Darum wird Corona zum Problem für handwerkliche Berufe

10.12.2020, 12:14 Uhr
Darum wird Corona zum Problem für handwerkliche Berufe

Aktuell sind in Bayern rund 32.000 Lehrstellen unbesetzt. Hinzu kommt die Überalterung der Belegschaft in Handwerksbetrieben: Allein in diesem Jahr gehen im Freistaat etwa 164.000 Arbeitnehmer in Rente. Zum Thema führten wir mit Kreishandwerksmeister Mittelfranken-Süd, Hermann Grillenberger, ein Interview.

Herr Grillenberger, die Zahlen klingen dramatisch: 32.000 unbesetzte Lehrstellen und 164 000 Handwerker, die allein in Bayern in diesem Jahr in Rente gehen. Stirbt das Handwerk jetzt aus, weil der Nachwuchs fehlt?

Darum wird Corona zum Problem für handwerkliche Berufe

© Foto: Privat

Das Handwerk stirbt mit Sicherheit nicht aus! Wir stehen mit beiden Beinen in Mitten unserer Wertschöpfungskette und sind für das Funktionieren unserer qualitativ äußerst hochwertigen Wirtschaft und den Erhalt unseres hohen Lebensstandards unverzichtbar. Aber es ist eine Tatsache, dass aufgrund der Nachwuchsprobleme das Handwerk vor der größten Herausforderung seit Gründung unserer Republik steht. Wir haben eine große Nachfrage nach Handwerksleistungen im Bau und baunahen Bereichen, gleichzeitig müssen wir einem enormen Geburtenrückgang verkraften. Darüber hinaus herrscht seit Jahren ein Drang nach höheren Schulabschlüssen und diejenigen, die dann noch in eine Ausbildung wollen, müssen wir uns mit der Industrie, oder beispielsweise mit Büroausbildungsplätzen teilen.

 

In den vergangenen Jahren haben Handwerksbetriebe, vor allem in Branchen, die beim Nachwuchs nicht so beliebt sind, das Problem gehabt, ausreichend Azubis für die Berufe zu interessieren. Inwiefern hat jetzt die Corona-Pandemie die Situation verschärft?

Aktuell verspüren wir insgesamt durch Corona keine Verschärfung auf dem Ausbildungsmarkt. Die Entwicklung der Ausbildungszahlen kann sich sehen lassen. Zum Stichtag 30. Oktober haben wir ein Minus von 6,7 Prozent an Lehrstellen im Landkreis Roth. Angesichts eines Geburtenrückgangs von zirka 15 Prozent in dem jetzt maßgeblichen Geburtenzeitraum, kein schlechtes Ergebnis. Auch im Vergleich zur IHK. Im Bereich Weißenburg-Gunzenhausen und der Stadt Schwabach liegen wir im Plus, sodass wir für unser Geschäftsgebiet einen Zuwachs von 3,7 Prozent verzeichnen.

 

 

 

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hat vor Kurzem erst eine Neuauflage der "Elternstolz"-Werbekampagne für die berufliche Ausbildung gestartet. Eine gute Idee?

Nachdem man lange Zeit dem OECD-Mantra gefolgt ist, dass Deutschland zu wenige Akademiker hat und viele Milliarden in die universitäre Bildung investiert hat, freuen wir uns, dass man auch das duale Bildungssystem entsprechend bewirbt. Wir sind für jede Idee und Unterstützung offen und sehr dankbar. Es kann nur besser werden.

Was kann die Staatsregierung noch tun, um das Handwerk bei der Werbung um Nachwuchs zu unterstützen?

Das Problem unseres fehlenden Nachwuchses ist mittlerweile in der Gesellschaft verwurzelt. Ein Beispiel: Vor einigen Wochen konnten wir im Regionalteil dieser Zeitung lesen, wie viel Weihnachtsgeld die bekanntesten Arbeitgeber der Metropolregion – von Siemens bis Nürnberger Messe – bezahlen. Im Handwerk wird auch Weihnachtsgeld bezahlt. Aber es ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, einen Handwerksbetrieb niemals in dieser "elitären Kaste" zu erwähnen. Während viele dieser Vorzeigebetriebe täglich durch negative Personalpolitik auffallen, wird in der Krise nicht registriert, dass für uns Handwerker im Betrieb das Wertvollste immer noch unsere gut ausgebildeten Mitarbeiter sind.

Der Bund als Gesetzgeber zum Beispiel schafft es nicht, unser Genusshandwerk vor der Konkurrenz der Lebensmittelindustrie, welche sich gerade im Fleischbereich durch fragwürdige Beschäftigungsformen und häufig katastrophalen Unterbringungsbedingungen auf dem Rücken der Mitarbeiter einen Kostenvorteil verschafft, zu schützen.

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