Rettung von Großtieren: Feuerwehr probt für den Ernstfall

Thomas Klein

21.7.2019, 16:04 Uhr

Immer wieder müssen Pferde, Rinder oder andere große Tiere aus Notlagen befreit werden. Das können Gräben, Bachläufe oder Schlammlöcher in unwegsamen Gelände sein, aber auch Pools, Boxen am Reiterhof, oder bei Unfällen im Straßenverkehr der Transporter.

Für die Einsatzkräfte vor Ort ist ein solcher Fall meist eine echte Herausforderung – vergleichbar mit einem Gefahrguteinsatz: Sie wissen nicht, was sie erwartet und arbeiten mit einem Tier, dessen Verhalten in einer Notsituation so gut wie unkalkulierbar ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass am Einsatzort anwesende Personen wie der Pferdebesitzer, andere Reiter oder Passanten ein zusätzliches Risiko darstellen. Einer amerikanischen Studie zufolge würden 83 Prozent der Tierbesitzer ihre Gesundheit oder gar ihr Leben riskieren, um ihrem Liebling zu helfen. Die gute Absicht kann schlimme Folgen haben.

Bis vor wenigen Jahren gab es in Deutschland keine Ausbildung für derartige Einsatzfälle. Die Rettungskräfte der Feuerwehren haben – unvorbereitet – nach bestem Wissen und mit viel gutem Willen improvisiert. Dabei haben sie nicht selten ihre eigene Sicherheit und die Unversehrtheit des Tieres aufs Spiel gesetzt. Damit sich das ändert, trainiert Lutz Hauch, Deutschlands einziger zertifizierter Großtierretter mit Feuerwehrerfahrung, Rettungskräfte nach dem Konzept, das sich in Großbritannien bereits seit fast 20 Jahren bewährt.

Unkalkulierbare Gefahr

Jeder Rettungseinsatz birgt Risiken. Wer sich an einem Einsatzort mit einem oder mehreren Großtieren – dazu gehören Pferde und Rinder, aber auch Lamas, Esel, Bisons – aufhält, setzt sich speziellen, teils erheblichen Gefahren aus. Denn Einsatzkräfte, aber auch Tierärzte, die an eine Unfallstelle gerufen werden, verhalten sich dort oft falsch: Unwissend bringen sie sich in Gefahr – sogar in Lebensgefahr.

Das gilt übrigens auch für Reiter oder Landwirte, die häufig abwiegeln mit dem Hinweis, dass sie das Verhalten von Tieren abschätzen können – ein Trugschluss, der schlimme Auswirkungen haben kann. "Pferde in Notsituationen zeigen andere Verhaltensweisen als unter normalen Umständen. Ruhige und extrem aktive Phasen wechseln sich ab. Ein ruhig liegendes Pferd wird, sobald es die Freiheit spürt, vehement ums Überleben kämpfen.

In großer Gefahr sind bei derartigen Einsätzen vor allem die Rettungskräfte, denn sie sind den vom Tier ausgehenden Gefahren ganz unmittelbar ausgesetzt", weiß Großtierrettungstrainer Lutz Hauch.

Unfälle mit Großtieren passieren glücklicherweise nicht täglich, aber häufiger, als man denkt. Fast jede Feuerwehr kann von einem oder mehreren Einsätzen berichten. Klaus Kondert, Leiter der Feuerwehr Oberasbach erinnert sich: Das am vergangenen Samstag absolvierte ganztägige Sicherheitstraining begann mit einem zweistündigen Seminar, in dem Trainer Lutz Hauch Grundlagenwissen vermittelt. Dazu gehören Themen wie Wahrnehmungen und Reaktionen von Tieren in Stresssituationen sowie die sich daraus ergebenden Gefahren ebenso wie Einsatzstrategien.

Mithilfe verschiedener Einsatzvideos wird an positiven und negativen Beispielen gelernt: Da sieht man Rettungskräfte beim Versuch, sich dem hilflos im Graben liegenden Pferd zu nähern und dabei den rudernden Pferdebeinen und dem um sich schlagenden Kopf gefährlich nahekommen. Quälend lange mühen sich die Rettungskräfte, ungeschult und unzureichend ausgerüstet, aber hoch motiviert. Solche Einsätze ­– im Seminar im Zeitraffer verkürzt – dauern nicht selten Stunden; Stunden, in denen die Retter gefährdet und dem Tier unnötige Schmerzen und Stress zugemutet werden.

Lebensgroßer Pferdedummy

Nach dem Seminarteil ging es für die Trainingsteilnehmer ans Eingemachte: Sie lernten praktisch an Sam, Lutz Hauchs lebensgroßem Pferdedummy, wie eine Großtierrettung ablaufen sollte. Die Trainingsteilnehmer trugen dabei ihre Schutzausrüstung, wie es auch im Einsatz Pflicht ist. Pferdedummy Sam mit seinem Gewicht von 200 kg und beweglichen Gelenken ließ alle Übungen geduldig über sich ergehen und verübelte Fehler, die beim Üben gemacht werden durften, nicht.

Das Anlegen eines Notfallhalfters, die verschiedenen Fädeltechniken, um Spezialgurte unter das Tier zu bringen, unterschiedliche der jeweiligen Situation angepasste Verfahren, das Tier zu bewegen – all das wurde erlernt und geübt. Bei allen Rettungstechniken wurden speziell für die Großtierrettung entwickelte Werkzeuge verwendet, die geeignet sind, Tiere sicher, schonend und schmerzfrei zu befreien. Um dem Vierbeiner nicht zu nahe kommen zu müssen, kamen lange Haken als Armverlängerung zum Einsatz.

Mit Fädelhilfen konnten aus sicherer Entfernung spezielle breite Gurte unter Sam durchgezogen werden. Abschließend wurden realistische Übungsszenarien gestellt. Die Aufgabe lautete, Pferdedummy Sam aus einem Teich, einem morastigen Graben und dem Hänger zu „retten“ – und das unter Anwendung der erlernten Techniken. Der Teilnehmer in der Rolle des Sicherheitsbeauftragten am Einsatzort schritt mit lautem Alarmruf ein, sobald sich ein Übungsteilnehmer in die „Gefahrenzone“ bewegte.

Bis auf das Tier, vertreten durch Pferdedummy Sam, wurden alle Einsatzszenarien so realistisch wie möglich nachgestellt, um die Teilnehmer gut auf den Ernstfall vorzubereiten. Denn genau das ist das Ziel beim Sicherheitstraining Großtierrettung.

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