Peggy-Prozess: Ex-Verteidiger nennt Kulac "Märchenerzähler"

6.5.2014, 17:00 Uhr
Am fünften Verhandlungstag sagte der ehemalige Verteidiger von Ulvi Kulac aus.

© David Ebener (dpa) Am fünften Verhandlungstag sagte der ehemalige Verteidiger von Ulvi Kulac aus.

Die Eltern Elsa und Erdal Kulac haben am Dienstag beim Wiederaufnahmeverfahren ausgesagt. Beide Eltern sind gesundheitlich schwer angeschlagen. Der Vater leidet unter den Spätfolgen eines Herzinfarktes, die Mutter muss ihre Aussage immer wieder unterbrechen. Mit tränenerstickter Stimme schilderte sie, was am 7. Mai 2001 aus ihrer heutigen Erinnerung geschah. Ulvi Kulac sei erst spät aufgestanden. Zwischen 12.30 und 13 Uhr habe sie ihn geweckt. Danach habe man gemeinsam gegessen, Hasenbraten mit Klößen. Einige Zuhörer müssen lachen, als sie erzählt, dass Kulac sich über das Essen beschwert habe: "Wegen der Knochen, weil er den Hasenrücken erwischt hat."

Anschließend sei ihr Sohn zum Nachbar gegangen, wo er beim Holzschlichten half. Die Mutter drängte Kulac dazu, den "Blaumann anzuziehen, auf der die Polizei angeblich Blutspuren gefunden hat". Die Mutter gab in der Vernenehmung an, dass sich der Nachbar beim Holzmachen verletzt habe. "Daher könnten die Blutspuren stammen", vermutet Elsa Kulac heute. Tatsächlich hatte die Gerichtsmedizin Spuren von Hämoglobin festgestellt - dies stammte aber nicht von Peggy.

Am Nachmittag wurde der Gutachter Hans-Ludwig Kröber angehört, der das Geständnis von Ulvi Kulac vor zehn Jahren als glaubwürdig eingestuft hatte. "Nach wie vor spricht viel für die Annahme, dass das Geständnis erlebnisbegründet ist“, sagte der Experte. Das sei die mit Abstand schlüssigste Erklärung. Der Berliner Professor kam damit zur gleichen Einschätzung wie beim ersten Prozess vor zehn Jahren.

Kröber schränkte seine Bewertung lediglich ein wenig ein. Es sei nicht auszuschließen, dass es ein „aussagepsychologisch gutes, aber falsches Geständnis“ gewesen sei, sagte er. Dafür gebe es allerdings „keine naheliegende und wahrscheinliche Erklärung“. Außerdem seien falsche Geständnisse sehr selten.

Kröber beschrieb den Angeklagten als „ohne Zweifel minderintelligent“. Dennoch könne er nicht schlechter als ein normal Intelligenter zwischen Phantasie und Realität unterscheiden. Das Geständnis habe einen kontinuierlichen Geschehensablauf umfasst, sei in sich schlüssig und mit den äußeren Bedingungen vereinbar gewesen.

Frührer Verteidiger erinnert sich nicht mehr an Details

Schon am Vormittag widerspricht der frühere Verteidiger von Kulac in vielen Punkten der Darstellung der damaligen Ermittler, räumt aber ein, sich an eine ganze Reihe an Details nicht mehr erinnern zu können. "Ich weiß nicht, was damals passiert ist, aber das Urteil war falsch", sagte der 52-jährige Rechtsanwalt Wolfgang S. bei seiner Vernehmung. Kulac sei ein "Märchenerzähler“, sagt S. Er nehme Sachen auf, die er gehört habe und baue sie in seine Erzählungen ein. Deshalb habe er schriftlich verfügt, dass sein Mandant nicht ohne sein Beisein habe vernommen werden dürfen. Genau das ist aber passiert.

Anwalt S. versicherte mehrfach, er habe sich diesen Tag, den 2. Juli 2002, komplett für die Vernehmungen und die Arbeit mit seinem Mandanten Kulac freigehalten. Doch um 10.37 Uhr habe die Sonderkommission bei der Kriminalpolizei in Bayreuth, wohin man Kulac aus dem Bezirkskrankenhaus (BKH) gebracht hatte, die Vernehmung mit seinem Rechtsbeistand S. für beendet erklärt.

Kulac sollte zurück ins BKH transportiert werden, und Rechtsanwalt S. fuhr in einen wenige Minuten entfernt gelegenen Supermarkt, um sich ein Mittagessen zu besorgen. "Ich bin noch nicht einmal bedient worden, da klingelte mein Handy“, gab S. zu Protokoll. Kriminaldirektor Wolfgang Geier sei am Apparat gewesen und habe ihm gesagt: "Stellen Sie sich vor, jetzt hat er gestanden“. 10, höchstens 15 Minuten später sei der Anruf gekommen, versichert der Anwalt heute.

Widerspruch zu Aussagen der Kripo

In den polizeilichen Akten aber ist zu finden, das Geständnis sei zwischen 11 und 11.40 Uhr gefallen, also eine ganze Stunde später. Der Widerspruch lässt sich nicht mehr aufklären. S. hatte sich kurz danach in seinen Unterlagen notiert, Kulac habe im Auto auf dem Weg ins BKH ein Geständnis abgelegt. Die Kripo vermerkte jedoch, die Sätze seien in den Inspektionsräumen gefallen. Ein weiterer Widerspruch, der im Lauf der Verhandlung nicht aufgelöst werden kann, zumal sich in den Akten sowohl die Pkw-Version wie auch die der Aussage in dem Zimmer wieder findet.

Auf die Frage, warum er denn plötzlich ohne seine Anwesenheit ein Geständnis abgelegt habe, habe Kulac nur geantwortet: "Weil ich es wollte“. Auch wie es überhaupt dazu kam, dass Kulac, heute 36, vor Polizisten plötzlich zugab, die neunjährige Peggy auf dem Nachhauseweg von der Schule in Lichtenberg verfolgt zu haben und ihr schließlich, als sie an der Burgmauer eine Treppe hinabgestürzt sei, Mund und Nase zugehalten habe, wirft Fragen auf. Hatte Ulvi sie geschubst, ist sie selbst gestürzt? Vieles bleibt unklar.

Eine Hypothese, wie die Tat abgelaufen hätte sein können, habe er nirgends in den Unterlagen gefunden, versichert der Anwalt. Doch es gab sie. Lange vor dem Geständnis hatte die Polizei einen Hergang konstruiert – später beschrieb Kulac den Vorgang genau so, wie ihn die Ermittler angenommen hatten. Eine Tatsache , die letztlich zur Wiederaufnahme des Prozesses geführt hatte.

Schulfreunde wollen Peggy nach Verschwinden gesehen haben

Besonders erboste aber den Rechtsanwalt aus Oberfranken, dass die Polizei seinen Urlaub im Juli/August 2002 genutzt habe, um nach dem dubiosen Geständnis die Tat per Video zu rekonstruieren. Er hätte sich gegen dieses Vorgehen ausgesprochen, sagte S. Zeitgleich belegt sein Terminkalender, dass es bis zu seinem Urlaub eine ganze Reihe an Terminen mit Kulac und den Ermittlern gegeben hatte. Den Vorwurf, die Polizei sei erst in seinem Urlaub aktiv geworden und habe weitere Vernehmungen durchgeführt, wies Staatsanwältin Sandra Staade deshalb zurück.

Zwei Schulfreunde von Peggy, die sie noch am Nachmittag und am Abend des 7. Mai 2001 gesehen haben wollen, als die Neunjährige nach Überzeugung des Gerichts längst hätte tot sein sollen, sagten jetzt aus, die Ermittler hätten ihnen damals suggeriert, sie müssten sich getäuscht haben. "Und ich wollte ja nicht, dass es in die falsche Richtung geht. Es geht ja hier um einen Mordfall“, betonte der 23-Jährige. "Ich habe damals die Wahrheit gesagt“, betonte der 24-Jährige.

Dieser Artikel wurde am 6. Mai zuletzt um 17 Uhr aktualisiert.

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