„Einer hat gelogen“
22.11.2011, 00:00 Uhr „Dass nichts gewesen ist, kann ich mir nicht vorstellen.“ So viel stand für Amtsrichterin Birgit Eckenberger nach der zweiten Verhandlungsrunde (wir berichteten) fest. Was aber genau am 29. August am Gartenzaun zwischen den beiden seit Jahren verfeindeten Nachbarn passiert war, das konnten sie und Staatsanwalt Volker Bommer nicht mehr klären. Laut Opfer hatte ein Bekannter der Künstlerin nach dem Schneiden ihrer Hecke Zweige auf dem Grundstück des Nachbarn fallen und liegengelassen. Als der die Äste zurückwerfen wollte, habe sie ihn mit einer Zaunlatte am Bauch verletzt. Falsch, lautete dazu die Aussage der Angeklagten. An diesem Tag habe sie mit ihrem Bekannten nämlich nur vor, nicht hinter dem Haus Äste geschnitten. Mehr Licht ins Dunkel des Datums sollte nun die Ehefrau des Opfers bringen. Aber auch sie pochte, wie ihr Mann, auf den Montag als „Tattag“.
Der Bekannte der Angeklagten hatte dagegen bezeugt, erst am nächsten Tag hinter dem Haus tätig gewesen zu sein.
Die 64-Jährige, die immer wieder betonte, in dem seit langem schwelenden Streit am liebsten Ruhe haben zu wollen, erinnerte sich an ihre Reaktion nach der Verletzung ihres Mannes: „Ich hab die Welt nicht mehr verstanden.“ Und fragte verbittert: „Was sollen wir denn machen? Wegziehen? Das geht aber nicht, weil mein pflegebedürftiger Vater bei uns im Haus wohnt.“
Sowohl der Staatsanwalt als auch Verteidiger Berger hakten dann immer wieder nach: Wann hat ihr Mann ihr von dem Schlag berichtet, wie sah die Wunde aus, wann ging das Ehepaar am nächsten Tag zur Polizei, zum Arzt, zur Gemeinde wegen eines Schlichtungsgesprächs, wo in der Wohnung hielt sie sich nach ihrer Rückkehr auf? Bis die Zeugin den Anwalt empört zurückfragte: „Ich bitte Sie! Soll ich Ihnen jetzt sagen, wo ich damals in der Wohnung gewesen bin?“
Die Angeklagte wurde derweil mehrmals von der Richterin ermahnt, weil sie immer wieder flüsterte oder kommentierte. Als „Unverschämtheit gegenüber der Zeugin“ bezeichnete Eckenberger das Verhalten der 71-Jährigen und drohte Ordnungsgeld an. Einen Blick in frühere Akten der Angeklagten ließ sie den Staatsanwalt nehmen: „20 Anzeigen gegen sie in fünf Jahren – das ist Rekord.“
„Einer hat gelogen.“ So weit war die Richterin am Ende sicher. Aber es war nicht mehr festzustellen, welcher Nachbar es mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte. Ihr Rat an die verfeindeten Parteien: „Sie brauchen ja nicht miteinander zu können. Aber das heißt nicht, dass man sich nicht an Regeln halten soll.“
So hätte man doch durchaus bei den Nachbarn klingeln und sich um das Beseitigen der Abfälle kümmern können. „Ich darf aber doch gar nicht aufs Grundstück“, widersprach die Angeklagte. Dem Gartenhelfer aber wäre dies doch bestimmt nicht verwehrt worden, beharrte die Richterin.
Und wollte das Verfahren einstellen – das war allerdings erst eine halbe Stunde später möglich: Sowohl der Anwalt als auch der Staatsanwalt mussten der Angeklagten gut zureden, um ihr Einverständnis dafür zu bekommen. Ihre Kosten muss sie selbst tragen, das Verfahren bezahlt der Staat.
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