Schmerzfrei sterben: Ambulante Palliativversorgung im Landkreis
28.7.2019, 07:05 UhrEr war ein Läufer, danach Rennradfahrer, jetzt hat er Prostatakrebs im Endstadium. Vor vier Jahren saß er noch mit seinen Freunden auf dem Rennrad, immerzu. Jetzt sitzt Patrick Möller (Name v. d. Red. geändert) am Esstisch, hat zwei Chemos hinter sich und kann die starken Rückenschmerzen nach anderthalb Stunden kaum mehr ertragen. Auf Rücken, Beinen und der Brust haben sich Metastasen ausgebreitet, weshalb er sich kaum noch aufrecht halten kann.
Ob sie ihm die Kraft zurückgeben können? Nein. Die Schmerzen nehmen? "... dass sie schmerzfrei durch den Tag kommen, können wir ziemlich sicher versprechen", sagt Dr. Christian Maune langsam. Möller gesteht, dass er nachts nicht mehr gut schläft, starke Schmerzen hat, den ganzen Tag. Seine Wohnung im zweiten Stock hat er seit vier Wochen nicht mehr verlassen. Es geht einfach nicht mehr. Ein Stück weit hat er wohl gehofft, doch wieder in die Natur zurückgehen zu können, die er so liebt.
Seine eisblauen Augen blicken ruhig in die Runde, als er sagt: "Ich muss wohl verkraften, dass meine bewegliche Zeit zu Ende ist."
Dr. Christian Maune ist leitender Palliativmediziner der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) Südfranken. Heute ist er mit Pflegekraft Regina Emes bei Möller, um ihn, falls er das möchte, in den Patientenstamm aufzunehmen.
Die SAPV Südfranken ist für die Landkreise Roth und Weißenburg-Gunzenhausen zuständig. Sie versorgt ständig zwischen 30 und 40 Patienten. "Manche versterben nach ein bis zwei Tagen, manche nach einem Jahr", erklärt Maune. Die Behandlung endet – alles andere sei eine absolute Ausnahme – mit dem Tod der Patienten.
Der Hausarzt bleibt der Hausarzt
Patrick Möller erhielt vom Neumarkter Krankenhaus die Empfehlung, sich an die SAPV zu wenden. Die Versorgung erfolgt auf Rezept, das vierteljährig vom Hausarzt ausgestellt werden kann. Der Dienst versteht sich als Ergänzung zum Hausarzt und Hospizverein. "Der Hausarzt bleibt der Hausarzt", erklärt Maune im Laufe des Gesprächs, "wir sind aber rund um die Uhr erreichbar." Unter einer Telefonnummer für Notfälle könne sich Möllers Frau jederzeit mit der SAPV in Kontakt setzen. "Dann kommt jemand vorbei oder wir klären Ihre Zweifel am Telefon."
Emes zufolge steht das Gespräch bei ihrer Arbeit an erster Stelle: Zwar können sie auch behandeln, ihr Hauptanliegen ist aber, Ängste und Sorgen zu nehmen – sowohl den Patienten, als auch den Angehörigen. Letztere fühlen sich häufig überfordert oder reagieren verängstigt, wenn sich der Gesundheitszustand des todkranken Familienmitglieds plötzlich verschlechtert. Dann ist die SAPV zur Stelle und steht mit Rat und Tat zur Seite.
So wie jetzt, als sich Marianne Möller nach einer Haushaltshilfe erkundigt – weil es ihr zu viel geworden ist, mit der Pflege, allen Einkäufen und der Angst. "Ich möchte ausgeglichen und lieb sein zu meinem Mann und nicht gestresst und gereizt", erklärt sie. Dann setzt sich die Frau mit wässrigen Augen auf die Sitzbank und schlingt die Arme um den dürren Oberkörper ihres Ehemanns. Emes nickt verständnisvoll und sagt: "Wenden Sie sich an die Diakonie".
Große Belastung für Angehörige
Ehepartner und Kinder versuchen meist mit allen Mitteln, ihre Liebsten solange wie möglich zu Hause zu versorgen. Wenn dieser doch in ein Hospiz verlegt werden muss, hilft die ambulante Palliativversorgung dabei, ihn unterzubringen.
Seit dem 1. Januar 2018 gibt es die SAPV Südfranken, die ein Zusatzangebot für Todkranke darstellt. Dass sie existiert, wissen viele allerdings nicht, wie der Palliativmediziner Maune immer wieder im Patientengespräch feststellt.
Deshalb erklären die SAPV-Teams, die in rotierenden Schichtdiensten arbeiten, immer wieder bereitwillig, wie sie weiterhelfen können. Im Vordergrund stehen die Wünsche des Patienten: Im Falle von Möller ist es die Kraft, die er nie mehr wieder erlangen wird. Als es erfährt, dass es den Dienst zu jeder Zeit erreichen kann, ist das Ehepaar dennoch erleichtert.
Rezepte und Tipps für die Dosierung
Denn: "Zum Hausarzt gehen und dort im Wartezimmer sitzen, das ist ja einfach nicht mehr möglich." Zum Abschluss des Aufnahmegesprächs erwartet die Möllers eine lange, sehr umfassende Liste. Patrick Möller schildert all seine Leiden und erklärt, welche Medikamente er einnimmt.
Maune packt einen mobilen Drucker aus, verschreibt Rezepte und gibt Tipps für die Dosierung. Er räumt mit Unsicherheiten auf und erklärt die Wirkungsweise der Pillen.
Dann legt Emes einen roten Schnellhefter auf den Tisch, der zu früh kommt. Es geht um Wünsche und Pläne nach dem Tod, die Bestattung. Als die Möllers versteifen und nicht reagieren, wird das Thema fallengelassen – und für den nächsten Besuch vorgemerkt.
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