Wüste Zerstörung im Milchhof

12.11.2005, 00:00 Uhr
Wüste Zerstörung im Milchhof

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Vor zehn Jahren hat die Bayerische Milchunion ihre letzte Milch an der Kressengartenstraße eingetütet, seit 1996 sind die großen Hallen schließlich ganz verwaist und immer mehr heruntergekommen. Viele Fensterscheiben und Glastüren sind zerschlagen, die Treppenaufgänge und Wände mit Graffiti verschmiert. Ein dünnes Gitter sichert notdürftig eine Aufzugstüre, damit niemand in den Schacht stürzt. Bunte Farbkleckse am Boden und an den Mauern legen die Vermutung nahe, dass die verlassene Industrie-Brache schon des öfteren von Gotcha-Spielern für ihre Überlebens-Spielchen heimgesucht wurden.

SEK übte „Häuserkampf“

Sie können jedoch auch von Mitgliedern des polizeilichen Spezialeinsatzkommandos (SEK) stammen, die hier Häuserkampf trainiert haben. Als besondere „SEK-Visitenkarte“ sind aufgesprengte, verbeulte Stahltüren und durchbrochene Mauern zurückgeblieben. Auch Technisches Hilfswerk und die Feuerwehr haben sich in dem einsamen Areal auf mögliche Einsätze vorbereitet.

Dibag-Sprecher Rüdiger Berghaus unterstreicht, dass das Gebäude von firmeneigenem Personal kontrolliert wird. Doch der 51-Jährige muss einräumen, dass sich das 45 000 Quadratmeter große Areal nur schwer überwachen lässt. Gerade von den Bahngleisen her ist das Gelände kaum einsehbar. Wie zur Bestätigung stößt die Lokalredaktion bei einem Ortstermin auf vier Studenten, die in dem 108 Meter langen einstigen Betriebsgebäude mit seinem einzigartigen trapezförmigen Faltdach fotografieren wollen. Das Hinweisschild am Eingang, dass das Betreten für Unbefugte verboten ist, hat sie nicht abgeschreckt.

Nürnbergs Stadtheimatpfleger Herbert May ist fassungslos über den verwahrlosten Zustand des bedeutenden Industriedenkmals, das 1930 nach Plänen des renommierten Architekten Otto Ernst Schweizer (siehe Kasten „Zur Sache“) errichtet worden war: „Ich bin erschüttert von den schweren Schäden. Wie kann man nur so gedankenlos und brutal mit einem Baudenkmal umgehen?“ Die massivsten Eingriffe stammen vom früheren Besitzer: So hat man beispielsweise einen Teil des charakteristischen Betondachs herausgeschnitten, um mit einem Kran die großen Stahltanks zu bergen. Anschließend wurde die Betonkonstruktion einfach wieder aufgesetzt. Außerdem hat man die Kupferabdeckung des Dachs abmontiert und verwertet. Dadurch schützte nur noch eine dünne Teerpappe völlig ungenügend vor Witterungseinflüssen.

„Die Statik am Dach ist komplett gestört“, resümiert Christian Klingenmeier, der für den neuen Eigentümer Dibag ein gründliches Schadensgutachten erstellt hat. Im Grunde müsste man den Beton komplett entfernen und auf das Stahlgerippe neu aufbringen. Tragende Stützen sind ebenfalls sanierungsbedürftig. Die Kosten beziffert der Fachmann auf über fünf Millionen Euro. Dabei ist die Entsorgung von Krebs erregendem Dämmmaterial aus einer Teerkorkschicht bei den einstigen Kühlräumen noch nicht einmal inbegriffen.

Nach Lektüre des neuen Gutachtens hält Konservator Matthias Exner vom Landesamt für Denkmalpflege die Chance für den Erhalt der „architektonisch herausragenden Halle für sehr geschrumpft“. Auf die Frage, ob der neue Eigentümer eine Alternative zu einem Komplettabbruch sieht, antwortet Dibag-Sprecher Berghaus: „Das Gebäude ist so zerstört, dass es wirtschaftlich keinen Sinn macht, es zu erhalten.“ Der mehrfach diskutierten Idee, die Halle in ein Parkhaus umzubauen, gibt er wenig Chancen: „Wir prüfen es gerne noch einmal, aber ich glaube kaum, dass wir zu einem anderen Ergebnis kommen. Man schleppt doch bei allen Kalkulationen die fünf Millionen Euro Reparaturkosten mit.“

Bei einem Treffen mit Denkmalpflegern und Baureferent Wolfgang Baumann sagte Berghaus kürzlich jedoch zu, dass das Unternehmen Dibag sich Gedanken über ein Gesamtkonzept macht: „Es gibt kein fertiges Ergebnis, wir richten uns nach dem Markt.“ Es habe bereits „diverse Anfragen aus Dienstleistung, Großhandel und produzierendem Gewerbe“ gegeben, äußert er vage. Der Firmensprecher lässt aber keinen Zweifel, dass sein Unternehmen am Grundstück und nicht am denkmalgeschützten Gebäude interessiert ist. Mit dem Adcom-Center am Willy-Brandt-Platz, dem „Hercules-Park“ an der Nopitschstraße und dem einstigen National Machinery-Gelände an der Regensburger Straße habe Dibag bewiesen, dass es das Geschäft der Vermarktung von Industriebrachen beherrsche.

Pochen auf Gesamtkonzept

Baureferent Baumann pocht jedoch auf eine Gesamtbetrachtung des Areals: Man dürfe nicht die fünf Millionen Euro für das Parkhaus isoliert sehen, sondern müsse die Entwicklung des ganzen Geländes langfristig angehen. „Ich appelliere an Dibag, sich ein umfassendes Nutzungskonzept einfallen zu lassen. Das Unternehmen hat die Kompetenz dazu. Schließlich ist es kein Immobilienhändler, der auf der Brennsuppe dahergeschwommen ist.“