Klare Botschaft in Offenem Brief
Ultra-Eklat in Nürnberg: Fans stürmen Innenraum - so erklärt die Szene die aufsehenerregende Aktion
21.2.2024, 15:28 UhrEs waren martialische Bilder, wie es sie im deutschen Profi-Fußball nur äußerst selten gibt. Zahlreiche Fans aus der Nordkurve des Max-Morlock-Stadions überstiegen die Barrikaden, die die Ränge vom Spielfeld trennen, teilweise vermummt stürmten sie auf die Tartanbahn, um eine deutliche Botschaft zu setzen. "Bleib standhaft und bekenne Dich zu deinen Werten", stand in weißer Schrift auf schwarzem Grund. "Investorendeal sofort stoppen!" Zuvor warfen die Fans aus dem Gästeblock Tennisbälle auf den Rasen, dann positionierten sich die FCN-Ultras mit einer Choreografie gegen die Ligabosse. "Geldgeile Heuchler bereiten Ihnen schlaflöse Nächte" hieß es auf einem Transparent, auf einem anderen: "Investoren fügen Ihrer Liga Schaden zu." Nur: Was soll all das?
Seit mittlerweile Wochen tobt der Streit um die sogennante "50+1"-Regel. Sie gilt gerade in Ultra-Kreisen als heilig und verhindert im Kern, dass Investoren im deutschen Profifußball ganze Vereine übernehmen. Sie gewährt, dass Kapitalanleger Clubs nicht aufkaufen können, indem eine Mehrheit immer beim Verein selbst bleiben muss. Erst kürzlich votierten die 36 Proficlubs der ersten und zweiten Liga aber mit einer denkbar knappen Zwei-Drittel-Mehrheit dafür, einem Finanzinvestor Tür und Tor zu öffnen - über prozentuale Beteiligungen an den TV-Erlösen erhofft sich die Deutsche Fußball-Liga (DFL) einen Milliardenregen. Doch es gibt Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abstimmung, besonders, weil Martin Kind, der Vorstandsvorsitzende von Hannover 96, entgegen dem Auftrag seines Vereins gestimmt haben könnte. Während immer mehr Liga-Verantwortliche Zweifel hegen, schäumen die Fan-Kurven. Und genau das entlud sich nun am Sonntag im Max-Morlock-Stadion.
Spiel kurz vor dem Abbruch: Fans erklären die Aktion
Neu sind die Proteste nicht, die Dimension dessen, was in Nürnberg geschah, ist es aber durchaus. Dass Ultras den Innenraum stürmen, um ihren Protest zu platzieren, kam bislang nicht vor. Selbst massive Polizeipräsenz konnte die FCN-Anhänger nicht an ihrem Platzsturm light hindern, das Spiel wurde unterbrochen, konnte dann aber fortgesetzt werden. Parallel dazu veröffentlichte die organisierte Fan-Szene des Club einen Offenen Brief, der die Aktion erklären soll.
Den eigenen Verein nehmen die FCN-Anhänger dabei ausdrücklich in Schutz. Im Dezember votierten die Verantwortlichen des Clubs in eben jener Abstimmung zum Investoreneinstieg gegen die Pläne der DFL. "Sie haben damit die Werte eines Fußballs verteidigt, der sich an dem mehrheitlichen Willen der Vereinsmitglieder nahezu aller deutscher Profiklubs orientiert", heißt es. Anders, so die Fans, sieht es jedoch mit anderen Institutionen im Profifußball aus.
Die Fans kritisierten das "intransparente Verfahren und die dadurch faktische Aushebelung der 50+1-Regel". Man erwarte nicht, dass sich Fußballvereine einem "gesunden und nachhaltigen Sponsoring verwehren noch verschränken wir uns Investionen in den Aufbau einer zeitgemäßen Medienvermarktung", heißt es in dem Offenen Brief. "Das bisherige Schweigen über die Vorgänge rund um die intransparente Abstimmung und Modalitäten des Investoreneinstiegs hat die Situation in allen Stadien der Republik deutlich verschärft und erhärtet den Verdacht eines höchst unseriösen Prozederes." Und genau deshalb fordern die Fans jetzt eine Wiederholung der Abstimmung.
Weit über 50 Fanklubs unterschreiben Offenen Brief und stellen sich hinter die Ultras
Doch zuvor, betonen die Anhänger, solle es eine Befragung aller Mitglieder und besonders die "Offenlegung des abzusteckenden Rahmens für mögliche Verhandlungen der DFL-Geschäftsführung mit potenziellen Investoren" geben. Nur dann würden Vereine substanziell entscheiden können, im Sinne der Fans, im Sinne des Fußballs. "Wir können nur eindringlich an Sie appellieren diesen Vorreitern zu folgen und sich für eine Neuabstimmung inklusive einer transparenten Vorbereitung einzusetzen." Alleine stehen die Nürnberger Ultras in jedem Fall nicht. Neben der UN94 und der Banda di Amici, den mächtigsten Vereinigungen der organisierten Szene, schlossen sich weit über 50 weitere Fanklubs dem Offenen Brief an.
Der Prozess läuft - und einige Vereinsbosse wagen sich bereits aus der Deckung. "In erster Linie geht es uns darum, für Rechtssicherheit und für Akzeptanz zu sorgen", sagte beispielsweise Christian Keller, Geschäftsführer des 1. FC Köln am Sonntag im Interview mit dem "Geissblog". Alle Verdachtsmomente müssten "vollständig ausgeräumt werden". Es bleibt also weiter angespannt in Deutschlands Fan-Kurven.