Wie Altmühlfranken das Internet lokal machen und es mit Amazon aufnehmen will
8.10.2019, 10:53 UhrWie sehen die Innenstädte in Weißenburg, Gunzenhausen oder Treuchtlingen in zehn, in 20 Jahren aus? Sind Amazon und Co. der Tod des Marktplatzes?
Stadt und Handel bildeten über Jahrhunderte, ja, Jahrtausende hinweg eine Symbiose. Diese Beziehung bröckelt. Die Innenstadt braucht noch den Handel, der Handel aber nicht mehr die Innenstadt. Er kann als E-Commerce-Unternehmen weltweit Kunden erreichen, ohne Innenstadtmieten und Personal zu zahlen. Innenstädte müssen in Zukunft wieder stärker als soziale Kraftwerke verstanden werden. Der Handel wird auf Dauer nicht mehr die erste Geige spielen.
Was denn dann?
Das innerstädtische Orchester braucht die Mischnutzung. Restaurants in Leerständen, Kindertagesstätten, handwerksgetriebene Unternehmen, Co-Working-Spaces und mutige Jungunternehmer ... Ich fürchte nur, dass die Immobilieneigentümer in innerstädtischen Lagen noch ein wenig Zeit brauchen, um sich mit dieser Vorstellung anzufreunden. Per se ist der Gedanke an eine zunehmende Nutzungsmischung genau richtig. Sie kommt dem Ideal der Europäischen Stadt näher. Dort soll gelebt, gearbeitet und gleichermaßen gewohnt wie gekauft werden.
Das war bislang nicht unbedingt der Fall. Viele Innenstädte sind wie leer gefegt, wenn die Geschäfte geschlossen haben.
Der Erfolg des stationären Innenstadthandels im Vor-Internet-Zeitalter war die Vorbereitung seines Bedeutungsverlustes. Weil in den Innenstädten jahrzehntelang die Bordsteine um 18.30 Uhr hochgeklappt wurden. Wenn es keinen Grund mehr gibt, in die Innenstadt zu gehen, müssen Anreize geschaffen werden. Event-Marketing, saubere Innenstädte und Aufenthaltsqualität bleiben wichtige Säulen.
Wie sieht denn die Situation in Altmühlfranken aus? Wenn wir mal auf den Weißenburger Marktplatz schauen.
Dort, wo es noch einen „Goldenen Bären“ und einen „Schwarzen Adler“ am Platz gibt, geht einem als Kommunal- und Einzelhandelsberater, der Schlimmeres gewohnt ist, das Herz auf. Was ich sagen will: Es ist in Altmühlfranken die richtige Zeit, um über Digitalisierungskonzepte für den Gewerbestandort nachzudenken. Anderswo hat man damit angefangen, als es schon zu spät war.
Warum funktioniert Amazon eigentlich so gut? Und warum funktioniert der Einzelhandel zunehmend schlechter?
Amazon funktioniert so gut, weil es nicht wie ein lokaler Einzelhändler im gleichen Maße Steuern und Abgaben zahlt. Es funktioniert auch deshalb so gut, weil hierzulande schätzungsweise rund 50 Prozent des Amazon-Handelsumsatzes von Dritthändlern auf der Plattform erwirtschaftet werden. Es würde wahrscheinlich noch mehr Läden nicht mehr geben, wenn viele nicht auch mit einem Bein im Online-Geschäft stehen würden – etwa bei eBayoder Amazon und letztlich auch mit einem eigenen Online-ShopAber Amazon ist weit davon entfernt, Kindergärten mit Adventsgeschenken zu unterstützen, wie es der lokale Handel tut. Amazon kümmert sich auch nicht um die Weihnachtsbeleuchtung in der Fußgängerzone.
Auch der Konsument muss sich an die Nase fassen und sein Konsumverhalten hinterfragen. Wir wollen in unserem Digital-Projekt in Altmühlfranken aber nicht den Zeigefinger heben und Kunden belehren, sondern mit technisch-konzeptioneller Exzellenz und Serviceorientierung überzeugen. Mitleid ist das letzte, was selbstständige Kaufleute gebrauchen können.
Was muss der Einzelhandel tun, um dauerhaft eine Chance zu haben? Wie soll denn ein kleiner Einzelhändler mit den Preisen eines Giganten wie zum Beispiel Amazon mithalten?
Geht ein kleiner Einzelhändler auf die Preisebene, hat er schon verloren. Die historische Chance ist, aus dem Einzelhandel eine bessere Version von dem zu machen, was er immer war. Mehr Service, mehr Erlebnis, mehr spezialisierte Sortimentskompetenz, mehr hybride Konzepte, die Gastronomie und Handel verknüpfen, und ein Verständnis davon, dass das Internet zum Vorhof des stationären Handels wird. Kunden würden oft sogar lokal kaufen, wenn die Produkte dort erscheinen, wo sie sie suchen.
Nämlich in Suchmaschinen im Netz. Gute Händler kümmern sich um ihre Online-Sichtbarkeit, um stationäre Frequenzgewinne zu erzeugen oder gar mit Modellen wie Click & Collect (online kaufen, vor Ort abholen) Online-Kunden in den Laden zu bringen.
Herr Haderlein, Sie wollen ein Einzelhandelsportal für ganz Altmühlfranken aufbauen. Man hat bewusst früh den Vergleich mit dem Internetgiganten Amazon gewählt, um die Idee verständlich zu machen. Ist das wirklich Ihr Ernst?
Von mir stammt der Vergleich mit Amazon nicht. Ich finde ihn gefährlich, weil er Erwartungshaltungen schürt, die dann mitunter zur Enttäuschung führen. Amazon-Gründer Jeff Bezos investiert in Raumfahrt, überträgt per Live-Audiostream die Fußballbundesliga. Wie kann man das kleine Pappenheim oder selbst New York dagegen in Stellung bringen? Die Waffen sind ungleich verteilt. Nicht verkehrt finde ich es dennoch, an das Graf-Pappenheim-Gen der Verwegenheit und des Mutes zu appellieren.
Wie meinen Sie das?
Wo sind denn die selbstbewussten Werbe- und Interessengemeinschaften, die Kümmerer, die Wirtschaftsförderer und Stadtmarketing-Verantwortlichen aus der Region, die die Chancen des Wandels auch sehen? Wo sind die, die laut rufen: Nein, nicht der Onlinehandel verändert unsere Städte, sondern die Städte verändern den Onlinehandel!
Wie soll dem altmühlfränkischen Online-Portal das denn gelingen?
Wir werden mit unserem regionalen Online-Marktplatz keinen Amazon-Prime-Kunden davon abhalten, seine Zahnbürste bei dem US-Riesen zu kaufen. Wir werden aber dafür sorgen, die „digitale Aufenthaltsqualität“ in Altmühlfranken zu steigern. Das heißt konkret: Geschäfte - übrigens auch Handwerksunternehmen, das Gastgewerbe oder Direktvermarkter - werden sich suchmaschinenoptimiert im Internet präsentieren. Händler mit einem elektronischen Warenwirtschaftssystem und Produktdaten können mit wenigen Hürden ins E-Commerce einsteigen.
Wir begleiten zudem digital weniger affine Betriebe über Schulungen und Coaching-Angebote. Unser Anspruch ist es, das rote Tuch Internet sanft aus dem Gesichtsfeld der Gewerbetreibenden zu reißen. Graf Pappenheim hätte sich vor Jeff Bezos sicher auch nicht in die nächste Hecke geworfen.
Wie sieht das in zwei Jahren aus? Kann ich dann daheim von der Couch aus Fußballschuhe bestellen und mir nach, sagen wir, Bechthal schicken lassen? Und dazu gleich noch ein Fleischpaket beim Metzger zur Abholung zusammenstellen?
Besser noch: Sowohl die Online-Abfrage der Warenverfügbarkeit im stationären Handel als auch die Direktauslieferung von sogenannten Mischkörben (Bestellungen bei mehreren Händlern, d. Red.) und natürlich das gängige Modell „Online bestellen, vor Ort abholen“ steht auf unserer Roadmap. Das werden wir aber nicht mit einem Fingerschnipp umsetzen. Amazon gibt es jetzt fast ein Vierteljahrhundert, wir werden auch Zeit brauchen. Sie werden künftig vielleicht auch die Hefte und Stifte ihrer Kinder zu Schuljahresbeginn mit einem Klick in einem kuratierten Warenkorb zusammengestellt bekommen.
Das kann Amazon tatsächlich nicht oder nur schwer leisten.
Eben. Aber der Schreibwarenhändler auf einem regionalen Online-Marktplatz, der kann es. Und er tut nur das, was er auch früher schon getan hat: ein serviceorientierter Einzelhändler vor Ort zu sein. Nur, dass er jetzt das Internet nutzt.
Was muss das Online-Portal für den Landkreis können, dass es angenommen wird? Wie bekommt man die Leute von Amazon auf „Altmühlzon“?
Zunächst einmal muss klar sein, dass es ihre Plattform ist und jeder darüber laufende Euro in der Heimat bleibt. Lokale Kunden werden es nicht mit relativ anonymen Marktplatzhändlern zu tun haben, sondern mit Menschen, die man kennt. Entscheidend aber wird sein, dass man einen Mehrwert durch das Portal bekommt. Das verlangt Gewerbetreibenden einiges ab. Es ist Zeit und Engagement, die in einen Online- Auftritt gesteckt werden müssen. Von alleine kommt die Mittagskarte des Gasthauses nicht auf die Plattform. Eine Online-Terminreservierung ist für den Kunden ein Schuss in den Ofen, wenn der Friseur montags nicht in seine E-Mailbox schaut ... Letztlich sollte der regionale Online- Marktplatz auch imstande sein, Nahversorgungslücken in Teilen der Region durch ein Liefer- und Logistikkonzept zu schließen. Die zunehmende Immobilität im Alter muss im 21. Jahrhundert ja nicht bedeuten, dass man nicht mehr einkaufen gehen kann.
Die Ideen sind schneidig, aber wie fit sind diejenigen, die mitmachen müssen? Nicht alle Einzelhändler sind Digital Natives?
Es braucht Schulungen und Austausch unter den Akteuren. Wir sind uns sehr im Klaren, dass es nur einen Überzeugungsmotor gibt. Und der lautet: Erfolg. Sobald sich dieser einstellt wird es Schneeballeffekte geben. Aber ein Zuckerschlecken wird es für alle Beteiligte nicht. Digitalisierung tut nun einmal weh. Der eine oder andere muss lernen, diesen Schmerz auszuhalten, um danach um so fitter mit den Herausforderungen der digitalen Transformation umzugehen. Was gar nichts bringt, ist eine vermeintliche digitale Rückständigkeit ständig ins Feld zu führen als Ausrede dafür, nichts machen zu können.
Geplant ist ein eigener Logistikservice, der über lokale Anbieter die Waren in der Region verteilt. Wie soll das funktionieren?
Sobald der Infrastrukturgeber für das Marktplatzmodell feststeht, suchen wir Gespräche mit potentiellen Logistikpartnern der Region. Es wird einen Workshop mit interessierten Akteuren geben. Hier kann man über Lieferflotten von Apotheken genauso nachdenken wie über Taxiunternehmen oder die Vertriebslogistik eines Zeitungsverlags, der jeden Morgen bis in den letzten Winkel der Region eine Zeitung bringt.
Als ich mich 2014 bei der „Online City Wuppertal“ dafür stark machte, die taggleiche Lieferung innerhalb der Stadtmauern einzuführen, wurdeich belächelt. Wer braucht das schon? Ein paar Jahre später führte auch Amazon in bestimmten Einzugsgebieten die Lieferung am selben Tag ein.
Wird das ganze Portal dauerhaft auf Fördergelder im Betrieb angewiesen sein? Ist es inzwischen so eine Art digitaler Daseinsvorsorge, dass die öffentliche Hand sich nicht nur um Kanalsysteme, Spielplätze oder Freibäder kümmert, sondern auch die Infrastruktur für ein Online-Warenhaus vorhält?
Auch der physische Marktplatz oder die Fußgängerzone werden mit Steuergeldern sauber gehalten. Es werden Schilder aufgestellt, die Parkbänke werden gestrichen, Feste organisiert. Da immer mehr lokal-relevante Information über das Internet eingeholt werden, brauchen regionale Akteure auch ein Verständnis von der Bespielung des online-lokalen Raums. Ich spreche hier gerne von dem Bemühen, die „digitale Aufenthaltsqualität“ eines Standorts zu steigern. Eine Anschubfinanzierung und die Begleitung eines Transformationsprozesses ist gut investiertes Geld. Perspektivisch aber muss klar sein: Eine digitale Regional-Initiative, die Gewerbetreibende unterstützt, darf kein über Fördermittel subventioniertes Marketing-Modell bleiben, sondern muss sich irgendwann – mit welchem Betreibermodell auch immer – selbst tragen.
Sie haben eine ähnliche Idee bereits in Wuppertal umgesetzt und damit bundesweit große Aufmerksamkeit bekommen.Wie geht es dem Projekt heute?
Die „Online City Wuppertal“ wächst nach wie vor organisch. Händler verkaufen über den lokalen Online-Marktplatz Produkte, liefern in Wuppertal per Kurier taggleich aus, versenden national und international und erzeugen online-induzierte Frequenzgewinne. Das heißt aber nicht, dass es dort keine Konflikte gäbe.
Was einfach klingt, ist in der Praxis ein hartes Ringen um Fördergelder, Kundenakzeptanz, technische Schnittstellen, politische Meinungshoheit, konzeptionelle Schlüssigkeit und – nicht zuletzt – um Kooperations-fähigkeit von städtischen und unternehmerischen Akteuren.
Glücklicherweise konnten wir für die erste große Info-Veranstaltung der Digital-Initiative in Altmühlfranken am 10. Oktober einen Händler aus der Schwebebahnstadt als Gastredner gewinnen, der als Paradebeispiel für eine gelungene digitale Transformation gilt.
Was ist das Besondere an dem Projekt in Altmühlfranken? Es dürfte ja ein paar Städte und Regionen geben, die sich Hilfe von einem anerkannten E-Commerce-Fachmann wünschen würden. Was reizt sie hier?
Als Innovationsberater habe ich wenig Interesse, immer das gleiche zu tun. Mittlerweile gibt es über 100 digitale Initiativen in Deutschland.
Rund ein Drittel davon agieren mit einem lokalen Online-Marktplatz und orientieren sich weitestgehend an der Mutter dieses Ansatzes, der „Online City Wuppertal“. Sprich: Die Grundkoordinaten des Transformations-prozesses sind für urbane Räume relativ klar.
Und das ist mit Blick auf ländliche Räume nicht der Fall?
In den Regionen haben wir ganz andere Rahmenbedingungen. Hier sind es nicht nur Stadtteile, die unter einem Dachmarketingansatz zusammengeführt werden müssen, sondern Städte. Es ist nicht nur eine Werbegemeinschaft, mit der man an einem Strang ziehen muss, sondern mehrere in unterschiedlichen Organisationsformen und Graden der Professionalität. Außerdem kommt hinzu: in ländlich geprägten Räumen bestehen im Vergleich zu Städten Nahversorgungslücken, die es mit Digitalisierungskonzepten zu schließen gilt. Kurzum: Regionale Digital-Initiativen sind eine große Herausforderung, die ich gerne annehme. Und man muss der Zukunftsinitiative Altmühlfranken ein großes Lob aussprechen, den Mut zu haben, hier etwas bewegen zu wollen.
Sie sind aber nicht alleine an der Planung und Koordination beteiligt?
Ein entscheidender Grund, mich hier zu engagieren, war, dass ich gemeinsam mit den Kommunalberaterinnen und -beratern der CIMA das Projektmanagement übernehmen konnte. Die CIMA ist eines der wenigen Pionierunternehmen im Bereich Digitalisierung von Einzelhandelsstandorten.
Außerdem hörten wir, dass Ihnen Weißenburg- Gunzenhausen vielleicht auch ein klein wenig näher liegt, als Wuppertal?
Tatsächlich schlägt mein Herz ein klein wenig fränkisch. Ich habe meine Kindheit in Oberfranken verbracht. Da gibt es gewisse Sympathien für die Region und den Menschenschlag.
Es dürfte auch interessant werden, wie bestehende Angebote und Organisationen integriert werden. Sie haben schon von den verschiedenen Stadtmarketingvereinen und Werbegemeinschaften gesprochen, aber was ist zum Beispiel mit dem Internetportal „Ingunzenhausen.de“, das ja bereits existiert?
„Ingunzenhausen.de“ ist ein Online-Schaufenster mit Angaben zu Unternehmen vor Ort: Öffnungszeiten, Sortiment, Kontaktdaten etc. Es ist ein werblich orientiertes Stadtportal, das mit viel Hingabe in den letzten Jahren aufgebaut wurde. Es beinhaltet aber keinen sogenannten „Multi-Vendor Online-Shop“, also eine Marktplatzinfrastruktur, die es möglich macht, Produkte zu bewerben und zu vertreiben. Wir wissen die Pionierarbeit des Gunzenhausener Stadtmarketings sehr zu schätzen, sind im engen Austausch und haben bereits im Leistungsverzeichnis der Ausschreibung den Austausch von Daten zwischen den beiden Plattformen festgeschrieben.
So ein bestehendes Angebot, das es nicht auf Landkreis-Ebene, aber auf Stadtebene gibt, wären auch die WUG-Schecks, ein Gutscheinsystem für den Weißenburger Einzelhandel.
Da gilt das Gleiche. Wir hoffen, mit einem regionalen Ansatz die jeweiligen städtischen Gutscheinlösungen zu stützen, das heißt insbesondere Skalierungseffekte zu erzeugen und Kosten einzusparen.
Sie haben mutig vorgegeben, dass bereits Ende des Jahres eine erste Version des neuen Portals online gehen soll. Können wir tatsächlich in wenigen Wochen schon digital shoppen gehen?
Wenn wir in das laufende Ausschreibungsverfahren keine Steine gelegt bekommen, wird es noch vor Weihnachten eine Testphase mit ersten Händlern der Region geben. Sicher wird die Logistik bis dahin noch nicht durchdekliniert sein. Im Zweifel muss der Kunde auf die Lieferung am selben Tag verzichten. Viel wichtiger ist uns dann ohnehin, dass Geschäfte online erstmal mit konsistenten Daten gefunden werden. Und dies fängt bei ordentlich gepflegten Öffnungszeiten im Netz an.
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