Pfingstnacht wurde zur Schreckensnacht

22.05.2010, 00:00 Uhr
Pfingstnacht wurde zur Schreckensnacht

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Es war ein Pfingstsonntag, wie man sich ihn wünschte. »Herrlichstes Wetter lockte die fleißigen Bewohner des freundlichen Städtchens Roth hinaus in Gottes freie Natur«, schrieb einst der damalige Zeitzeuge Emil Bachmann aus Eichstätt nieder. Niemand konnte ahnen, dass die folgende Nacht ihr dunkles Gesicht auf das Schauerlichste zeigen sollte.

Gegen 24 Uhr entdeckte die Stillwache, welche die Sperrstunde der Gasthöfe kontrollierte, einen hellen Feuerschein. Der Stadel im Hinterhof der Bäckerei Honig (heute Lederwaren Haas) stand in Flammen. Obwohl die örtliche Brandwache um-gehend alarmiert worden war und sich das Zeughaus, in dem die Löschgeräte lagerten, in unmittelbarer Nähe befand (es stand zwischen der Kirche und dem jetzigen Rathaus), ergriffen die Flammen auch bald das Geschäfts- und Wohnhaus des Bäckers an der Hauptstraße.

»Es herrschte eine furchtbare Aufregung. Eine Spritze wurde herangefahren und jedermann wurde durch das gellende Läuten einer großen Schelle bei Androhung von Strafe verpflichtet mitzuhelfen«, berichtete Emil Bachmann. Freunde, Nachbarn und Wehrmänner kamen den Bedrängten zu Hilfe. Man versuchte die brennende Bäckerei auszuräumen und vor allem die kostbaren Mehlvorräte zu bergen. Mitten in diese Hilfsaktion erscholl der besorgte Ruf: »Rettet euch, der Giebel fällt ein!«

Die Mannschaft an der Spritze stob auseinander und die Helfer im Gebäude versuchten fluchtartig auf die Straße zu kommen. In diesem Moment stürzte der massive Quadersandsteingiebel dumpf dröhnend ein. Er begrub die ganze Straße und mehrere aus dem Haus eilende Personen. Unter ständiger Lebensgefahr versuchte man die Verschütteten zu retten. Doch leider kam für einige jede Hilfe zu spät. Halb verkohlt, und manche bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt - vier Menschen konnten aus den heißen noch rauchenden Trümmern gezogen werden. Drei waren sofort tot und einer verstarb noch vor Ort. Ein fünftes Todesopfer konnte erst am Mittag des Pfingstmontags geborgen und von seiner Frau identifiziert werden.

Bei den beklagenswerten Opfern handelte es sich um die Konditorsfrau Elisabeth Wiedmann, den Kaufmann Adam Stiel, den Schneidermeister Philipp Mühlöder, den Gastwirt Johannes Meyer und den Glasermeister Georg Kraft.

In einer tief bewegenden Trauerfeier wurden die fünf tödlich Verunglückten am darauffolgenden Tag zu Grabe getragen und beerdigt. Ein Reihengrab an der Friedhofsmauer wurde ihre letzte Ruhestätte. Noch heute erinnern zwei verwitterte Grabsteine, nämlich die von Johann Stiel und Johannes Meyer, an jene furchtbare Katastrophe.

Doch zurück zum Brandgeschehen. Trotz leichten Nieselregens breitete sich das Feuer weiter aus. Schon lagen mehrere Wohnungen mit den dazugehörenden Nebengebäuden in Asche und die sich immer mehr um sich greifenden Flammen hatten schon das Schulhaus (heute Rathaus) ergriffen. Dort gab es reichlich Nahrung, denn auf dem Dachboden lagerte das gesamte Holz und Brennmaterial der Schule. So wurde auch dieses stolze Haus ein Raub der Flammen und das dort untergebrachte Lehrpersonal verlor seine ganze Habe.

Kirchturm brannte aus

Obwohl die Wehren aus Roth, Belmbrach, Georgensgmünd, Schwand, und Schwabach aufopferungsvoll gegen die Feuersbrunst ankämpften, gelang es ihnen nicht, ein Übergreifen auf den Kirchturm zu verhindern, denn dort befanden sich weder eine Handspritze noch Wasser. Auch das Eintreffen der Nürnberger Wehr mit dem Kurierzug um 2.30 Uhr war vergebens. Dichte Rauchwolken, die aus der Laterne des Turmes quollen, zeigten an, dass alles Hoffen und Bangen umsonst war. Schnellstens musste das im Kirchenschiff eingelagerte Mobiliar und Gerät gerettet werden, denn die sich dort erwünschte Schutzfunktion schien hinfällig.

Der Turm brannte ab und die Glocken schmolzen. Um 3 Uhr schlug noch einmal die Stundenglocke, dann verstummte sie für längere Zeit. Zum Glück gelang es den vereinten Löschkräften zumindest das Kirchenschiff und das in Brand geratene Dekanats- und Kantoratshaus zu retten. Vielen weiteren Gebäuden wurde diese Rettung jedoch versagt. Erst am Morgen, gegen 7 Uhr, hatte man die einzelnen Brandherde in Griff und das ganze Ausmaß der Katastrophe wurde offensichtlich. So waren neben dem Kirchturm, dem Schulhaus, der Bäckerei Honig, die Häuser der Industrielehrerin Fräulein Munkert, des Kaufmanns Kaumheimer, des Eisenhändlers Groshut, des Drechslermeisters Gremm, des Handelsmannes Rosa, die Industrieschule sowie fünf Scheunen ein Raub der Flammen geworden. Weitere Häuser am Kugelbühl und auf dem Kirchplatz zeigten sich durch einstürzende Wände und herabfallende Steine stark beschädigt. Nach dem Abrücken der Wehren, verblieb ein verstärktes »Feuerpiquet« (Feuerwache) in der Stadt.

Die Bilanz der Schreckensnacht war verheerend. Neben den fünf tödlich Verunglückten und den sehr hohen materiellen Verlusten war später noch ein sechstes Todesopfer zu beklagen. Es handelte sich dabei um den Tagelöhner und (Feuer-)Wehrmann Georg Liegel, dem bei seinen Rettungsarbeiten ein Bein abgeschlagen worden war. An dieser schweren Verletzung erlag er nach kurzem Krankenlager.

Wenn nun am heutigen Pfingstfest, also 132 Jahre später, feierlich die Glocken vom hohen Turm der Stadtkirche erklingen, mag uns ihr voller Klang erinnernd ins Gedächtnis rufen, was Furchtbares in der Pfingstnacht 1878 geschehen ist.

HANSJÖRG HEROLD