Mama, schau hin! Die Sprache der Babys

26.12.2020, 14:00 Uhr
Mama, schau hin! Die Sprache der Babys

© Foto: privat

– Nein, eine Merkel-Raute beherrsche Ilyas zwar nicht, meint seine Mutter Anna. Ansonsten aber sei der Kleine mit dem Gebärden schon recht fix.

Anna Guilloux hat drei Kinder. Sie sind 14 und zwölf Jahre sowie 15 Monate jung. Zuwachs kommt im späten Frühjahr. Und hätte sie gewusst, "wie einfach es sein kann", sich im Erziehungsalltag einigen Ärger zu ersparen – "mon dieu, mein Gott, ich wäre bei den zwei Großen so viel entspannter gewesen", ist die 42-jährige Französin heute überzeugt.

Denn die Wahl-Allersbergerin, die als selbstständige Dolmetscherin und Sprachkursleiterin arbeitet, hat eine neue Art der Kommunikation für sich und ihr Kind entdeckt: Das Sprechen mit den Händen, mit dem Körper. Wenn Ilyas etwas möchte, "dann zeichnet er das mit den Bewegungen seiner Fingerchen – und ich weiß, was er meint...", sagt Anna Guilloux begeistert.

Geübt werde, "seit er ungefähr acht Monate ist", rein spielerisch. So hätte sich der Bub im Lauf der Zeit mittels Nachahmung ein gewisses Repertoire an Gebärden zugelegt: Fäustchen auf und zu – das bedeute "Milch!". Mit der einen Hand die andere Handfläche berühren, stehe für "Mehr!". Finger an die Backe: "Schokolade!" Oder: Geht die Hand in Richtung Schulter, sei da wohl ein notwendiges Muss in Verzug. Manchmal...

Mama, schau hin! Die Sprache der Babys

© Foto: Zwergensprache GmbH

"Alors", zugegeben, so ganz neu sei das Prinzip nicht, räumt Anna Guilloux ein. Schon seit der Antike ist von gebärdenden Menschen die Rede und in den 1970er Jahren wurde hierzulande systematisch ein non-verbales Zeichensystem entwickelt: die Deutsche Gebärdensprache (DGS). Daran lehnt sich an, was Guilloux für "absolut genial" hält: Babyzeichen.

Wenn da Briten, Amerikaner oder Skandinavier wissend lächeln, weil die Verständigung mit Gesten in ihrer Heimat angeblich zum Kanon frühkindlicher Bildung zählt, war diese Form der "Unterhaltung" zwischen Eltern und deren lieben Kleinen in Deutschland lange unbekannt – bis 2004.

Damals sorgte Vivian König, die eben aus Großbritannien zurückgekehrt war, wo sie mit der Familie gelebt hatte, für Staunen in ihrem Umfeld: "Was zeigst du deinem Sohn da? Was macht ihr?", wollten verdutzte Mütter wissen, sobald König Babyzeichen anwandte. So erzählt sie die Geschichte ihrer "Zwergensprache GmbH", die Anfänge.

Ein ums andere Mal habe sie dann geduldig erklärt, wie bestimmte Handzeichen es ermöglichen, dass sie und ihr Baby miteinander "sprechen" könnten. Das kam an, zog Kreise. Weil sich "selbst die skeptischen Deutschen von der Freude der Kinder anstecken" hätten lassen. Eine Freude, die regelmäßig in den Augen aufleuchte, wenn die Kleinen merken: "Hey, meine Mutter versteht mich!" Das habe etwas mit Selbstwirksamkeit zu tun, erläutert Vivian König. Mit Emotion, mit Bindung.

Und letztlich auch mit Erfolg. Denn mittlerweile hat König ein Unternehmen gegründet und der "Zwergensprache" in der Bundesrepublik zu einer gewissen Bekanntheit verholfen. Zirka 200 zertifizierte Kursleiterinnen "und sogar Kursleiter" würde mittlerweile in vier Ländern die "deutsche" Babyzeichensprache vermitteln, die im Englischen "Baby-Signing" heißt.

Neu unter ihnen: Anna Guilloux aus Allersberg, künftig für die Region südlich von Nürnberg zuständig und derzeit etwas ungeduldig. Denn richtig loslegen – "das geht im Moment nicht". Eigentlich fänden die Kurse ja "in kuscheliger Atmosphäre" statt, wo Eltern und deren Sprösslinge (von etwa sechs Monaten bis eineinhalb Jahren) "mit viel Musik und Spiel" kollektiv in Kontakt treten. Doch Corona-bedingt: Fehlanzeige!

Einstweilen will Guilloux daher auf Online-Formate ausweichen. Auf virtuelle Elterncafés, Themensitzungen, Workshops. "Kommt drauf an, was gefragt ist." Aber anbieten wolle sie auf alle Fälle etwas, schon bald. "Ich glaube, dass das aktuell überlebensrelevant ist", formuliert sie pointiert.

Zu Zeiten, in denen Mütterzentren dicht sind, Krabbelgruppen gestrichen, das Babyschwimmen auf dem Trockenen liege – "da fällt einem doch die Decke auf den Kopf!" In der Gruppe lasse sich über solche Befindlichkeiten reden, das sei ein "schöner Nebeneffekt": Druck ablassen...

Überhaupt solle der in den Kursen gar nicht erst aufkommen. Vielmehr sei´s so: "Im Grunde verbringen hier Eltern mit ihrem Baby eine intensive Zeit zusammen; sie singen, spielen, kommunizieren – und das ist immer gut", hat die Sozialpsychologin Mechthild Kiegelmann der Apotheken-Umschau 2018 diktiert. Ließen sich Mama und Papa ganz bewusst auf den Nachwuchs ein, "stärkt das die Beziehung zueinander."

Allerdings: Wissenschaftlich fundierte Hinweise darauf, dass Babyzeichen die Sprachentwicklung fördern, wie es bisweilen heißt, gebe es nach Ansicht der Professorin nicht.

Damit schiebt sie etwaigem Leistungsdenken ehrgeiziger Eltern einen Riegel vor und liegt so auf einer Linie mit Anna Guilloux: "Manche Kinder geben sich mit zehn Zeichen zufrieden, andere brauchen viel, viel mehr." Manche würden die vermittelten Gesten schnell übernehmen, andere erst später. "Das ist total individuell", meint Guilloux und warnt vor überzogenen Erwartungen

"Kinder werden ruhiger, Eltern haben weniger Stress"

Woran sie allerdings keinen Zweifel hegt, auch wenn es unter Umständen dauert: "Das Baby-Signing funktioniert!" Sie habe es schließlich an Ilyas erfahren, tue es noch. Täglich. Damit gehe ein "Frustabbau bei Müttern, Vätern und Kindern" einher. Die Babys würden ruhiger, die Eltern hätten weniger Stress. Eben weil da "diese intuitive Gewissheit" sei, einander zu verstehen.

"Mir hat das eine faszinierende neue Welt eröffnet", erklärt Anna Guilloux überzeugt. Eine Welt, die mehr Sicherheit im gegenseitigen Umgang eröffne, weshalb sie das "Baby-Signing" auch "Familien mit körperlich-geistig benachteiligtem Nachwuchs" ans Herz legt. Oder für mehrsprachig aufwachsende Kleinkinder empfiehlt, um einen "Übergang zwischen den Sprachen" zu schaffen. "Gerade Tagesmütter und ErzieherInnen sollten das im Hinterkopf behalten", findet Anna Guilloux.

Die Wirkmacht der Gesten hat sie übrigens noch an anderer Stelle erfahren: als Dolmetscherin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Nürnberg, wo sie manchmal die Erlebnisse traumatisierter, geflüchteter Jugendlicher übersetzen muss.

Ein hartes Geschäft. Aber wenn sie die Worte mit Gebärden unterstreiche, habe sie den Eindruck, es entstehe eine unsichtbare Brücke, denn: "Gesten sind manchmal wie Magie!"


INFO Infos bei Anna Guilloux, Telefon (01 51) 58 10 24 72, oder unter www.babyzeichensprache.com/zwergensprache/guilloux

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