Trotz Nazi-Massaker mit 642 Toten: Oradour sucht Freundschaft mit Franken
31.3.2021, 18:32 UhrFritz Körber kann sich noch gut an den Moment erinnern, als er 1983 zum ersten Mal sein Auto in Oradour-sur-Glane parkte. "Wegen unseres deutschen Kennzeichens wurden wir finster angesehen und ganz genau beobachtet", erzählt der Behringersdorfer, der damals frisch in den Bezirkstag gewählt worden war, dem er dann mehr als 30 Jahre angehören und inoffiziell als "Außenminister" dienen sollte.
Dass die Deutschen in der Region Limousin auf Ablehnung stießen, wundert wenig: Schließlich steht Oradour-sur-Glane für das schlimmste Massaker der deutschen Wehrmacht in Westeuropa. Das SS-Panzergrenadier-Regiment "Der Führer" der SS-Panzer-Division "Das Reich" rollte hier am 10. Juni 1944 mit nur einer Absicht ein: Wegen des zunehmenden Widerstands im Limousin ein grausames Exempel zu statuieren.
254 Frauen und 207 Kinder verbrannten in der Kirche
642 Menschen mussten dafür mit dem Leben bezahlen. Die Männer wurden in Scheunen zusammengetrieben und erschossen. 254 Frauen und 207 Kinder sperrte man in der Kirche ein und setzte diese in Brand. Die Eingesperrten verbrannten bei lebendigem Leib. Nach dem Massaker brannten die deutschen Soldaten den ganzen Ort nieder.
Die Ruinen der Kirche, der Geschäfte, der Wohnhäuser, die verkohlten Autos, Maschinen und Werkzeuge stehen noch heute so da wie am Tag nach dem Massaker. Der komplette Ort wurde zum Mahnmal ernannt und so belassen. Ein neues Oradour entstand daneben.
Kein Wunder also, dass es in Oradour lange undenkbar war, es den mittlerweile 34 Kommunen im Limousin nachzutun und eine Partnerschaft mit einer Gemeinde in Mittelfranken zu schließen. Viele kleine Schritte waren dafür notwendig, etwa ein Versöhnungskonzert der Chorgemeinschaft Schwaig und des Kammerorchesters Fürth im Jahr 2007, oder die Aufführung des Musicals "Mademoiselle Marie" der Cadolzburger Burgfestspiele im Jahr 2017. Und auch ein paar große Schritte natürlich.
Cadolzburger Musical rührt die Franzosen in Oradour
"Die Menschen in Oradour haben auf eine Entschuldigung von deutscher Seite gewartet. Und zwar nicht von irgendjemandem, sondern von höchster Stelle", verdeutlicht Körber. Am 4. September 2013 kam diese schließlich. Bundespräsident Joachim Gauck besuchte Oradour und schritt Hand in Hand mit Frankreichs Präsidenten Francois Hollande und dem Überlebenden Robert Hébras durch die Ruinen der Kirche.
Natürlich hatte bei der Anbahnung dieses großen Moments wie bei so vielen anderen kleinen Schritten der Aussöhnung wieder Fritz Körber seine Finger im Spiel. "Schon 1983 habe ich gespürt, dass Oradour zu einem wichtigen Stück meiner Lebensgeschichte werden wird", sagt er.
Von besonderer Bedeutung war dabei seine tiefe Freundschaft zu Hébras, der bei dem Massaker seine Mutter und zwei Schwestern verlor. Hébras überlebte nur, weil die Erschossenen ihn unter sich begruben. Er stellte sich tot, bis die Deutschen den Leichenberg in Brand steckten und verschwanden.
"Einer der außergewöhnlichsten Momente in meinem Leben"
Mit Hébras ist Körber seit 1985 eng verbunden. Schon zwei Wochen nach dem ersten Treffen in Nürnberg bei einer Erinnerungsveranstaltung besuchte er ihn erstmals mit einer Jugendgruppe und ließ sich von ihm durch Oradour führen.
Wie Robert Hébras das Massaker er- und überlebte
"Ich bin begeistert, dass sich jetzt nach vielen Jahrzehnten etwas entwickelt, von dem ich immer geträumt habe. Das ist einer der außergewöhnlichsten Momente in meinem Leben", sagt Körber. Und auch für Armin Kroder, Bezirkstagspräsident und Landrat des Nürnberger Landes ist es ein "Gänsehautmoment".
Denn das lange Zeit Undenkbare ist geschehen: Oradours Bürgermeister Philippe Lacroix hat Kontakt mit dem Bezirk aufgenommen und möchte freundschaftliche Bande mit einer mittelfränkischen Kommune knüpfen. Der Ort sollte möglichst ebenfalls über eine Leidensgeschichte verfügen, hieß es aus Frankreich.
Hersbruck als einzig möglicher Partner für Oradour
Körber sollte schließlich einen passenden Ort für Oradour suchen. "Da konnte es nur Hersbruck geben", sagt er. Schließlich befand sich hier ein Außenlager des KZ Flossenbürg, die Häftlinge arbeiteten in den berüchtigten Doggerstollen. 4000 Menschen starben, darunter nachweislich auch einige aus dem Limousin.
"Die Initiative ist bei mir auf weit aufstehende Türen im Herzen und Kopf gestoßen. Ich war vom ersten Moment an begeistert. Wir fühlen uns sehr geehrt, verbunden natürlich mit einer großen Verantwortung", meint Hersbrucks Bürgermeister Robert Ilg. "Es braucht eine lange Zeit, bis man bereit ist, auf die Nation zuzugehen, die für ein solches Massaker verantwortlich ist. Wenn einem dann die Hand gereicht wird, darf man sie nicht ausschlagen", ergänzt Hersbrucks Zweiter Bürgermeister Peter Uschalt.
Schnell hat man deshalb im Februar eine Videokonferenz mit der französischen Seite veranstaltet. "Der Austausch war sehr herzlich, sehr zugewandt, sehr offen", berichtet Ilg. Sobald es die Infektionslage erlaubt, will man sich gegenseitig besuchen. Noch ist das keine offizielle Partnerschaft, sondern eine sich zart anbahnende Freundschaft.
Freundschaft könnte in Partnerschaft münden
"Wir können uns aber eine freundschaftliche Verbindung vorstellen, bei der dann auch Sportvereine, Verbände und Kirchen beteiligt sind. Diese kann gerne am Schluss in eine Partnerschaft münden", sagt Ilg. Er sieht die Initiative Oradours als herausragendes Symbol, als große Chance, den nächsten Schritt der Erinnerungsarbeit, der Prävention und der Verständigung in Europa zu gehen.
Schon bald will man sich besser kennenlernen, und zollt derweil Oradour von Herzen Respekt für das Zugehen auf die deutsche Seite. "Wir hätten uns nicht getraut, in Oradour anzufragen", bekennt Bezirkstagspräsident Armin Kroder.
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