Den Menschen immer nahe in Freude und Leid
5.11.2011, 00:00 UhrDer Abschied nach 23 Jahren als evangelischer Stadtpfarrer in Roth rückt näher. Kommt da nicht Wehmut auf? Werden Sie nicht vielleicht sogar eine Träne verdrücken müssen?
Goertz: Offiziell gehe ich erst am 1.August 2012 in den Ruhestand. Mit dem 1. November hat mein Urlaub begonnen, und ab 1.Januar beginnt die Freistellungsphase der Altersteilzeit. Die 23 Jahre in Roth sind mehr als ein Drittel meines bisherigen Lebens. Genau genommen kann ich auf 40 Jahre Gemeindedienst zurückblicken. Für mich stellt sich die Verabschiedung als Zäsur dar. Das heißt: Ich amtiere nicht mehr. In diesem Bewusstsein habe ich das vergangene Jahr mit der Gemeinde gefeiert. In den 23 Jahren sind viele Beziehungen gewachsen, gab es viele bewegende Momente. All das lässt mich schon ein wenig wehmütig werden. Bei meinem Abschied werde ich deshalb sicherlich die eine oder andere Träne verdrücken müssen. Meinen Amtskollegen zolle ich schon jetzt Respekt für ihr Engagement in der bevorstehenden schwierigen Übergangszeit. Aber sie werden diese Situation meistern.
Welcher Grundgedanke trägt Ihre letzte Predigt?
Goertz: Der Gottesdienst am Sonntag steht im Zeichen des Reformationsfestes. Dieses Ereignis gibt meinem Abschied einen besonderen Akzent. „Was Gott an uns gewendet hat“, diese Zeile aus einem Lutherlied steht im Mittelpunkt der Predigt, und diese Erfahrung lässt mich dankbar auf meine Dienstjahre und mein Leben zurückblicken.
Welche Ziele haben Sie sich gesetzt, als Sie zum Pfarrer in Roth ernannt wurden?
Goertz: Zunächst: Es gab verschiedene Aspekte, mich für Roth zu bewerben. Die Ausschreibung klang interessant. Der hohe Anspruch in Sachen Kirchenmusik und Diakonie kam mir stark entgegen. Auch ich sang lange Jahre in Chören. Zudem kannte ich Dr. Karl Eberlein vom Studium her. Die Herausforderung war, dass ich nun eine Großpfarrei mit mehreren Kollegen im Team zu leiten hatte. Ich wollte gerne die Gemeinde verwalten, sie zusammen mit den Kollegen gestalten und Neues wagen. Die Finanzen mussten nach vielen Baumaßnahmen konsolidiert werden, was auch in wenigen Jahren gelang. In der Seelsorge sah ich ein reiches Betätigungsfeld. Ich wollte den Menschen nahe sein, in Freude und Leid. Zudem übte ich vorher sieben Jahre lang das Amt eines Dekanatsjugendpfarrers aus und war im Diakonieausschuss des Dekanats Würzburg vertreten. Der diakonischen Aufgabe soll in Gemeinde und Dekanatsbezirk auch künftig mein Hauptaugenmerk gelten.
Wie hat Ihre Einstellung zum Beruf eines Pfarrers ausgesehen?
Goertz: Der Beruf war für mich Berufung. Schon kurz nach meiner Konfirmation entstand bei mir die Überzeugung: Du wirst Pfarrer. Dabei wollte ich weniger in einer Amtsstube sitzen oder einen Sonderposten einnehmen. Meine Aufgabe war der Gemeindedienst. Diesen habe ich stets mit großer Freude wahrgenommen. Allerdings kam dabei meine eigene Familie oft zu kurz. Auf der anderen Seite ist mir die Familie äußerst wichtig. Sie gibt mir Rückhalt und Impulse. Wenn meine Kinder im Gottesdienst saßen, gab es hinterher schon mal Kritik, positiver wie negativer Art. Ich fand es auch gut, im Kreise der Familie darüber zu reden. Dankbar bin ich meiner Frau, dass sie mir stets den Rücken freigehalten hat. Ohne sie hätte ich die vielfältigen Aufgaben und Verpflichtungen nicht in diesem Maße wahrnehmen können wie ich es getan habe.
Was hat die Kirche den Menschen in Zeiten von Globalisierung und Internet heute überhaupt noch zu bieten?
Goertz: Wer nicht auf die Kirche als Ort des Glaubens und der Gemeinschaft setzt, beraubt sich meiner Meinung nach selbst. Die Kirche mit ihrer Jahrhunderte alten Tradition bietet für jeden Menschen soziale Wärme, lebendige Gemeinschaft, offene und ehrliche Kommunikation untereinander und sie gibt Halt in schier ausweglosen Situationen. Vor allem aber bietet sie, was Menschen in der ganzen Welt Tag für Tag suchen: Lebensorientierung und Wertevermittlung.
Ein geflügeltes Wort sagt, die Kirchenbänke sind die treuesten Zuhörer eines Pfarrers. Teilen Sie diese Einschätzung?
Goertz: Das kann ich so nicht sagen. Ich bin bei den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen überrascht und erfreut, wie viele Gemeindeglieder mit mir zusammen Gottesdienste feiern. Natürlich könnten die Kirchenbänke oft besser besetzt sein. Ein Gottesdienst ist immer eine Feier, ist immer auch Besinnung. Der Gottesdienst regt dazu an, die eigene Lebenseinstellung zu überdenken, und gibt den Menschen selbst in schwierigen Situationen Halt und spendet Trost. Hier wird in Dankbarkeit gefeiert, was Gott an uns gewendet hat. Und eines muss ich noch hinzufügen: Es gehen deutschlandweit mehr Menschen zum Gottesdienst in die Kirche als auf den Fußballplatz.
Kirchenrenovierungen, die immer aufwändiger werden. Dazu kommen Gemeindehäuser und Kindergärten. Die Kirchengemeinden müssen allerorten viel Geld in ihre Bauwerke stecken. Ist dies auf Dauer überhaupt noch leistbar bei sinkenden Einnahmen?
Goertz: Wenn im kommenden Jahr das Pfarrhaus generalsaniert ist, ist die Zeit der großen Renovierungsmaßnahmen beendet. Gemeindehaus, Kirchen, Kindergarten und manch anderes mehr: Jede einzelne Baumaßnahme hat viel Kraft und noch mehr Geld gekostet. Um all dies finanzieren zu können, bedurfte es großer Anstrengungen. Aber wir haben es geschafft auch dank der Spendenbereitschaft aus der Gemeinde, durch Eigenleistungen und Zuwendungen. Ferner findet derzeit bei der Landeskirche eine Gebäudekonzeption statt. Diese ist in den letzten zwei Monaten auch für Roth erstellt worden. Umfassend ist dabei ein Blick auf alle Immobilien, die wir als Kirchengemeinde besitzen, gerichtet worden, auch im Hinblick auf deren Wirtschaftlichkeit. Diese Konzeption müssen wir weiterentwickeln. Sollte die Lage einmal prekär werden, ist zu überlegen, ob nicht das eine oder andere Gebäude verkauft werden muss oder ob vielleicht auch eine Partnerschaft mit anderen, zum Beispiel der Diakonie, denkbar wäre.
Als Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde, titelte eine große deutsche Tageszeitung „Wir sind Papst?“. Wie haben Sie das damals als evangelischer Pfarrer empfunden?
Goertz: Ich war sehr amüsiert und habe mich gefragt: Wer sind „Wir“? Ich jedenfalls habe mich nicht als Papst gefühlt. Allerdings habe ich die Euphorie der Katholischen Kirche in Deutschland durchaus verstehen können und fand es bemerkenswert, dass ein Deutscher zum Papst ernannt worden ist. Ich kannte die Haltung Ratzingers, mit welcher Schärfe er die Evangelische und Katholische Kirche getrennt hat. Aber ich hatte gehofft, dass er sich als Papst offener gegenüber dieser Frage zeigt. Dies ist jedoch nicht eingetreten.
Was ist geblieben seit seinem Amtsantritt?
Goertz: Die abgrenzenden Positionen von Evangelischer Kirche und der Römisch-Katholischen Kirche sind meiner Meinung nach noch deutlicher herausgearbeitet worden. Aber in dieser Frage ist auch die Katholische Kirche in Deutschland gespalten, die der Ökumene freundlicher zugetan ist als der Vatikan. Auf lokaler Ebene haben die beiden Kirchengemeinden ein herzliches Verhältnis zueinander. Dies ist bei vielen gemeinsamen Veranstaltungen und Festen deutlich geworden.
Wie wichtig ist Ihnen die Ökumene?
Goertz: Ich bin ein Ökumeniker. Das ist bei mir schon familiär bedingt. Der evangelische Glaube entstand ja aus einem Reformvorschlag, der die Kirche verbessern und ihre Grundlagen hervorheben und stärken sollte. Die ökumenische Frage soll an der evangelischen Kirche nicht scheitern. Sie sieht die Einheit der Christen als Einheit in der Vielfalt. Dabei muss man nicht immer einer Meinung sein, sondern setzt voraus, dass man sich gegenseitig akzeptiert und toleriert.
Hat Kirche eine Zukunft?
Goertz: Zuerst muss geklärt sein, was man unter Kirche versteht. Wortgemäß ist Kirche die Gemeinschaft derer, die zum Herrn der Kirche gehören, die er zusammengerufen hat. Über die rechtliche Stellung, die Verfasstheit, ist darüber hinaus nichts ausgesagt. Kirche ist mehr als die bloße Organisation. Als solche kann sie sich natürlich dem gesellschaftlichen Wandel nicht entziehen. Gerade dabei kann sie aber ihrer wichtigen Aufgabe nachkommen, den Menschen Halt und Orientierung zu geben. Sie wird, versehen mit notwendigen Reformen, weiterhin Bestand haben. Garant dafür ist Jesus Christus selbst.
In welchem Zustand hinterlassen Sie ihrem Nachfolger die Gemeinde?
Goertz: Wenn ein Pfarrer geht, dann steht dessen Bau- und Renovierungstätigkeit im Mittelpunkt. Baulich wird alles im grünen Bereich sein. Zuletzt konnte noch die Kinderkrippe fertiggestellt werden. Aber ich halte die Kirchengemeinde auch darüber hinaus für intakt. Wir haben ein hohes Potenzial an haupt- und nebenamtlichen Mitarbeitenden, die äußerst engagiert sind, und dazu eine hohe Anzahl an Ehrenamtlichen. Das Gemeindeleben nötigt Respekt ab, was wir gerade in diesem Jahr des Stadtkirchenjubiläums unter Beweis stellen und öffentlich zeigen konnten.
Ihr Lebensmotto?
Goertz: Ein Lebensmotto hatte ich nie. Vielleicht aber: Miteinander und füreinander aus der Kraft der Liebe Gottes.
Was haben Sie in Ihrem Ruhestand vor?
Goertz: Ich werde in Roth und Mitglied der Kirchengemeinde bleiben. Zudem habe ich noch einige Termine in meinen Wahlämtern, so als Vorsitzender des Diakonievereins, als Mitglied des Verwaltungsrats der Diakonie Roth-Schwabach und im Beirat der Diakonischen Dienste Neuendettelsau. Vor allem aber freue ich mich, dass ich nun Zeit habe, mich intensiv um meine Enkeltochter zu kümmern. Auch kann ich endlich persönliche Kontakte intensivieren, die zuletzt arg reduziert stattgefunden haben. Ja, und dann gibt es noch einige Reisen, die ich zusammen mit meiner Frau gerne machen möchte. In bestimmte Ecken Irlands beispielsweise.
Werden wir Sie auch in Zukunft auf der Kanzel sehen?
Goertz: Da werde ich mich in Abstinenz üben. Sollte ich in einigen Monaten jedoch unter Entzugserscheinungen leiden, könnte es vielleicht sein, dass ich dem einen oder anderen Kollegen im Dekanat unterstützend zur Seite stehe.
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