Wenn indische Wünsche in (Er-)Füllung gehen
10.10.2014, 19:02 UhrWie kam es dazu, dass der niedergelassene Zahnheilkundler und seine 19 Jahre alte Angestellte die komfortabel ausgestattete Praxis in Büchenbach gegen eine südindische Krankenstation, das heimische Bett gegen eine noch ungewisse Schlafstatt und den hiesigen Alltag gegen drei Wochen voller noch unbeantworteter Fragen tauschen wollten?
Beharrlichkeit gehört zu den Stärken von Manfred Rathgeber. Damit hat der frühere Zeitsoldat und Vielreisende schon Ziele erreicht, die eigentlich in weiter Ferne zu schweben schienen. Der 66-Jährige hat sich, nachdem er bei einer seiner Fernostreisen den Reiseveranstalter Georg Kraus kennengelernt hatte, dessen Stiftung verschrieben. Die Georg-Kraus-Stiftung kümmert sich um Hilfsprojekte: für das Wohnen im Alter, vor allem aber weltweit um etwa 40 Initiativen für benachteiligte Kinder, Jugendliche und Frauen — „klein, effektiv, überschaubar“, sagt Rathgeber, getreu dem Motto: „Der beste Weg aus der Armut ist der Schulweg.“ Und wenn ein Projekt kräftig genug ist und sich selbst tragen kann, dann zieht die Stiftung weiter zum nächsten.
Zu den „Botschaftern“, die Spenden sammeln für den Bau von Kindergärten, Schulen oder Krankenstationen, gehört Manfred Rathgeber schon seit Jahren. Inzwischen ist er als einziger Süddeutscher auch im Vorstand der Hagener Stiftung und arbeitet unermüdlich an der Akquise für Spenden und Manpower.
Und das eben auch beim Zahnarztbesuch: Als Dirk Rüdinger seinem Patienten Rathgeber vor Jahresfrist beiläufig erzählte, dass er vor 20 Jahren selbst schon in Tonga im Pazifik „experimentelle Zahnheilkunde betrieben“ hat, wurde Rathgeber sofort hellhörig. Denn in der von der Georg-Kraus-Stiftung im südindischen Kilachery gerade gebauten Krankenstation mit Kindergarten, Berufsschule und Sozialstation fehle es an Ärzten, die müssten immer für teures Geld „angemietet“ werden. Ein Zahnmediziner, der dort für eine Weile ehrenamtlich seine Dienste anbiete, sei ein Segen.
Rathgeber ließ nicht locker und versprach, der dafür notwendige Behandlungsstuhl werde natürlich beschafft. Was dann auch geschah: in Indien, für ein Zehntel des hiesigen Preises.
Trotzdem musste er sich noch gedulden, bis er die Zusage des Zahnarztes hatte. Rüdinger hatte nicht nur seiner Familie erklären müssen, dass er für drei Wochen mal eben auf der anderen Seite der Erde arbeiten werde, er musste den „Außendienst“ auch für die Patienten und für seine beiden Kolleginnen erträglich gestalten. „So etwas geht nur in einer Gemeinschaftspraxis“, ist der 47-Jährige überzeugt. Weil er jetzt vorarbeitet und die beiden Ärztinnen dann einige seiner Termine auffangen, kann er ohne schlechtes Gefühl fahren. Was sie aber dann in der südindischen Provinz Tamil Nadu in der Nähe der Millionenstadt Chennai erwartet, das wissen Rüdinger und seine Zahnarzthelferin Annika Mühlan noch nicht. „Erstmal werden wir shoppen gehen“, lacht der Mediziner, meint damit aber keine modische Mall, sondern den Einkauf von Medikamenten. „Wir dürfen sie von hier aus gar nicht einführen, außerdem sind sie dort viel günstiger.“
Da die Region zwar ärmlich, aber auch sehr ländlich geprägt ist, hofft Rüdinger „auf wenig Zuckerzeug“, also wenig Karies, sodass bei den meisten Kindern — viele gehören in die Kaste der „Unantastbaren“ und werden deshalb nicht behandelt — wohl „keine großen Operationen nötig sind, eher einfache Füllungstherapie“.
Aber Annika und er werden ihr Gepäck natürlich mit pädagogischen Zahnhygiene-Utensilien auffüllen. Wie es sprachlich funktioniert, den tamilisch oder Hindu sprechenden Mädchen und Jungen das Zähneputzen zu erklären? „Das kriegen wir mit Hilfe der Schwestern in der Krankenstation schon hin“, ist Rüdinger optimistisch.
Zahl der Patienten noch offen
Die Zahl seiner jungen Patienten kann er noch nicht einschätzen, aber wahrscheinlich werde er nicht nur Zulauf vom Kindergarten gegenüber der Krankenstation haben. „Das spricht sich ganz schnell rum, und dann kommen von den rund 3000 Kindern in der Umgebung wahrscheinlich ziemlich viele“, meint Manfred Rathgeber.
Was Rathgeber auch glaubt: Dass das Zweierteam aus Deutschland von seinem Einsatz in Indien ganz erfüllt und zufrieden zurückkommt — er selbst habe es schließlich oft genug erlebt und ist demnächst wieder dort, um einen weiteren Bau einzuweihen. Und er glaubt fest daran, dass die ehrenamtliche Pionierarbeit von Dirk Rüdinger und Annika Mühlan von einem anderen Zahnarzt fortgeführt wird — vielleicht muss er sich dazu mal wieder in Behandlung begeben. . .
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