Wo die Schule endet, beginnt die Kinderwerkstatt
30.01.2010, 00:00 Uhr
Das Schutzblech wackelt. Maxim muss noch einmal zum Schraubenzieher greifen. Zwei halbe Umdrehungen, fertig. «Ja», lobt Hans Potzler, «du hast scho a Schmalz im Arm». Potzler war früher Stadtrat in Schwabach, er war Kfz-Meister, und jetzt ist er der Motor des seit Februar 2009 laufenden Projekts «Kinderwerkstatt». Jeden Freitagnachmittag kommen er und zehn weitere Ehrenamtliche an die Maar-Schule, um mit den Kindern zu basteln, zu werken, zu garteln, zu spielen und zu kochen.
Potzler erzählt, dass für sein Engagement die Noten und die schulischen Leistungen ausschlaggebend waren. In den Zeugnissen standen zwar nicht lauter Sechser. «Aber für mich war das trotzdem ungenügend.» Also kam er auf die Idee, die Kinder über die Mittags- und Hausaufgabenbetreuung hinaus zu motivieren, sie für neue Dinge zu begeistern. In der Hoffnung, dass dadurch auch die Leistungen in der Schule besser werden.
Räder vom Fundamt
Freitagnachmittag hat Potzlers Fahrradwerkstatt im Keller der Maar-Schule geöffnet. Die Fahrräder hat er sich am städtischen Fundamt besorgt. Maxim, Daniel, Michaela und Kevin schauen ihm zu, wie er einen neuen Schlauch um die Felge eines Vorderrades legt und vorsichtig den Mantel überstülpt. Echte Handarbeit.
Doch auch die Kinder dürfen ran mit Schlüsseln und Schraubenziehern. «Immer nach rechts zudrehen und nach links auf», erklärt er.
Nebenan wird gebohrt. Johann Schleier saß wie Potzler im Stadtrat. In Dietersdorf hatte er seine eigene Schreinerei, die er längst an seinen Sohn übergeben hat. Doch in jüngster Zeit schaut er wieder öfter an den Werkbänken vorbei, um sich aus dem Abfallholz die schönsten Stücke zu sichern. Die sind nämlich für die Grundschüler der Maar-Schule reserviert, wo Schleier jeden Freitag seine Schreinerwerkstatt öffnet.
Der Andrang ist diesmal deutlich größer als bei Potzlers Fahrradwerkstatt. Vielleicht weil das Ergebnis schneller sichtbar wird. Die Jungs bauen Vogelhäuschen. Mal mit Sattel-, mal mit Pultdach. Johann Schleier hat mit seiner Gruppe noch größere Pläne. Wenn es wieder wärmer wird, werden sie sich an eine Gartenbank für den Pausenhof machen.
Oben, im Erdgeschoss, wird hitzig diskutiert. Marc und Lisa spielen Eltern, die ihren Kindern die Leviten lesen. Der schlechten Noten wegen. Ein Wort ergibt das andere, am Ende fliegen fast die Fetzen zwischen den Generationen. Bevor es ernst wird, werden die Schauspieler gestoppt. Zum einen vom Applaus. Zum einen von Petra Bauer.
Bauer ist gelernte Heilerziehungspflegerin, lebt in Wernfels, arbeitet bei der Schwabacher Familien- und Altenhilfe und ist verantwortlich für die Mittags- und Hausaufgabenbetreuung an der Maar-Schule. Ersteres gibt es seit 2001, letzteres seit 2006. Außerdem leitet sie gemeinsam mit dem pensionierten Polizeibeamten Eberhard Hüftlein die Freitags-Theatergruppe.
An diesem Freitag werden keine Texte ausgegeben. Bauer gibt eine Szene vor, «Zivi» Adrian Derr von der Familien- und Altenhilfe, dort zuständig für die Jugendarbeit, spielt sie einmal, die Grundschüler interpretieren sie dann auf ihre Weise. Wie den Streit zwischen Vater, Mutter und Kindern. Live-Acting sozusagen.
Eine, die besonders gut und wortreich streiten kann, ist Lisa. Ihre Eltern kommen aus Vietnam. Als sie in die Schule kam, sprach sie kein Wort Deutsch. Heute spielt sie Theater. «Das sind die Erfolge, die wir brauchen», freut sich Petra Bauer.
Während in der Theaterwerkstatt in der Aula noch die (gespielten) Fetzen fliegen, steigt den Zuschauern ein verführerischer Duft in die Nase. Er kommt aus der Schulküche, wo Gabi Glossner mit einem halben Dutzend Mädchen Muffins gebacken hat. Da greifen die Kinder gerne zu.
Schon mit diesen Mädchen ist die Küche, die gleichzeitig Essraum ist, ausgelastet. Kein Vergleich aber zu den Szenen zwei Stunden zuvor beim Mittagessen. 27 Kinder quetschen sich auf 15 Quadratmetern zusammen, bestreichen ihre Pfannkuchen mit Marmelade und naschen das servierte Obst. «Wir haben hier ein eminentes Platzproblem», sagt Rosy Stengel, die Geschäftsführerin der Familien- und Altenhilfe, die in der Maar-Schule auf neun haupt- und elf ehrenamtliche Kräfte bauen kann. «Wir bräuchten dringend einen größeren Raum.»
Bloß: Den gibt es nicht. Hans Potzler hat zwar schon einige Erweiterungsmöglichkeiten durchgespielt. Aus dem inzwischen von Büschen und Unkraut befreiten «Loch» vor der Küche könnte man gut einen Raum machen, findet er. Er hat sogar schon mit der Berufsschule in Roth darüber gesprochen. Aber es ist nicht so einfach, an einem städtischen Gebäude herumzuflicken.
Potzler ist nicht nur für seine Fahrradwerkstatt zuständig. Er war mit den Kindern schon bei der Feuerwehr und der Polizei, im Nürnberger Bahn-Museum und bei Goldschläger Herbert Vestner, im Wasserwerk, auf dem Bauernhof, beim BRK und in der Bäckerei. Außerdem hilft er auch bei der Mittagsbetreuung und bei der Hausaufgabenhilfe. Nur dienstags nimmt er sich frei. «Da habe ich andere Verpflichtungen.»
Vorbildcharakter
Potzlers Engagement hat inzwischen viele Nachahmer gefunden. Manfred Baumgartl, früher Prokurist bei AEG, bietet einen Elektrokurs an. Bei Dieter Oberndörfer können die Kinder Schach lernen. Handball-Urgestein Werner Schrödel versucht auch bei den Grundschülern Interesse für seinen Sport zu wecken. Und, und, und. «Die Christian-Maar-Schule ist inzwischen fast so etwas wie eine offene Ganztagesschule geworden», sagt Petra Bauer.
Doch warum ausgerechnet die Maar-Schule? Hier, findet Petra Bauer, gibt es den größten Förderbedarf, weil der Anteil der Kinder, die aus ausländischen Familien stammen, unverhältnismäßig hoch ist. Alleine bei den 77 Erst- bis Viertklässlern, die in der Mittags- und Hausaufgabenbetreuung gemeldet sind, liegt er bei 40 Prozent.
Trotzdem glaubt Rosy Stengel, dass das Projekt «Kinderwerkstatt» auch an den anderen Schwabacher Grundschulen Schule macht, so sich genügend Ehrenamtliche finden. Den Erfolg stellt nämlich niemand in Abrede. Hans Potzler fasst ihn in einem Satz zusammen. «Die Noten der Kinder sind besser geworden.»
ROBERT GERNER