Als Erlangen die Rhein-Neckar Löwen schlug

NÜRNBERG - Es ist mittlerweile über zwei Jahre her - doch für manche sind die Erinnerungen von jenem 9. Dezember 2014 noch so klar, als wäre es gestern gewesen: Damals entzauberte der Bundesliga-Aufsteiger vor einer begeisterten Rekordkulisse von 5311 Zuschauern die Rhein-Neckar Löwen mit 27:25 (12:14). Auch am Sonntag, wenn die Löwen wieder in die Arena Nürnberg kommen (15 Uhr, LiveBlog auf nordbayern.de), sind sie Tabellenführer. Wir haben zur Einstimmung den Original-Text von Redakteur Christoph Benesch von 2014 für Euch aus dem Archiv gekramt:

Es ist nicht lange her, da kämpfte der HC Erlangen noch gegen die drohende Insolvenz. Es kam jemand, der krempelte den Laden um, holte Frank Bergemann als Trainer und der machte sich dann auf, mit einem runderneuerten Team ein Märchen zu beenden, das einst in einer kleinen Sporthalle in Büchenbach begonnen hatte.

„Fliegendes Klassenzimmer“ taufte diese Zeitung damals die deutschen Meistertitel einer Jugendmannschaft, die sich wenig später aufmachte, einen schier unglaublichen Durchmarsch aus der Bezirks- bis in die zweite Bundesliga zu feiern.

Mit den Helden von damals

Gestern Abend, da waren viele von diesen ehemaligen Handball-Buben wieder da: Roland Wunder, Carsten Henrici, Norbert Münch, Martin Sauer konnte man sehen, wie sie klatschten und jubelten, und ihre Erfolgstrainer Helmut Hofmann und Siegfried Pabst, dessen wenige Haare längst grau geworden sind. Sie standen dort unten am Rand des Feldes, außenherum tobten 5311 Zuschauer begeistert und die alten CSGler, sie trauten ihren Augen kaum.  Erlangens Handball-Familie feierte gemeinsam ihr nächstes Märchen: Mit 27:25 (12:14) hatten sie in einem wahren Handball-Krimi den Tabellenführer, die großen Rhein-Neckar Löwen besiegt.

Die beeindruckende Kulisse bewirkte tatsächlich das, was sie früher in der Eurohalle und zuletzt wieder in der Hiersemannhalle geschafft hatte: sie versetzte Bäume. „Wir waren wie im Rausch“, sagte Oliver Heß später, der Schweiß lief ihm in Bächen vom Gesicht, er war einer der „kleinen Helden“, wie Bergemann seine Mannschaft kurzerhand nannte, „wir waren in einem Tunnel. Wahnsinn, ich kann es noch gar nicht glauben.“

Doch zunächst war die Mannschaft noch mit ihren Nerven beschäftigt, der Tabellenführer hatte soviele Zuschauer angelockt wie noch nie zu einem Heimspiel einer Erlanger Handballmannschaft. Die Rhein-Neckar Löwen ließen sich davon freilich nicht beeindrucken – erst im September spielte der Vizemeister im Frankfurter Waldstadion vor fast 37 000 Fans. Zuvor, im August, hatten sie den HC Erlangen zu Hause humorlos abgeschossen: 35:18 hieß es am Ende, der Favorit hatte beinahe doppelt so viele Tore geworfen wie der staunende Aufsteiger.

Das sollte gestern Abend nicht noch einmal passieren – also kämpfte sich die Mannschaft, die auf den gesperrten Sveinsson verzichten musste, beeindruckend hinein in dieses Spiel. Angepeitscht immer wieder von diesem einzigartigen, begeisternden Publikum.

Trotzdem zog der Gast davon: 1:3, 2:4, 5:7 (11. Minute). Dann sprang der Funke endlich über, Nikolai Link besorgte das 7:7 und 8:7 (15.) für Erlangen. Im Hinspiel noch hatte es zu diesem Zeitpunkt 12:4 für Mannheim gestanden. Diesmal ließ Erlangen nicht nach, spielte hervorragend Abwehr – obwohl der Defensivchef, Sebastian Preiß, angeschlagen zunächst passen musste. Der HCE egalisierte das mit unbändigem Willen, mit Kampfkraft, mit großem Teamgeist und einem wieder einmal großartigen Katsigiannis im Tor.

Die Gäste versuchten zu zaubern, doch der Aufsteiger ließ sich nicht vorführen, nicht an diesem Abend, vor dieser Kulisse. Als nach zwei Zeitstrafen gegen die Heimmannschaft ein 10:14 (28,) vom Würfel leuchtete, hoffte der Champions-League-Teilnehmer, dass der Widerstand endlich brechen würde – doch Erlangen dachte gar nicht daran. Über 12:14 (Halbzeitstand) kletterte der Aufsteiger wieder heran. Martin Stranovsky traf zum 16:17 (38.).

Beim 18:18, als es längst keinen mehr auf seinem Sitz hielt, parierte Katsigiannis einen Siebenmeter, die Ohren klingelten von den Pfiffen. Jonas Link warf den Ball zum 20:19 (46.) hinein ins Glück, sein Bruder Nikolai ruderte wild mit den Armen – die Halle bebte, die Löwen zeigten erstmals Nerven.

So ging es weiter in einem Krimi, die Rhein-Neckar Löwen legten vor, Erlangen zog nach: 21:21, 22:22, 23:23 (53.). Martin Stranovsky gelang dann in Unterzahl die Führung, 24:23, fünf Minuten waren noch auf der Uhr, Oliver Heß traf zum 25:23, Sekunden später vergab Ole Rahmel den ersten Matchball, sein Heber flog vorbei. Kein Puls schlug mehr unter 200, da ging es in die letzten, aufregenden Minuten. Wieder Heß machte das 26:24, Mannheim lief plötzlich die Zeit davon. Und Erlangen war im Rausch, fuhr das nächste Wunder der großen Vereinsgeschichte nach Hause.
Nicht nur diese Mannschaft hatte gewonnen, es fühlte sich tatsächlich so an, als hätte jeder einzelne in dieser Halle seinen Beitrag geleistet.

Erlangen: Katsigiannis; Weltgen, Schwandner, Murawski, Jonas Link (2), Preiß (1), Krämer, Nienhaus (4), Hess (4), Rahmel (3), Stranovsky (8), Nikolai Link (5), Thümmler.