Vom Ackerboden zum Tennisplatz

6.12.2017, 17:26 Uhr
1904 konnte man in den Geschäften am Stadtpark diese Karte des Deumentenhofs erwerben – quasi als letzte Erinnerung an eine andere Welt.

© Verlag Dr. Trenkler (Sammlung Sebastian Gulden) 1904 konnte man in den Geschäften am Stadtpark diese Karte des Deumentenhofs erwerben – quasi als letzte Erinnerung an eine andere Welt.

1966 lief Adriano Celentanos Schlager "Il ragazzo della via Gluck" (Der Junge aus der Gluckstraße) im Radio rauf und runter. Das Lied handelt von einem Buben, der seinem Geburtshaus im Grünen den Rücken kehrt, um Jahre später festzustellen, dass die Stadt mit ihrem unbändigen Hunger nach Land sein früheres Zuhause aufgefressen hat. Heute, in Zeiten des Booms auf dem Bausektor, ist Celentanos Chanson aktueller denn je, die Thematik aber ist alt.

Schon vor über 100 Jahren konnten die Nürnberger und die Landbewohner ringsum den Wandel tagtäglich beobachten. Höfe und Ackerland wichen Straßen, Mietskasernen und Industriegebieten. Aufsehen erregte der Fall des Deumentenhofs, der im nördlichen Teil des heutigen Stadtparks lag. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass nicht etwa die städtische Bebauung selbst den Hof vernichtete, sondern das Bedürfnis ihrer Bewohner nach Freizeitflächen.

Die älteste Nachricht von besagtem Anwesen stammt von Heinrich Schaller, der beim Ankauf des Gehöfts seine Initialen und die Jahreszahl 1683 im Sturz der Haustür hinterließ. Sohn Georg erweiterte den Hof 1702 um ein Nebengebäude. Seinen später gebräuchlichen Namen bekam der südliche Hofteil 1773 verpasst, als das Anwesen auf zwei Erben aufgeteilt wurde. "Deumente" ist eine alte Bezeichnung für die Minze, die in dieser Gegend geradezu gewuchert haben soll. Der nördliche Hofteil firmierte weiterhin unter dem Namen "Schallershof". Bevor der Inhaber des Deumentenhofs kinderlos starb, vermachte er seinen Besitz dem Gutsverwalter Johann Michael Süß.

Wo einst wild die Minze wucherte, findet man heute streng getrimmtes Kulturgrün vor. Auch nicht übel, aber mit Bauernhof wär’s noch hübscher.

Wo einst wild die Minze wucherte, findet man heute streng getrimmtes Kulturgrün vor. Auch nicht übel, aber mit Bauernhof wär’s noch hübscher. © Boris Leuthold

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts warf die Großstadt ihre Schatten voraus. Der Judenbühl südwestlich des Hofs hieß nun – zu Ehren des bayerischen Königs – "Maxfeld" und wurde zum Stadtpark. So kam es, dass um 1900 das gepflegte Bürgergrün des Maxfelds und die urwüchsige Gartenlandschaft des Deumentenhofs Zaun an Zaun lagen. Aber nicht lange. 1902 kaufte die Stadt den damaligen Besitzern Kunigunde und Andreas Süß das Anwesen ab.

Für ihre Entstehungszeit wohl einmalig: Seit 1905 erinnert ein Gedenkstein mit Plakette an den verschwundenen Deumentenhof.

Für ihre Entstehungszeit wohl einmalig: Seit 1905 erinnert ein Gedenkstein mit Plakette an den verschwundenen Deumentenhof. © Boris Leuthold

Offenbar rissen Schreiner Uebelein und Ökonom Schwahn, die sich Ziegel und Holzteile der Gebäude gesichert hatten, in den alten Gemäuern dermaßen herum, dass es in und um den Deumentenhof schon vor dem Abbruch aussah wie Kraut und Rüben. Nicht umsonst schrieb die Lokalpresse: "Hoffentlich wird schnelle Arbeit geleistet, damit der neue Teil des Stadtparks bald ein freundlicheres Aussehen gewinnt, als er in den letzten Monaten hatte."

Am 1. April 1905 rückte das Abrisskommando an, um die Reste der Gebäude einzureißen. Damit war nach 222 Jahren die Geschichte des Deumentenhofs zu Ende. Der Schallershof war bereits einige Jahre früher der Spitzhacke zum Opfer gefallen.

Um 1925 legte Julius Richter nordöstlich des neuen Parkteils Tennisplätze an, auf denen sich die High Society auf ein Match traf. Das passte vortrefflich zu dem Umfeld, das sich mittlerweile zum Nobelviertel gemausert hatte. Noch heute zeugen prachtvolle Villen an der Virchowstraße vom Repräsentationswillen ihrer Bewohner. Auch das Ehepaar Süß verbrachte seinen Lebensabend in der Jugendstilvilla Nr. 34. Das Geld aus dem Verkauf ihrer Ländereien hatte sie wohlhabend gemacht.

Heute reicht Nürnberg mehrere Kilometer hinter den einstigen Deumentenhof hinaus. Ehemals eigenständige Ortschaften wie Ziegelstein, Thon, Groß- und Kleinreuth hinter der Veste sind längst mit der Kernstadt verwachsen.

Nach dem Abbruch des Hofs frönte an seiner Stelle die feine Gesellschaft dem „Weißen Sport“. Die Villa Ertheiler (im Hintergrund links) wurde 1977 abgerissen.

Nach dem Abbruch des Hofs frönte an seiner Stelle die feine Gesellschaft dem „Weißen Sport“. Die Villa Ertheiler (im Hintergrund links) wurde 1977 abgerissen. © Wilhelm Biede (Sammlung Sebastian Gulden)

Allerdings ließen die Nürnberger der Deumentenhof nicht ohne Wehmut gehen: An der Hofstatt errichteten sie ihm ein Denkmal, benannten eine nahe gelegene Straße nach ihm und verschickten Ansichtskarten mit seinem Bild. Der Hausforscher Fritz Traugott Schulz dokumentierte die Bauten vor dem Abbruch in gestochen scharfen Fotografien, die heute im Stadtarchiv aufbewahrt werden. Und wer weiß, vielleicht dachte auch das Ehepaar Süß manchmal wehmütig an die Zeit zurück, als die Stadt noch in der Ferne lag und ihr Hof einsam im Grünen.

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