Wollte Peggys Mörder eine andere Tat vertuschen?

Elke Graßer-Reitzner

12.12.2018, 05:58 Uhr
Wollte Peggys Mörder eine andere Tat vertuschen?

© Foto: News5/Fricke

Auf den Tag genau vor drei Monaten rückten 70 Einsatzkräfte mit Polizeiwagen, Bussen und zivilen Fahrzeugen in einem Ortsteil von Marktleuthen an, sperrten schließlich eine Straße und durchsuchten das etwas abgelegene landwirtschaftliche Anwesen des 41-jährigen Manuel S. und seiner Familie.

Was man dort im September gefunden hat, wollten Polizei und Staatsanwaltschaft in Bayreuth auch gestern nicht preisgeben. Doch in ihrer gemeinsamen Erklärung machten sie deutlich, dass sich damit die Beweislage gegen S. erhärtet hatte, einen zweifachen Familienvater, der auch als Bestatter arbeitet. Man habe seine Angaben "sorgfältig überprüft" sowie die sichergestellten Beweismittel ausgewertet, teilten Leitender Oberstaatsanwalt Herbert Potzel und Polizeisprecher Jürgen Stadter mit.


Fall Peggy: Chronik einer einzigartigen Kriminalgeschichte


41-Jähriger in Untersuchungshaft

Obschon der 41-Jährige über seinen Verteidiger den Tatvorwurf bestritten hatte, kam er jetzt in Untersuchungshaft. Denn man sehe "dringenden Tatverdacht", dass "der Mann selbst Täter oder Mittäter der Tötung von Peggy Knobloch war" und anschließend ihren leblosen Körper in einem Wald bei Rodacherbrunn, rund 20 Kilometer von Lichtenberg entfernt an der bayerisch-thüringischen Landesgrenze, abgelegt habe. Es stehe im Raum, dass mit der Tötung eine zuvor begangene Straftat verdeckt werden sollte. Um welche Tat es geht, dazu äußerten sie sich nicht.

Wollte Peggys Mörder eine andere Tat vertuschen?

© Foto: dpa

Es gehört zu den merkwürdigen Episoden in der weit über 30 000 Seiten dicken Akte Peggy, dass Manuel S. schon gleich nach dem Verschwinden der hübschen Schülerin mit den leuchtend blauen Augen in den Fokus geraten war. Ausgerechnet der geistig behinderte Gastwirtssohn Ulvi K. bezichtigte damals Manuel S., der mit seinen Eltern in Lichtenberg lebte, das Mädchen getötet zu haben.

Verfahren damals eingestellt

Ulvi K. soll der Polizei auch berichtet haben, S. habe ihm gesagt, er habe das Mädchen missbrauchen wollen. Die Sonderkommission "Peggy" führte S. deshalb als Spur "Nummer 4", die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren gegen ihn wegen Totschlags ein. Doch es wurde eingestellt: Der damals 24-jährige Manuel S. konnte ein Alibi vorweisen. Er habe am 7. Mai 2001, seinem Geburtstag, zuerst seiner Mutter beim Blumen-Umtopfen im Garten geholfen und dann mit Verwandten gefeiert.

Etwa ein Jahr später sorgte die Mutter von Manuel S. für Aufsehen: Sie sagte aus, sie habe an jenem 7. Mai 2001 Ulvi auf einer Bank auf dem Henri-Marteau-Platz sitzen sehen, an dem Peggy auf ihren Nachhauseweg von der Schule vorbeigekommen sein soll.

Ulvi K. war da bereits selbst in den Verdacht geraten, etwas mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun zu haben. Im Jahr 2004 wurde K. in einem Indizienprozess zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes an Peggy verurteilt. Erst zehn Jahre später wurde er in einem Aufsehen erregenden Wiederaufnahmeprozess vom Tatvorwurf des Mordes freigesprochen. Er lebt heute in einem Heim. Doch immer noch steht auch ein sexueller Missbrauch des Kindes im Raum, für den man Ulvi K. verurteilt hatte. Die sonst so quirlige Neunjährige hatte sich kurz vor ihrem Verschwinden stark verändert, war traurig und zeigte in der Schule einen deutlichen Leistungsabfall. Sie befand sich deswegen in ärztlicher Behandlung, wie die Akten festhalten.

Wollte Peggys Mörder eine andere Tat vertuschen?

© Foto: Marcus Führer/dpa

Wissenschaft hilft Ermittlern auf die Spur

Doch wer hat sie getötet? Warum? In diesem Herbst brachte eine kaum bekannte Wissenschaft die Ermittler auf die Spur von Manuel S.: die Palynologie. Sie rankt sich um die Erforschung des Blütenpollens.

Denn eine Expertin hatte an den sterblichen Überresten von Peggy, die ein Spaziergänger im Sommer 2016 im Waldstück bei Rodacherbrunn entdeckt hatte, winzige Partikel von Torf-Pollen gefunden. Zuerst konnte die derzeitige Soko "Peggy" mit dem Pollen-Fund nichts anfangen. Doch dann stieß sie auf die Aussage von Manuel S., er habe am 7. Mai 2001 mit seiner Mutter Blumen im Garten umgetopft.

Nach der Durchsuchung von S.’ Anwesen in Marktleuthen fuhren die Ermittler auch nach Lichtenberg und nahmen Proben vom Wohnhaus und dem Garten seiner Mutter. Und sie stellten Übereinstimmungen mit den Proben vom Leichenfundort fest.

Druck der Laborergebnisse

Unter dem Druck der Laborergebnisse gestand der 41-Jährige im September schließlich, Peggy mit seinem goldfarbenen Audi 80 in den Wald gebracht zu haben. Er bestritt jedoch, das Mädchen getötet zu haben. Er habe das leblose Kind damals von einem Bekannten an der Bushaltestelle in der Poststraße von Lichtenberg übernommen, sagte S. aus. Er habe noch versucht, die Neunjährige zu beatmen, weil dies nicht gelungen sei, habe er sie in eine rote Decke gepackt und in den Kofferraum seines Autos gelegt. Den Schulranzen und die Jacke von Peggy will er einige Tage später zu Hause verbrannt haben.

 

Obwohl sich Polizei und Staatsanwaltschaft bedeckt hielten, kam rasch heraus, dass Manuel S. wiederum Ulvi K. als den Mann beschuldigt hatte, von dem er das leblose Mädchen übernommen haben wollte. Ulvi K.s Betreuerin Gudrun Rödel ist darüber zutiefst empört.

Nicht nur, dass sie diese Aussage für völlig abwegig hält, auch ein anderer Aspekt lässt sie den Kopf schütteln. An dem Bushäuschen seien zur Mittagszeit Scharen von Schülern vorbeigekommen, selbst Manuel S.’ Bruder habe sich dort aufgehalten, versichert sie. Ein lebloses Mädchen wäre dort keine Sekunde unentdeckt geblieben. Ulvi K. habe die neuerliche Beschuldigung so mitgenommen, dass er vorübergehend ärztlich behandelt werden musste. Auch Polizei und Staatsanwaltschaft hatten offenbar Zweifel: Der geschilderte Geschehensablauf sei "nicht mit weiteren Ermittlungsergebnissen in Einklang zu bringen", heißt es in der Erklärung.

Verwandte Themen