Cheerleading: Rampensäue unter sich

19.02.2014, 11:32 Uhr
Cheerleading: Rampensäue unter sich

Es war Männersport. 1898 stellte eine Universität in Minnesota ein paar Jungs dazu ab, die Fans anzuheizen, um das eigene Team zum Finalsieg zu schreien. Jeder sollte das Stadion atemlos und ohne Stimme verlassen. Das war Cheerleading. Dann allerdings kamen die Mädels und mit ihnen die kurzen Röcke, die Schleifen, der Glitzer und Glamour, kitschige amerikanische High-School-Filme und die Pompons.

Cheerleading ist Leistungssport

Doch Cheerleading ist mehr als das. Es ist Leistungssport. Bei den Nürnberg Cheer Devils ist das nicht anders. Dreimal pro Woche trainieren die gut 25 Cheerleader aus dem Seniorteam. Einmal im Jahr stehen die Regionalmeisterschaften an, der Höhepunkt ihrer Saison. Beim Nürnberger Basketballclub sind die NC Devils aber nicht mehr als die Pausenunterhaltung .

„Für uns ist das nur ein Hobby. Es macht Spaß, aber wichtig sind die Meisterschaften“, sagt Marc Günnel. Der 28-Jährige ist einer von vier Männern im Seniorteam. Zusammen mit Roswitha Altenbach trainiert er aber auch die Erwachsenen. „Der Coach muss alle Teammitglieder kennen und alles zu jeder Person wissen“, sagt Günnel.

Alles, damit meint er: alles. Zum Cheerleading gehört nicht nur tanzen, klatschen und Pompons wedeln. Kraft, Ausdauer, koordinative Fähigkeiten, Bodenturnen, Stunts, das alles muss ein Cheerleader draufhaben. „Vor allem bei den Stunts, also den Hebefiguren, muss man voll trainiert sein“, sagt Günnel. „Drei Stunden lang ein 50 Kilogramm schweres Mädchen herumzuwerfen, macht man nicht einfach so.“

Trotzdem müssen gerade die männlichen Cheerleader gegen viele Klischees ankämpfen. „Vor allem American Footballer denken, sie sind die Härtesten, und was wir machen, ist gar nichts“, sagt Günnel. Doch schon beim Aufwärmprogramm der Cheerleader zeigt sich: Es ist unglaublich anstrengend. „Unser Training ist so intensiv, da darf man sich ruhig eine Tafel Schokolade danach gönnen ohne zuzunehmen.“ Auch die Mädels sind durchtrainiert. „Sexy aussehen alleine reicht nicht“, sagt Günnel. Bei den Meisterschaften dauert ein Auftritt zweieinhalb Minuten. „Danach fällst du entweder tot um oder du bist superglücklich.“

"Die perfekte Symbiose"

Stephanie Kratzer gehört in der Regel zur zweiten Kategorie. „Sie ist der typische Klischee-Cheerleader“, sagt Günnel. Kratzer bastelt die Haarschleifen fürs Team, organisiert die Weihnachtsfeier und hört auch privat Cheerleader-Musik. „Sie steckt andere mit ihrem Lächeln an und ist eine klassische Rampensau“, sagt Günnel. „Und sie hat Kraft, ist durch und durch Leistungssportlerin. Die perfekte Symbiose.“

Mit elf Jahren hat Kratzer ihre ersten Pompons bekommen. „Da war ich total stolz.“ Seit 20 Jahren ist die Blondine schon ein Cheerleader. „Beim Training kriege ich den Kopf frei“, sagt Kratzer. Auch die Haarschleifen bastelt die 31-Jährige als Ausgleich zur Arbeit selbst. „Die neuen habe ich extra für die Meisterschaften gemacht und passend zum Kostüm.“ Privat trägt Kratzer lieber Jeans und T-Shirt, aber beim Cheerleading kann es nicht genug Glitzer sein. „Zu den Meisterschaften machen wir uns einheitliche Frisuren und knallrote Lippen.“

„Das geht auf die Knochen“

Weil Kratzer als Stewardess viel unterwegs ist, kann sie nicht mehr zu jedem regulären dreistündigen Training kommen. „Der Job ist die einzige Ausnahme“, sagt Trainer Günnel. „Sonst dürfen alle nur zweimal in der Saison fehlen.“ Strenge Regeln also bei den NC Devils. „Cheerleader sind Vorzeige-Menschen, die müssen alle ihre Leistung bringen.“

Das sieht auch Vorzeige-Mensch Sven Schönecker so. Der 33-Jährige war zehn Jahre lang Cheerleader, nun kümmert er sich um die Pressearbeit bei den NC Devils. „Selbst wenn am nächsten Tag eine Klausur ansteht: Dafür hätte man auch schon früher lernen können.“ Für Schönecker selbst gilt das nicht mehr, seitdem er aufgehört hat. „Der Sport geht auf die Knochen“, sagt er. „Irgendwann schaltet sich der Kopf ein und man fragt sich, ob man wirklich jeden Rückwärtssalto mitmachen muss.“

Nicht umsonst ist Cheerleading eine der gefährlichsten Sportarten der Welt. Die meisten Verletzungen passieren bei Luftsprüngen und Pyramiden, aber auch die Gelenke leiden. „Deshalb geht Sicherheit immer vor“, sagt Günnel. Bei den Meisterschaften gibt es ein buchdickes Regelwerk, um zu gefährliche und waghalsige Stunts zu unterbinden. „Da müssen wir manchmal vor dem Auftritt die Jury fragen, was geht und was nicht.“

Die Hebefigur klappt.

Die Hebefigur klappt.

Doch auch teamintern gehen alle lieber auf Nummer sicher: „Erst wenn die Technik stimmt, probieren wir den Stunt“, sagt Günnel. 2012 haben sie erfahren, was ein Ausfall für das Team bedeutet. „Ein Cheerleader hat sich auf der Meisterschaft beim Aufwärmen am Knie verletzt und musste ins Krankenhaus. Alle haben geheult.“ Viele Stunts konnten die NC Devils nicht zeigen. Eine Choreographie so spontan vor dem Auftritt zu ändern, geht nicht.

Wie im Film, nur ohne Zicken

Seit Oktober trainieren die NC Devils nun schon für die diesjährigen Regionalmeisterschaften Ende März. Jedes Jahr gibt es eine neue Choreographie und neue Musik. Diesmal hatten sie Unterstützung eines amerikanischen Trainers. „Wir haben viel gelernt und seine Tipps auf uns angewandt“, sagt Günnel. Manchmal denken er und Roswitha Altenbach sich die Tänze aber auch selbst aus.

Die Musik ist noch nicht geschnitten und wird nicht verraten. Sicher ist: Sie wird rasant sein, viele, schnelle Lieder aus den Charts werden sich in raschen Sequenzen abwechseln. „Und bei Würfen oder Stunts kracht es wie bei einer Explosion“, sagt Günnel. Es gibt sogar schon eine Handyapp für Cheerleader-Musik. „Aber wenn ich die den ganzen Tag höre, werde ich verrückt.“

Das wird man als Neuling auch bei den Regionalmeisterschaften. Mehr als 1000 Cheerleader kommen zusammen. Es ist genau wie im Film „Girls United“, alles ist voller Mädels und Pompons, „nur ohne den Kitsch und ohne den Zickenkrieg“, sagt Günnel. Alle sind sehr freundlich zueinander, fiebern mit, sprechen Mut zu, feuern sich gegenseitig an. „Das ist typisch Cheerleader.“ Egal, ob Männersport, oder nicht.
 

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