Cooler Club bei JHV: FCN überzeugt virtuell
22.10.2020, 06:00 UhrThomas Grethlein sah aus wie ein sehr normaler Mensch, der sich in einem Stadion ein Fußballspiel ansieht. Grethlein saß ja auch in einem Fußballstadion und hatte in der einen Hand ein Bier, in der anderen eine Zigarre. Dummerweise war Grethlein, der Pandemie geschuldet, damals einer von nur wenigen Menschen im Stadion – und er war auch nicht normal, sondern der Aufsichtsratsvorsitzende des 1. FC Nürnberg.
Eine Fernsehkamera fing Grethlein also ein, wie er da saß vor dem Anpfiff zum Relegationshinspiel gegen Ingolstadt und das Bild war in der Welt: Ein etwas nervöser Grethlein mit Bier und Zigarre. Das sah sehr lustig aus, das fanden aber nicht alle witzig. Grethlein musste das jetzt Monate später erneut erfahren.
Am Dienstagabend saß er wieder im Stadion, diesmal allerdings in den Räumlichkeiten, wo sich sonst die besonderen Gäste des 1. FC Nürnberg treffen während der Heimspiele. Grethlein trank Wasser. Es stand die Jahreshauptversammlung des 1. FCN an und er war der Aufsichtsratsvorsitzende sowie gleichzeitig ein Kandidat für den Aufsichtsrat, seine Wiederwahl stand an.
Es war eine Premiere für alle, weshalb wahrscheinlich nicht nur Grethlein ein wenig nervös war vorab. Die erste Mitgliederversammlung, die sie beim Club in den virtuellen Raum verlegen mussten. Im Stadion nur der Aufsichtsrat, die Vorstände und ein paar Mitarbeiter – und vor den Bildschirmen in der Spitze bis zu 4000 Fans. Um 18.30 Uhr am Dienstag hatten sie begonnen mit ihrer Versammlung, um kurz vor zwei Uhr waren sie am Mittwoch fertig.
Die Zeit dazwischen hatte ihre Längen, sie hatte aber auch kleine Höhepunkte. Die Wahl zum Aufsichtsrat zum Beispiel, für die sich tatsächlich 18 Kandidaten gefunden hatten – bei drei freien Plätzen. Diese Wahl aber fand erst nach Mitternacht statt, vorher gab es komplizierte Erklärungen zur Abstimmungslogik, freundliche Vorträge der Vorstände, dass nicht alles gut ist beim Club, aber auch nicht alles schlecht – und ein Drei-Minuten-Zeitfenster, in dem die Mitglieder ihre Fragen stellen konnten.
Vor diesen drei Minuten hatten sie beim 1. FCN vorab ein wenig Angst, weil man nicht weiß, wie sich der Mensch im Internet so benimmt. Also haben sie mehrmals daran erinnert, doch bitte ein Mindestmaß an Anstand walten zu lassen. Es ging dann sehr gesittet zu, aber es gab eben auch diesen einen Beitrag, der die Frage aufwarf, wann denn bitte Herr Grethlein sich für sein ungebührliches Verhalten damals im Mai zu entschuldigen gedenke.
Gar nicht will er sich entschuldigen, sagte ein etwas unwirscher Grethlein dann in die Kamera hinein. Zigarren rauche er seit Jahren, wenn er zum Fußball geht und das Bier, das habe ihm halt jemand hingehalten und er es sich genommen. "Das hat mir beim Spiel geholfen", sagte Grethlein einen Satz, den man so schon von vielen Fußball-Fans gehört hat.
Anderen hilft beim Spiel eine Weinschorle. Darüber, warum es die im Max-Morlock-Stadion nicht gibt, wurde auch diskutiert. Größtenteils aber hörte man Fragen, die die ehrliche Sorge um den FCN ausdrückten.
Die, die von sich glauben, dass sie diese Sorgen mindern können, stellten sich dann zur Wahl für den Aufsichtsrat. Es folgten 18 Einspielfilmchen, die alle irgendwie ganz okay waren, ehe dann endlich gewählt wurde. Teilgenommen an der Abstimmung haben nur noch 1969 Mitglieder, der Rest war offenbar schon zu müde von einem doch speziellen Premierenabend.
Als die Abstimmung beendet war, hatte der Club zwei neue Aufsichtsratsmitglieder und ein wiedergewähltes. Matthias Fifka und Chhunly Pagenburg treten demnächst erstmals ihren ehrenamtlichen Dienst beim Club an. Fifka ist ein Wirtschaftsprofessor, Pagenburg Unternehmer und ehemaliger Fußballprofi, der den immer wieder geäußerten Wunsch nach mehr sportlicher Expertise in diesem für sportliche Belange gar nicht zuständigen Kontrollgremium erfüllen soll.
Er wird dann auch wieder mit Grethlein diskutieren dürfen – der wurde mit dem besten Ergebnis in seiner Rolle als Aufsichtsrat bestätigt. Wahrscheinlich hat das Grethlein am Abend noch gefeiert. Bilder davon gibt es allerdings keine.
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