Viel mehr als ein gutes Bauchgefühl
3.1.2021, 17:13 UhrRückenschmerzen oder Magen-Darm-Probleme grassieren in der Gesellschaft. Die Ursachen für die Leiden bleiben oft unentdeckt. Was daran liegt, dass ein möglicher Grund für solche Symptome im Auseinanderweichen der geraden Bauchmuskeln liegt. Doch das als Rektusdiastase bezeichnete Phänomen und dessen Therapie erfahren in Deutschland kaum Aufmerksamkeit. Anika Unterburger aus Röckenhofen will das ändern.
"Das ist mir ein wirkliches Herzensthema", erklärt die junge Frau aus dem Gredinger Ortsteil im Gespräch mit unserer Zeitung. "Den Leidensdruck von Betroffenen zu minimieren und über diese Anomalie aufzuklären, treiben mich an, denn ein gutes Bauchgefühl sollten wir alle haben!" Eine Anomalie, die dadurch entsteht, wenn plötzlich, etwa durch Überdehnungen, nicht mehr zusammen bleibt, was zusammen gehört. Die Rede ist von der geraden Bauchmuskulatur, die den Rücken und die Organe des Bauchraumes stützen und schützen soll.
Ist diese getrennt, kann sie diese Aufgabe nicht mehr erfüllen. Mit schweren Beeinträchtigungen als möglicher Konsequenz: "Rücken- oder Hüftschmerzen, Beckenbodenschwäche, Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt, Nabel- oder Leistenbrüche", zählt Unterburger auf. Auch schlechte Körperhaltung oder eine verschlechterte Selbstwahrnehmung resultierten in vielen Fällen aus dieser Anomalie.
Frauen wie Männer seien davon betroffen. Die Bauchwand wölbt sich nach außen, es zeigt sich ein Spalt, der mehrere Dezimeter (!) groß werden kann. Durch die Alltagsbelastung droht er größer und größer zu werden. "Betroffene können unter dem sogenannten Mama- oder Bierbauch leiden – und das trotz angemessenen Gewichts und guter körperlicher Konstitution. Jeder kann eine Rektusdiastase haben, völlig unabhängig von Alter, Gewicht oder Geschlecht, auch sportliche und schlanke Personen."
Niemand aber müsse sich wegen einer Diastase einer Operation unterziehen oder mit der Anomalie leben. Unterburger ist dabei selbst ein gutes Beispiel dafür. Sie, ihr Ehemann und einer der beiden Söhne hatten selbst unter diesem Phänomen zu leiden. Das aber wollte die Mutter nicht tatenlos hinnehmen und ließ sich zur professionellen, zertifizierten Trainerin der Tupler-Technik ausbilden – als solche ist sie die erste und einzige Therapeutin in Bayern, in ganz Deutschland die zweite.
Die Wirksamkeit der Therapieform selbst sei klinisch erwiesen. Deren Erfinderin heißt Julie Tupler und wohnt in New York. Sich dort auszubilden zu lassen, war wegen der Pandemie nicht möglich. Es fand sich aber eine Gelegenheit in Wien, in Kombination mit einem Online-Kurs.
Was ist das Besondere an dieser Therapie? "Das Bindegewebe soll gefestigt werden und so wieder für eine funktionierende gerade Bauchmuskulatur sorgen", erklärt Unterburger. Erreichen lasse sich dies unter anderem durch einen besonderen Bauchgurt, den "Diastase Rehab Splint", der die Muskeln wieder zusammenführt.
Das sei aber nicht zu verwechseln mit einem Kompressionsgurt, betont die 31-Jährige: Statt dessen handle es sich eher um ein Funktionskleidungsstück. Dazu gesellen sich verschiedene Übungen zur Stärkung der Bauchmuskeln. Wichtig sei es, diese wieder gezielt im Alltag zu aktivieren.
Um das Programm den Hilfesuchenden näher zu bringen, hat Unterburger bei sich in Röckenhofen einen Therapieraum eingerichtet, der Splint lässt sich ebenso über sie beziehen. Die richtige Vorgehensweise sei das A und O. Bloße Sit-ups zur vermeintlichen Stärkung der Muskulatur im Bauchraum seien im Falle einer Rektusdiastase absolut verkehrt. "Die machen alles bloß noch schlimmer, da so Druck nach außen aufgebaut wird."
Die Posts, die sie online bekommt, häufen sich, die Zusammenarbeit mit der Volkshochschule vor Ort wird stückweise ausgebaut – wenn nicht gerade wieder ein Lockdown entsprechende Aktivitäten verhindert.
Die Tupler-Technik ist dabei nicht das Einzige, was Unterburger ihren Klienten näher bringt. Schon bevor sie sich in diesem Bereich spezialisiert hatte, begann sie mit diversen Sportkursen, sich für Gesundheit und Wohlbefinden zu engagieren. In der Elternzeit fand die einstige Oberinspektorin im Notardienst ihre eigentliche Berufung und machte sich selbstständig.
Mit ihrem Angebot zur Diastasebekämpfung traf sie aber nun einen besonderen Nerv. So kann sie etwa über die Verzweiflung einer Frau berichten, die sich in großer Not an sie gewandt hatte: "Sie sind die einzige Hoffnung, die ich habe."
Allerdings warnt Unterburger auch vor falschen Vorstellungen – "die Tupler-Technik ist kein Abnehmprogramm". Auch wenn lange im Schrank verwaiste Kleidungsstücke nach der Anwendung plötzlich wieder passen, weil sich das ganze Körpergefüge verändert hat.
Weitere Infos unter www.anika-unterburger.de.
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