Auch ohne Schuldspruch gestraft genug
07.03.2012, 00:00 Uhr Es war eine schicksalhafte Verkettung von Umständen, durch die die Pflegerin in das Dilemma geriet. Ihr Mann, Lehrer von Beruf, hatte auf Anregung einer Schul-Sozialarbeiterin die Idee, den nicht ganz unproblematischen 15-jährigen Daniel P. (Name geändert) unter seine Fittiche zu nehmen, um ihn für eine Lehrstelle fit zu machen. Auf dem Bau des Ehepaares im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen sollte P. mithelfen, um sich danach mit einer Empfehlung bewerben zu können.
Schon bald habe sie festgestellt, dass Daniel, der bei dem Ehepaar wohnte, „die Nähe zu mir sucht“, sagte die 34-Jährige, beispielsweise hat er am Abend „den Kopf auf meine Oberschenkel gelegt“. Sie habe mit ihrem Mann darüber gesprochen, doch der habe diesen Annäherungsversuchen keine größere Bedeutung beigemessen.
Im Oktober ist es dann passiert. Daniel küsste die 34-Jährige auf der Baustelle. Sie sei erst weggelaufen, doch dann „haben wir doch miteinander geschlafen“, räumte die Frau ein, die ja eine Pflegschaft für den Jugendlichen übernehmen wollte. „Ich habe angefangen, Gefühle zu erwidern“, schilderte die Pflegerin, „ich habe mich geschämt und den Vorfall auch meinem Mann gebeichtet“. Stinksauer sei der gewesen, doch er habe Daniel wieder mit nach Hause gebracht: „Dann ist es wieder passiert, dass ich mit ihm geschlafen habe.“
Der Lehrer hat die beiden in flagranti erwischt, und es kam zu einem heftigen Vorfall. Er hat den jungen Mann gepackt und aus der Wohnung befördert, und die 34-Jährige sagte zu ihrem Mann, dass auch sie gehen würde, wenn Daniel gehen muss.
Der Ehemann ist ausgezogen, die Pflegerin ist in den Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen gezogen, die Scheidung läuft. Als die Rede auf die beiden gemeinsamen Kinder (fünf und sechs Jahre alt) kommt, verliert die Angeklagte zum ersten Mal die Fassung und ringt mit den Tränen: „Die Kinder sind weg“, sagt sie, sie darf sie nur alle 14 Tage sehen. „Ich stehe vor einem Scherbenhaufen.“
„Haben Sie die Beziehung zu Daniel aufrecht erhalten?“, wollte Jugendrichter Reinhard Hader wissen. „Ja“, sagte die 34-Jährige. Nach einem heftigen Streit aber sei die Sache beendet. Daniel hatte die Frau geschlagen, fühlte sich schuldig, „dass er meine Ehe zerstört hat“, wollte sich mit einem Messer verletzen, schilderte die Angeklagte.
Sie habe dann nach dem Messer gegriffen, habe es festgehalten, doch Daniel — ein junger Mann von kräftiger Statur — habe ihre Hand mit dem Messer gegen seinen Oberkörper geführt und sich selbst eine Stichverletzung beigebracht. Da der 15-Jährige gegenüber der Polizei angab, dass „ich ihn abstechen wollte“, wurde die Pflegerin verhaftet: „Das Gesicht in einer Pfütze, die Stiefel des Beamten im Nacken“, sagte sie. Das Verfahren wegen versuchten Totschlags gegen sie wurde eingestellt, Daniel wegen „falscher Verdächtigung“ verurteilt.
Im weiteren Verlauf der Beweisaufnahme wurde deutlich, dass der 15-Jährige bereits mehrere sexuelle Erfahrungen auch mit älteren Frauen gesammelt hatte. Und Richter Hader stellte die Frage in den Raum, wie weiter zu verfahren ist. Er konnte sich eine Einstellung vorstellen, da die Scheidung und die Trennung von den Kindern wohl „das Allerhärteste ist“, was die 34-Jährige aushalten muss.
Mit Zustimmung von Staatsanwalt Harald Kunze, der einerseits Respekt hatte, mit welcher Offenheit die Angeklagte das Erlebte schilderte, andererseits aber auch betonen wollte, dass es Unrecht war, was die Pflegerin getan hat, setzte Reinhard Hader einen Schlussstrich und stellte das Verfahren ein.
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