Nachwuchsleistungszentren
"Erschreckende Fälle gab es auch beim FCN"
14.10.2021, 10:00 UhrDas beste deutschsprachige Fußballbuch des Jahres ist schon erschienen. Geschrieben hat es Ronald Reng. In "Der große Traum" erzählt er von drei jungen Fußballspielern und ihrem Traum, es in den Profifußball zu schaffen: Niko Reislöhner von der Spielvereinigung Greuther Fürth sowie Fotios Katidis und Marius Wolf vom 1. FC Nürnberg. Zum Profi wird nur einer: Wolf, derzeit bei Borussia Dortmund angestellt. Aber alle drei zusammen erzählen eine manchmal traurige und mitunter erschreckende Geschichte über das Leben in den Nachwuchsleistungszentren des deutschen Fußballs. Sie erzählen aber auch schöne Geschichten – eine der schönsten ist die, die Katidis und Wolf über Michael Bischoff erzählen. Einem ehemaligen U16-Trainer des 1. FC Nürnberg. Ein Trainer-Talent, das es auch nicht in den Profifußball geschafft hat und an diesem NLZ beinahe kaputtgegangen ist. Im Interview spricht er über seine Zeit beim Club und die Vor- und Nachteile der deutschen Fußballausbildung.
"Jeder sollte einen Herrn Bischoff haben" – wie bewegend ist es, wenn man im schönsten Fußballbuch des Jahres die schönste Kapitelüberschrift bekommt, weil zwei der drei jugendlichen Hauptdarsteller so von der Zusammenarbeit im NLZ des 1. FCN schwärmen?
Bischoff: Dadurch, dass sich mein Leben ja sehr verändert hat und ich seit einiger Zeit nicht mehr im Fußballbereich arbeite, mich mit dem Fußball kaum noch beschäftige, war es schon sehr bewegend. Zurückzublicken auf die Zeit, die mir am meisten Spaß gemacht hat – mit jungen Menschen zu arbeiten. Im Nachhinein zu hören, wie die Arbeit empfunden wurde – da habe ich schon Gänsehaut bekommen.
Ihr Lebenslauf ähnelt ein wenig dem der Spieler. Sie sind als junger Trainer im Stadtteilverein SG 83 Nürnberg so erfolgreich gewesen, dass Sie der FCN in sein NLZ gelockt hat. Als Trainer-Talent also. Sie wurden Cheftrainer der U16, der Mannschaft, in der Sie Fotis und Marius kennengelernt haben. Wie war das Ankommen beim Club?
Bischoff: Ich habe das ja erst einmal nur in Teilzeit gemacht, bin abends hin und habe mein Training abgehalten. Das war jetzt nicht so, dass ich das Vereins- oder das NLZ-Leben so richtig mitbekommen habe. Da war nicht viel Unterschied zu meiner vorherigen Trainerstation. Verändert hat sich das erst 2013, als ich hauptamtlich angestellt wurde.
Mit Blick auf die Arbeit im NLZ kann man als Außenstehender den Eindruck bekommen: Die Einzelperson spielt da keine Rolle. Es muss eben funktioniert werden – egal, ob Spieler oder Trainer. Falls nicht, wird ausgetauscht. Hatten Sie das Gefühl, dass Sie selbst gestalten konnten?
Bischoff: Es gab natürlich Vorgaben, die eingehalten werden mussten, das ist auch gut so, weil es Vergleichbarkeit schafft. Aber es gab schon auch die Einsicht, dass jeder Trainer so eine Art Künstler ist und Freiraum braucht. Manchmal musste man um diese Freiheiten kämpfen.
Eine Freiheit, die Sie sich genommen haben, war, dass Sie anders auf die Spieler geblickt haben als andere Trainer. So wird das in dem Buch beschrieben, als der damals sehr schmächtige Wolf in Ihre Mannschaft kommt. Mit wie viel Verwunderung haben denn die Spieler darauf reagiert, dass Sie sie erst einmal zu einem einstündigen Gespräch in die Kabine bitten, um den Menschen kennenzulernen?
Bischoff: Zurückhaltend. Das sind 15-Jährige. Die sind in diesem Alter sehr verschlossen. Es kam selten vor, dass sich da einer mal wirklich öffnet. Aber an den Reaktionen auf diese Gespräche habe ich schon abgelesen, dass in einem NLZ generell zu wenig gesprochen wird mit den jungen Spielern. Und zwar normal gesprochen – wie man das auch mit seinem Kind tun würde. Man muss ihnen zumindest die Möglichkeit bieten, sich zu öffnen.
Das Buch vermittelt den Eindruck, dass das in einem NLZ nicht unbedingt gewünscht ist. Man erlebt Eltern, die lange zweifeln, ob sie es bei der Leitung ansprechen, dass ihr Sohn unter einem tyrannischen Trainer leidet – sie sehen die Karriere in Gefahr, wenn sie Widerspruch wagen. Haben Sie manchmal gezweifelt an diesem System, in dem Kinder einem sehr unwahrscheinlichen Traum fast alles unterordnen?
Bischoff: Im Buch wird ja beschrieben, dass alle drei Spieler alles wieder genau so machen würden, obwohl sie diese Negativerlebnisse hatten. Mir kommt es oft so vor, dass es eher die Eltern sind, die das Problem haben und das dann auf die Kinder transformieren. Die sagen dann: "Du bist so viel im Zug gesessen, deine Kindheit ist verschwendet." Es ist eine Ausbildung fast wie jede andere. Manchmal erlebt man unangenehme Dinge – die einen stecken es weg, die anderen nicht.
Aber dass ein Spieler wie Niko Reislöhner in einem NLZ – in diesem Fall der Spielvereinigung Greuther Fürth – auf einen Trainer wie Janos Radoki treffen kann, der ihn quält, ist schon sehr erschreckend. Und selbst in diesem krassen Fall reagiert die Familie erst einmal ohnmächtig.
Bischoff: Das ist erschreckend, ja. Solche Fälle gab es beim 1. FCN schon auch. Da geht es einem als Trainer, der das mitbekommt, wie den Eltern. Die sagen nichts, weil sie Angst haben vor den Konsequenzen, die das Kind spürt. Als Trainer sprichst du es mal im Vier-Augen-Gespräch an, dass du den Umgang falsch findest, aber in der großen Gruppe bei den Besprechungen machst du das nicht.
Weil man nicht anecken will?
Bischoff: Ja. In so einem NLZ sind nicht nur junge Spieler, sondern auch junge Trainer. Die wollen im besten Fall auch zu den Profis. Da überlegt man es sich, ob man der sein will, der auffällt, weil er unbequeme Dinge anspricht. Deswegen wird viel erlitten. Das ist auch auf dieser Ebene ein Konkurrenzkampf. Daran krankt dieses System, es ist kein offenes. Es gibt die Angst der Eltern, die der Spieler – und die der Trainer.
So etwas hört man in der Außenbeschreibung der NLZ nicht. Da wird behauptet, dass die Kinder auch zu guten Menschen erzogen werden – wenn es nicht zum Fußballprofi reicht. Ist das Quatsch?
Bischoff: Im Idealfall gibt es das schon. Aber das System steht dem entgegen. Das viele Geld, das im Spiel ist. Der Druck, der auf den Trainern lastet. Der Wunsch ist da, den Menschen weiterzubringen. Aber in der Realität ist das oft unmöglich. Das Problem ist: Es ist im Jugendbereich immer abhängig von der Person, die die Macht hat – der Trainer oder der Sportdirektor. Die entscheiden über das Weiterkommen eines Spielers, die legen die Kriterien fest. Und diese Kriterien wechseln immer wieder, weil auch Trainer oder Sportdirektoren abhängig sind von Ergebnissen und ausgetauscht werden.
Sie sind jetzt schon seit längerer Zeit nicht mehr in dieser Abhängigkeit. Wann kamen bei Ihnen die Zweifel an diesem System NLZ auf?
Bischoff: Wirkliche Zweifel waren das nicht. Es hat mir Spaß gemacht. Das Problem war, dass man immer wieder gegen immer neue Widerstände kämpfen musste. Den Entschluss aufzuhören, habe ich gefasst, als die NLZ-Leitung gewechselt hat. Rainer Zietsch kannte mich schon. Der wusste, was mir wichtig ist und dass man in der U16 Dinge anders angeht. Dass man sich mit dem Spieler als Mensch auseinandersetzt, sich mit den Eltern austauscht – das sind Dinge, die in der U17 oder U19 gar nicht mehr stattfinden. Dann kam der Leitungswechsel und ich sollte wieder erklären, wie ich etwas handhabe, mich wieder rechtfertigen. Da habe ich gemerkt, das will ich nicht nochmal.
Weil sich auch die Atmosphäre verändert hat im NLZ.
Bischoff: Ja. Das ist wie bei einem Spieler, der in ein neues Team kommt. Man muss sich neu beweisen, die Karten werden neu gemischt. Als Spieler kann man sich da freuen, wenn man vorher auf der Bank gesessen hat. Als Mitarbeiter im NLZ wirst du aber nicht auf die Bank gesetzt, sondern du verlierst im schlimmsten Fall deinen Job, weil der Neue andere Vorstellungen hat.
Sie sind über diese Unsicherheit schwer erkrankt.
Bischoff: Ja. Ich hatte erst eine Autoimmun-Erkrankung, von der man nicht genau wusste, woher sie kommt. Das hatte aber sicher mit diesem Stress zu tun. Die habe ich überstanden, habe aber danach gemerkt, dass mir das nicht mehr gut tut und ich einen Burnout und Depressionen entwickle. Da war im NLZ eine deutliche Ausgrenzung zu spüren, da war Mobbing. Man merkt, dass man nicht gebraucht wird. Da sitzt man vereinsamt in seinem Büro und wird zu keiner Besprechung eingeladen. Heraus kam ein erzwungener Abgang, nennen wir es so.
Müssten die NLZ anders organisiert werden?
Bischoff: Ich weiß es nicht. Man sollte sich überlegen, ob man dem NLZ-Leiter eine Ausbildung zukommen lässt – auch eine pädagogische. Der hat hunderte Kinder unter sich, muss aber in dieser Hinsicht nichts vorweisen. Da fehlt es oft an Führungsqualitäten. Man kann da nicht einfach einen Ex-Profi hinsetzen und sagen: Mach mal. Andererseits gibt es in den NLZ schon auch gute Dinge: Mich hat mal meine Tochter abgeholt und hat meine Spieler aus der Kabine kommen sehen. Die konnte gar nicht glauben, dass das eine U16 ist, weil die alle so erwachsen gewirkt haben, fokussiert.
Die im Buch beschriebenen Spieler würden alles noch einmal genauso machen. Der Trainer Michael Bischoff eher nicht?
Bischoff: Doch, doch – ich würde das auch wieder genauso machen.
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