Bike-Polo: Wie verirrte Punks auf einem Klassikkonzert

7.8.2013, 12:50 Uhr
Bike-Polo: Wie verirrte Punks auf einem Klassikkonzert

© Harald Sippel

Sonntag, früher Nachmittag. Während zu ihrer Rechten gelbe Filzbälle über ordentlich abgezogenes Sandbraun zischen, zu ihrer Linken weiße Hightechfaser-Bälle über musterhaft gemähtes Rasengrün schnurren, schlendert ein gediegenes Ehepaar vom Parkplatz kommend über das Club-Gelände. Sie trägt ein luftiges Sommerkleid, er Leinen-Chinos und adrette Rahmengenähte, die er, als beide das schicke neue Mehrzweckgebäude passieren, abrupt in den Boden stemmt.

Denn dort, im Hinterhof, schabt gerade bunter Hartplastik über Asphalt und kracht in feucht-fleckige Banden. Gleich drauf fliegt ein behelmter Mensch hinterher und obendrauf etwas, das wie ein Fahrrad aussieht. Die Zuschauer stöhnen. Ein kurzer Fluch, ein kurzes Zurechtbiegen des Lenkers, dann geht es für den jungen Mann weiter.

Die Frau im Sommerkleid beschleunigt ihren Schritt wieder. Ihr Gatte, der weiter zuschauen will, hat keine Chance. „Liebling, hier wird Polo gespielt“, hätte er sagen können. Doch sie hätte ihm ohnehin nicht geglaubt.
Polo, das ist der edle Sport hoch zu Ross, das Duell eines jungen Lord Canterbury mit einem Sprössling der Novillo-Astrada-Dynastie (5000 Morgen patagonische Steppe mit 30 Millionen Stück Rind darauf), während Eltern und Entourage unter weißen Pavillondächern wandelnd aus Sektflöten schlürfen und Kanapees mit Birne-Gorgonzola kredenzen. Ja, genau, das ist Polo, also das bekannte Polo, aber um das geht es hier gar nicht. Bei der hiesigen Version gibt’s Getränke nur aus Flaschen und das Chili aus Plastikschüsseln. Und vererbt wird nur ein Schrebergarten mit drei heiseren Suppenhühnern.

Auf Konfrontationskurs: Beim Bike-Polo geht es robust zur Sache.

Auf Konfrontationskurs: Beim Bike-Polo geht es robust zur Sache.

Bike-Polo nennt sich der Sport, der sich in diese reglementierte Club-Sportwelt eines Sonntagnachmittags geschlichen hat wie ein Punk auf ein Klassikkonzert. Es ist die Symbiose zweier antagonistischer Ansätze, die Einverleibung der Grundidee eines Upperclass-Sports in eine anarchisch angehauchte Subkultur. Natürlich gibt es auch hier Regeln, derer aber nicht all zu viele. Man spielt drei gegen drei, entweder 15 Minuten lang oder bis jemand fünf Tore macht. Körpereinsatz ist erlaubt, Schläger und Rad sehen aus wie etwas, das herumfliegt, wenn ein Baumarkt neben einem Zweiradhändler explodiert. Gerade duelliert sich „Royal with Cheese“ mit „Der gespielte Witz“. Es ist der zweite Tag der Frankonian Open, dem ersten Bike-Polo-Turnier Nürnbergs. Nebenan beginnt das Testspiel der Fußball-Club U19 gegen die 1860er aus München, die Profis in spe laufen ein und grüßen artig die wenigen Zuschauer, die sich eingefunden haben. Das Spieler-Spalier trägt neben den Vereinsuniformen erstaunlich einheitliche Frisuren.

Es sitzt keine Frisur mehr

Hier, auf dem Asphalt, sitzt keine Frisur mehr. Hier herrscht Helm, Bart und mit Tinte und Narben verzierte Haut, T-Shirts, Tanktops und von Schweiß und Nässe glänzende Oberkörper. Aber die Ordnung hat auch beim Bike-Polo zugelangt: Der Sport, der überall dort gespielt werden kann, wo glatter Asphalt zur Verfügung steht, ist seit zwei Jahren nun eingegliedert in das Vereinswesen der 1.FCN Roll- und Eissportabteilung — Versicherungsschutz, Trainingszeiten und Platzgarantie inklusive.

Vorbehalte habe es dagegen schon gegeben, sagt Jürgen Konrad, einer der hiesigen Bike-Polo-Pioniere und Turnierleiter: „Ein paar sind diesen Weg nicht mitgegangen, die wollten mit der Vereinsmeierei nichts zu tun haben.“ Turniere aber, sagt Konrad, seien ohne Vereinsunterstützung nicht zu stemmen, deswegen sei man dem FCN dankbar — vor allem für die zur Verfügung gestellte Örtlichkeit.

28 Teams gehen bei den Frankonian Open an den Start, Bike-Polo-Akteure aus der Schweiz, Österreich, Polen, Ungarn, Tschechien und Deutschland.
Da es keinen Ligabetrieb gibt, sind diese Turniere die beste Möglichkeit, sich als Spieler mit anderen zu messen. Auch Ralph Weisbach vom Team „Octopussy“ ist einer von ihnen, er ist nebenbei aber auch Leiter der FCN-Bike-Polo-Sparte.

Helm hält: Vorbereitung ist alles

Helm hält: Vorbereitung ist alles

„Straße schön und gut“, sagt er, „aber alle von uns wollen besser werden.“ Besser wird man, wenn man regelmäßig spielen kann, und da das regelmäßige Spielen in den Zeiten vor der Eingliederung auch immer von Wohlwollen und Aktivität diverser Security-Menschen, Hausmeister und VAG-Mitarbeiter abhing, war der Anschluss an den FCN ein wichtiger Schritt hin zum Besserwerden.

Ralph Weisbachs Team ist ein eindrücklicher Beleg dafür. Zusammen mit einem Nürnberger Vereinskameraden und einem Sportsfreund aus Budapest landet er bei der Vorrunde auf Platz eins, und auch in der Eliminationsrunde geht die Siegesserie weiter. Das Spiel ist taktisch und technisch anspruchsvoll: Mit einem solchen Schläger Feingefühl zu entwickeln — das alleine sieht aus, als koste es viel Nerven. Dazu kommen radtechnische Balanceakte auf engstem Raum, die sekundenschnelle taktische Abstimmung und Neuorientierung, Furchtlosigkeit, Schmerzfreiheit — das deutsch-ungarische Trio erfüllt diese Anforderungen in der Summe am besten. Sie gewinnen auch das Finale und damit das erste Frankonian Open.

Farbtupfer = positiv 

Das gediegene Ehepaar ist da freilich längst verschwunden, vermutlich ihrem Sohnemann zusehen, der auf dem A-Platz zur linken an seiner Profikarriere arbeitet. Profis, das ist anzunehmen, wird es beim Bike-Polo wohl niemals geben. Trotzdem: „Insgeheim wollen alle, dass wir populärer werden“, verrät Weisbach, er weiß aber natürlich, dass es gerade für seinen Sport wichtig ist, die Gratwanderung zwischen der Bewahrung der Wurzeln und der fortschreitenden Organisierung ordentlich hinzubekommen. Denn trotz wachsender Popularität: Farbtupfer zu sein und zu bleiben, davon zehrt sein Sport inmitten dieser durchritualisierten Welt.


 

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