Zehntausend Fotos für die Selbstfindung

10.02.2009, 00:00 Uhr
Zehntausend Fotos für die Selbstfindung

© Joswig

Auch wenn Bilder an der Wand und das ausgesuchte Sitzmobiliar in einer Ecke der Georg-Simon-Ohm-Hochschule etwas anderes suggerieren – die Möbel, in denen sich die beiden Besucherinnen einfach niedergelassen haben, sind Bestandteile der Diplomarbeit von Julia Klaus: einer fiktiven Stätte russischer Esskultur, an deren Konzeption die 25-Jährige Monate lang gefeilt hat. In denen sie Schriften für die Computerpräsentation entwickelt, Foto-Collagen und Speisekarten erstellt hat, bis hin zum Glasuntersetzer mit Mottoaufdruck. Alles mit dem «Fineliner» von Hand gezeichnet und am Computer mit einem Spezialprogramm vektorisiert.

In Nowosibirsk geboren, will sie «russische Kultur ins Hier und Jetzt transportieren.» Aber keine weitere Russendisko à la Kaminer. Auch nicht eine dieser oft strapazierten Ostalgie-Geschichten. Ihr fiktives «Kombinat» soll seine Besucher auf eine Reise durch Russlands Küchen und Wohnzimmer mitnehmen. Dorthin, wo gegessen, getrunken und gefeiert wird. Wenn alles gut geht, wird sie vielleicht sogar ein eigenes, echtes Café «Kombinat» aufmachen. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Zusammen mit den Abschlussarbeiten von 27 weiteren Diplomanden – 15 Frauen und 12 Männern - ist ihr Beitrag nur noch heute in der Ausstellung «Eins Plus» zu sehen. So unterschiedlich die Disziplinen sind, so vielfältig fallen die Ergebnisse aus. Vom Trailer für ein Konsolenspiel über vollständige Werbekampagnen und ausgeklügelte Internetauftritte ist alles vertreten.

«In diesem Jahr ist es sehr gemischt: Es gibt inszenierte Fotografie, aber auch große Kohlezeichnungen. Es ist Werbung dabei, und Buchgestaltung. Wie immer sind Illustrationen zahlreich vertreten», berichtet Peter Krüll, Professor für Typografie. Ins Auge stechen solche Werke wie die «Glaubensbekenntnisse» von Thomas Beyerlein: drei großformatig inszenierte fotografische Momentaufnahmen zum Thema «Werte» und «Auseinandersetzung mit sich selbst». «Am meisten hat mich dabei überrascht, dass ich durch das Studium zur Fotografie gefunden habe», erzählt Beyerlein.

Immerhin ist im Katalog von seiner «glücklichen Kindheit» die Rede. Aber sieht so eine glückliche Kindheit aus? Ein Papier-Recyclinghof, in dem eine junge Frau rittlings auf einer Waschmaschine sitzt und von lassoschwingenden Zweijährigen mit Erwachsenengesichtern umzingelt wird? Oder ein Mann, der zwischen den finsteren Gängen einer Lagerhalle an seinen Mundwinkeln aufgehängt ist? Ein bedrohlicher Wald gar, in dem Dutzende von Männern in Business-Anzügen in einer menschlichen Pyramide durch- und übereinander klettern?

Thomas Beyerlein grinst: «Auch wenn man eine glückliche Kindheit hatte, macht man sich vermutlich immer ein paar Gedanken über die Welt, die einen umgibt!» In seinem Fall mittels einer theatralen Inszenierung in Sachen Sinnerfüllung.

Weil das eine aufwändige Arbeit ist, mussten über 10 000 Fotos gesichtet und am PC nachgearbeitet werden. Verschiedene Ansatzpunkte und Übergänge mussten gefunden, Bilder Stück für Stück entworfen und aufgebaut werden. Schließlich kann man so viele Personen nicht alle an einem Tag fotografieren. Also immer der Reihe nach. «Fünf Monate hing ich da dran, Tag und Nacht», erinnert er sich, «aber es war Winter, und den mag ich halt nicht. Da hab ich die Zeit eben so genutzt.»

Auch für Bogdan Octav Rakolcza sind Fotografien neben dem Zeichnen das Wichtigste. «Mir liegt vor allen Dingen der menschliche Ausdruck am Herzen. Egal, ob musikalisch, durch Bewegung, Fotografie oder Gekritzel.» Und den hat er unübersehbar gefunden: In seiner Abschlussarbeit, einem fast rauschhaft fotografierten Bildband samt Ausstellung über die Capoeira Angola, eine von brasilianischen Sklaven erfundene Mischung aus Kampfsport und Tanz.

Weil die Capoeira Angola neben den Fotos seine zweite große Lebensleidenschaft geworden ist, will der gebürtige Rumäne irgendwann in seine Heimat zurückziehen. «Ich möchte den Leuten dort ein bisschen von den Ur-Fertigkeiten beibringen, um die es beim Capoeira geht. Denn Musik, Ausdruck, Bewegung, das Künstlerische ist in Rumänien etwas untergegangen.»

Buchillustrationen sind in diesem Jahr nicht ganz so zahlreich vertreten. Monika Weigand hat für ihr Kinderbuch aus dem eigenen Leben Anleihen genommen. Wer könnte einem Kind lehrreiche Dinge besser vermitteln, als eine Kommunikationsdesignerin, die selbst Mutter ist? Also stellt sie ihrer kleinen Tochter – und anderen geneigten Lesern – auf Doppelseiten die wichtigsten Gegensätze vor: alt und jung, klein und groß oder schnell und langsam. Mit Hilfe der Monotypie (Durchdrückzeichnung) erreicht sie dank sparsamer Farbgebung und klarer Linienführung einen hohen Wiedererkennungswert.

Bewusst facettenreich erzählt dagegen Carlos Ancot in «Rheingold» (nach dem Roman von Stephan Grundy) den Siegfried-Mythos auf 140 Seiten neu: mit rein am Computer erstellen Bildern, die dem düsteren Grundtenor des Buches angepasst sind, Die Figuren und Gestalten erinnern freilich auch an Tolkien. Mit ihren leuchtenden Farben springen sie den Betrachter an.

Eher von praktischem Nutzen ist der Leitfaden für umweltfreundliches Kommunikationsdesign, welchen Christian Elitzer für Werbeagenturen entwickelt hat. Seine Broschüre und Plakatserie gibt Tipps und Ratschläge, wie man – angefangen bei der Auswahl des Papiers und der Druckerei bis zur Weiterverarbeitung – energiesparend arbeiten kann.

Auch die illustrative Bearbeitung des Themas «Spam» in Form eines erweiterten Buches von Tina Mertlbauer lässt sich dem Umweltschutz zuordnen. Darin hat die auf Illustration und Web spezialisierte Passauerin hundert handgezeichnete und -geschriebene Seiten zusammengefasst. Eine wilde Mischung aus gesammelten Spam-Mails, Hintergründigem zu ihrer Herkunft und dem täglichen Kampf gegen den elektronischen Müll. Weil ihrem Buch zusätzlich ein Bastel-Set mit Stempeln und Postkarten beiliegt, lernen wir bei ihr, wie man aus der lästigen Spam-Flut etwas Kreatives basteln kann und wie man Hässliches in Hübsches verwandelt.

Natürlich gibt es auch Absolventen, die das Arbeiten ins Blaue hinein dank erster Auftragsarbeiten bereits hinter sich haben. Vera Döhler etwa, die für Nexans Auto Electric, einem Hersteller von Leitsystemen für die Autoindustrie, einen neuen grafischen Auftritt samt Briefpapier und Visitenkarten entwickelt hat. Besonderer Blickfang: Die filigranen Technikteile auf der dazugehörigen Plakatserie, die durch ihre künstlerische Anordnung einen wunderschön floralen Charakter haben, und hinter den sich doch nur Schaltkästchen und Kabelstränge verbergen.

Auch Agnes Mazurowski ist eine der Glücklichen, die bereits in eigener Sache designt: ein Geschäftskonzept für das junge Motocross-Unternehmen BSN-Racing. Im Mittelpunkt steht bei ihr das unverwechselbare, mit nur wenigen Strichen piktografierte Raubkatzengesicht, mit dem sich künftige Kunden an «ihre» Marke gebunden fühlen sollen.

Wie sehr unsere Sichtweise von Bildern geprägt ist, wird auch bei der auf dem elektronischen Zeichenbrett entstandenen Diplomarbeit «Icons» von Verena-Kristin Helbach klar. Schon ein Minimum an Information reicht aus, um uns sofort erkennen zu lassen, welche Person oder was wir vor uns haben: Piktogramme von Charlie Chaplin, dem Dalai Lama oder Che Guevara oder die angedeutete Skyline von London, Rio und Berlin. Nachdenken und Mitraten erwünscht!

Eine Diplomandin, die mit Sicherheit ebenfalls nicht lange auftragslos bleiben wird, ist Elke Schuster. Mit ihrer Agentur für Seniorenmarketing und Werbung hat sie ein außergewöhnliches Konzept geschaffen, dass die Gruppe der so genannten «Best Ager», die Generation «50+» eindrucksvoll umwirbt. Nicht nur mit Bildern von Models im fortgeschrittenen Alter und ungewöhnlichen Bildeinstellungen, die deutlich gegen die gängige Werbefotografie antreten, arbeitet sie, sondern auch mit intensiver Recherche, Analyse, Statistik und Forschungsergebnissen darüber, wer die meiste Kaufkraft im Lande besitzt.

Und so sieht eine Arbeit aus, deren künstlerische Leistung der Professorenschaft eine besondere Erwähnung wert ist: Der «DQ – Design Quotient» von Raffael Ziegler. Weil es der frisch diplomierte Mediendesigner schon immer bedauert hat, dass sich nach dem Studium alle aus den Augen verlieren, entwickelte er kurzerhand eine Homepage (www.design-quotient.de), auf der alle Studenten und Projekte eines Abschlussjahrgangs verknüpft sind. «Eine Heidenarbeit, die schon allein fünf Wochen gedauert hat. Mit mehr als 6000 Programmierzeilen!», so Ziegler. Wer sich mit Programmiercodes auskennt, weiß, was das bedeutet. Der Auffassung dürfte auch der Prodekan Professor Gerd Lindemann gewesen sein: «Raffael Ziegler zeigt nach unserer Auffassung mit dem ,DQ‘, wie sich Technik und Design in kongenialer Weise zu innovativen Werkzeugen medialer Kommunikation entwickeln lassen.» Wenn das keine Eintrittskarte in die Zukunft ist!

Letzter Ausstellungstag:

heute von 9 bis 18 Uhr.

Georg-Simon-Ohm-Hochschule, Fakultät Design,

Wassertorstraße 10

Für Nachzügler im Internet unter:

www.einsplus-designdiplom.de

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