Auf der Thor Heyerdahl
Rednitzhembacher an Bord: Der Atlantik als Klassenzimmer
12.8.2021, 11:00 UhrOutward bound heißt es in der Seefahrt, wenn ein Schiff und Mannschaft fertig zum Auslaufen sind. Outward bound heißt es im Oktober auch für Felix Rex. Der 15-jährige Rednitzhembacher sticht dann an Bord des Segelschiffs Thor Heyerdahl in See. Eine abenteuerliche Reise steht ihm bevor. Ein halbes Jahr lang wird der 91 Jahre alte Dreimasttopsegelschoner sein Zuhause sein. Und sein Klassenzimmer.
Felix nimmt teil am Projekt Klassenzimmer unter Segeln. Zusammen mit 33 anderen Jugendlichen aus ganz Deutschland und einer 15-köpfigen Stammbesatzung, die sich aus Seeleuten und Lehrkräften zusammensetzt, wird Felix auf dem Atlantik unterwegs sein und fremde Länder erkunden. Und als Teil der Mannschaft alle anfallenden Arbeiten auf dem Schiff mit übernehmen.
Viel zu lernen
„Wir teilen uns in mehrere Gruppen auf, die sogenannten Wachen, und übernehmen die anfallenden Aufgaben abwechselnd. Wir gehen Wache, lernen traditionelle Seemannschaft, setzen und bergen die Segel, übernehmen Backschaft und Reinschiff, so heißen die Aufgaben rund um die Kombüse und das Putzen. Und natürlich haben wir ganz normalen Unterricht an Bord. Allerdings gibt es noch einige Spezialfächer. Neben Mathematik, Englisch, Spanisch, Bio, Geschichte und so weiter stehen bei uns beispielsweise auch astronomische Navigation auf dem Stundenplan. Darauf freue ich mich schon besonders. Mit einem Sextanten anhand der Sonne und der Sterne die Position zu bestimmen und ein Schiff zu navigieren, das ist doch einfach mega“, freut sich Felix.
Felix heißt übersetzt „der Glückliche". Daran muss etwas dran sein. Denn ein Quäntchen Glück gehört dazu, bei dem Projekt Klassenzimmer unter Segeln, kurz KUS, einen Platz zu ergattern. Zum 14. Mal organisiert die Universität Erlangen-Nürnberg dieses außergewöhnliche Projekt. Und jedes Mal bewerben sich mehrere hundert Schülerinnen und Schüler. Doch nur 34 können mit an Bord.
„Wir mussten etliche Formulare ausfüllen und einen kleinen Aufsatz schreiben, warum wir mit dabei sein wollen und welche Stärken und Schwächen wir haben. Unter allen Bewerbern werden sonst immer 50 zu einem Probetörn an die Schlei an der Ostsee eingeladen. Normalerweise. Doch dieses Jahr konnten wir uns nur digital treffen. Fünf Tage dauerte unsere digitaler Probetörn. Wir haben uns auf Zoom vernetzt. In der Zeit haben wir gezeltet oder auf dem Balkon auf der Isomatte geschlafen, halt jeder bei sich daheim. Wir haben via Zoom zusammen gekocht, gespielt, gelacht und kniffelige Aufgaben gelöst. Wir sollten zum Beispiel in Kleingruppen eine Art Airbag für rohe Eier bauen. Die Eier sollten einen Sturz aus fünf Metern Höhe überstehen. Das haben wir geschafft. Im zweiten Anlauf zumindest.“, lacht Felix.
Glück für "den Glücklichen"
„Unsere Betreuer waren mit dabei. Und die haben dann geguckt, wer wie tickt und aus welchen Teilnehmern sich dann das endgültige Team am besten zusammensetzt. Wir hatten total viel Spaß. Gleichzeitig war es aber auch ein bisschen traurig, weil wir wussten, einige bekommen nach dem Probetörn eine Absage.“ Felix hatte Glück: zwei Wochen nach dem digitalen Treffen lag ein großer Umschlag im Briefkasten. Die Zusage.
„Ich war überglücklich, ich kann es auch heute kaum fassen. Ein halbes Jahr an Bord eines Traditions-Segelsschiffs über den Atlantik fahren. So eine Chance kommt kein zweites Mal.“ Zusammen mit der Zusage kam auch eine lange Packliste. Schlafsack, Isomatte, Schnorchel, Flossen, Takelmesser, Wanderschuhe – die Liste ist lang. Felix braucht Kleidung für die Südsee ebenso wie Ölzeug, also wasserdichte, warme Kleidung, für die Stürme im Atlantik.
Wohin die Reise genau führen wird, steht noch nicht fest. Das ist Corona geschuldet. Wie bei der vorangegangenen Reise müssen die Verantwortlichen improvisieren und sehr flexibel auf die sich stetig ändernde Situation reagieren. „Die Reiseroute richtet sich nach der pandemischen Lage. Der aktuelle Plan sieht so aus: Wir steuern die Kanaren und die kapverdischen Inseln an, fahren quer über den Atlantik und besuchen Inseln der Kleinen Antillen und über die Azoren zurück. Aber die Ziele sind gar nicht entscheidend. Es geht um die Reise an sich“, sagt Felix.
Zum zweiten Mal an Bord
Für ihn wird es nicht das erste Mal sein, dass er an Bord der Thor Heyerdahl in die Wanten steigt. Vor anderthalb Jahren nahm er bereits an einem Törn auf der Ostsee teil. „Da war ich nur elf Tage an Bord. Das war im Rahmen der Summerschool, das sind verschiedene kürzere Reisen mit verschiedenen Schwerpunkten: Englisch lernen, wissenschaftliches Arbeiten und Schwerpunkt Segeln. Ich war bei der wissenschaftlichen Tour dabei. Ich wollte ausprobieren, wie es an Bord ist und ob ich mit das sechs Monate lang vorstellen kann. Das KUS-Projekt lernte ich schon mit zehn Jahren kennen. Damals hatte ich alle Folgen der Dokumentation auf Kika, dem Kinderkanal der ARD, gesehen und war geflasht.“
Felix besucht die neunte Klasse am Gymnasium Wendelstein. Dr. Johannes Novontny, sein Schulleiter, war auch sofort von Felix Idee, sich zu bewerben begeistert und unterstützte ihn bei seiner Bewerbung. Die Lehrkräfte, so sieht es das Bewerbungsverfahren von KUS vor, müssen ihre Schüler beurteilen. Da geht es um Fragen wie Zuverlässigkeit und ob sie in der Lage sind, selbstständig zu lernen. Denn: den Stoff einiger Fächer müssen die Schüler im Selbststudium pauken. Bei Felix ist das Latein.
Bergsteigen und Delfine
Die Schülerinnen und Schüler werden an Bord nach dem bayerischen Lehrplan unterrichtet, freilich wird, wo es geht, der Stoff an die Lernumgebung angepasst. Eine Exkursion führt die Gruppe zum Beispiel auf den Gipfel des Pico del Teide auf Teneriffa, dem höchsten Berg Spaniens und einem Inselvulkan – im Unterricht wird es dann thematisch über Vulkanismus und Plattentektonik gehen. Und wenn Delphine das Segelschiff begleiten oder Wale in Sicht kommen, halten die Schüler ihre daheim vorbereiteten Referate über Meeressäugetiere und Echolokation.
Die lange Reise auf der Thor Heyerdahl ist vom bayerischen Kultusministerium einem Schulbesuch im Ausland gleichgestellt. Rund 20.000 Euro kostet sie. KUS versteht sich aber ausdrücklich nicht als Eliteprojekt. Ein Förderverein unterstützt Schülerinnen und die Schüler auf Antrag mit Stipendien und Darlehen. „Meine Ausrüstung finanziere ich selbst“, erklärt Felix, „ich habe ordentlich gespart und mein Zimmer nach Dingen durchforstet, die ich nicht mehr brauche, eine alte Xbox und Blu Rays habe ich versteigert. Und ein altes Mountainbike wieder fit gemacht und verkauft.“