wenn ihr jemanden kennt . . .“
„Bei unseren Treffen geht es ums Geschäft“, sagt Christiane Zahn. Und um Zeit. Der Ablauf der regelmäßigen Sitzungen ist straff organisiert. Danach müssen die Teilnehmer schließlich zur Arbeit. 20 Punkte stehen auf der Agenda. Wer spricht, steht auf. Die Redezeit in der Vorstellungsrunde ist auf eine Minute begrenzt. Um dem Redner anzuzeigen, dass er zum Ende kommen soll, hebt jemand ein gelbes Schild mit der Aufschrift „Noch zehn Sekunden“. Dann ein rotes mit „Applaus“. Nur ein Anwesender pro Sitzung bekommt zehn Minuten Zeit, um sich und sein Geschäft ausführlicher vorzustellen. Nach eineinhalb Stunden ist das Treffen mit gemeinsamem Frühstück beendet. Dann folgen „Vier-Augen-Gespräche“. „So lernen sich die Mitglieder besser kennen“, sagt Zahn. Das sei die Basis für eine Empfehlung. Denn wer empfiehlt, trage auch eine Verantwortung. Sollte es bei einem Auftrag für den Kunden Probleme geben, falle das auch auf den Vermittler negativ zurück. „Es ist außerdem wichtig, die richtigen Empfehlungen zu bekommen“, so die BNI-Direktorin. Wer einen Großauftrag logistisch etwa nicht stemmen kann, hat letztlich nichts davon.
Ruth Schmidthammer hat von ihren Kontakten schon profitiert. Die Kommunikationsdesignerin aus Nürnberg hat für einen mallorquinischen Auftraggeber ein Logo entworfen und einige Hundert à daran verdient. „Normalerweise habe ich keine spanischen Kunden“, sagt sie. Der Vermittler, ein Teamkollege, bekommt von ihr ein ritualisiertes „Umsatzdanke“. Dann werden Kontaktdaten von potenziellen Kunden ausgetauscht. Ein Händeschütteln als Dankeschön an den Empfehler ist Pflicht.
Sechs BNI-Gruppen gibt es mittlerweile in Nürnberg, sie haben alle unterschiedliche Namen — Franconia, Sigena oder Henlein — folgen aber den gleichen Regeln. Weltweit. Pro Branche wird nur ein Vertreter in einem Team zugelassen, Schreiner, Heilpraktikerin und andere müssen also intern keine Konkurrenz fürchten. Scheidet ein Mitglied aus, ist der Platz für einen neuen Vertreter des Bereichs frei.
Ein Ausschuss entscheidet darüber, ob ein Neuling aufgenommen wird. Die Wahl fällt leichter, wenn der oder die Bewerberin vorher schon als Gast die Gruppe besucht und einen guten, engagierten Eindruck hinterlassen hat. Jeder Gast darf aber höchstens zweimal kommen. „Sonst wäre das wie schwarzfahren“, sagt Zahn, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter das BNI in und um Nürnberg betreibt.
Wer sich nicht einbringe, habe schlechte Chancen auf eine Verlängerung der Mitgliedschaft, die nach einem Jahr ansteht, erklärt Zahn. Ebenso, wer öfter als dreimal im Jahr fehlt, und sich nicht durch einen Kollegen vertreten lässt.
280 Mitglieder
Das Netzwerk finanziert sich über die jährlichen Mitgliedsbeiträge von 870 Ã, circa 280 Mitglieder zählt es in Nürnberg. Hinzu kommen die Gruppen in den Landkreisen, die in Zahns Zuständigkeitsbereich fallen. Erlangen etwa gehöre schon zum Gebiet des Kollegen in Würzburg, Ansbach noch zu ihr. Das BNI funktioniert nach dem Franchisesystem, einen Teil ihrer Einnahmen zahlt Zahn an den Franchisegeber, dessen Deutschlandsitz in Stuttgart ist.
Zum Schluss informiert die 52-Jährige die Anwesenden, welche Fachbereiche in der Franconia Gruppe, die erst im Oktober 2014 gegründet wurde, noch nicht besetzt sind: Eine Hausverwaltung wäre gut. Denn in dieser Branche laufen viele andere zusammen — vor allem die Handwerker im Team könnten davon profitieren. Auch Bestatter seien gute Multiplikatoren. „Falls ihr jemanden kennt . . .“
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