Das Handball-Beben: TSV Roßtal zieht alle Teams zurück
6.10.2020, 09:01 UhrDer TSV Roßtal hat die Reißleine gezogen. Abteilungsleiter Gernot Winkler hat eine Stellungnahme veröffentlicht, in der es heißt: "Die umfangreichen Hygieneempfehlungen wurden zehn Tage und die Durchführungsbestimmungen drei Tage vor dem Saisonstart an die Vereine versendet." Trotz der vielen Ehrenamtlichen, die der TSV zweifellos hat, seien sie "nicht seriös umzusetzen". Vor allem die Haftungsfrage erzürnt die Roßtaler: "Es war nicht zu verantworten, jemandem von uns die gesamte Haftung zu übertragen." Die Konsequenz: Der TSV zieht alle seine Mannschaften aus dem Spielbetrieb zurück.
Winkler und seine Funktionärskollegen stellten die Gewissensfrage, er veranschaulicht es an einem Beispiel: "Bisher haben wir zu unseren jungen Spielern gesagt, wenn die Oma Geburtstag hatte: Dann kommst du zuerst zum Spiel und dann erst gehst du zur Oma. Was aber, wenn er mit Halskratzen zu einem wichtigen Spiel kommt." Das Motto in dieser Zeit sei schlichtweg: "Es gibt wichtigeres als Handball."
Die Entscheidung sei bei "90 Prozent aller anderen Vereine, Funktionäre und Spieler positiv aufgenommen worden", berichtet Winkler über die Rückmeldungen. Selbst BHV-Präsident Georg Clarke habe Verständnis gezeigt in mehreren Telefonaten, gleichzeitig aber heißt es unmissverständlich in den "Durchführungsbestimmungen": Wer nicht antritt, ist der erste Absteiger. Und das, nachdem die TSV-Männermannschaft unter kollektivem Jubel in die Bayernliga aufgestiegen ist.
Der Zirndorfer Weg: ohne Zuschauer
In Zirndorf haben sie sich für einen anderen Weg entschieden. Während vielerorts die Partien abgesagt wurden, hat das Damenteam der HGZ gespielt und einen ersten Erfolg in der Saison 2020/21 gefeiert. Trotz des Sieges gegen Winkelhaid ist die Stimmung gedrückt. "Es fehlt ein bisschen der Spaß, mit dem Stressfaktor schon vorher", sagt Spielleiterin und Spielerin Anja Häberer. Sie registriert große Unsicherheit in der Handballszene. Auch der Roßtaler Winkler bestätigt das: Viele würden "mit großen Bauchschmerzen spielen und auf einen Saisonabbruch hoffen. Die Angst der Konsequenz, bei Nichtantreten als erster Absteiger festzustehen, ist bei ihnen zu groß".
Auch Häberer hatte mit einigen Widrigkeiten vor dem Saisonauftakt zu kämpfen. Bereits die Vorbereitung gestaltete sich für die Handball-Damen herausfordernd. Nach jedem Training in ihrer Heimspielstätte, der Bibertsporthalle, mussten sie alles desinfizieren. Wirklich alles: die Bälle, die Trainingsutensilien, alle Türklinken und den Hallenboden. Immerhin durften sie dafür nach langer Pause wieder spielen. Und damit kommen weitere Hürden auf sie zu.
Unter anderem muss dem Gästeteam rechtzeitig vor dem Spieltag ein Foto des Parkplatzes geschickt werden, um sie über die Situation vor Ort in Kenntnis zu setzen und den direkten Weg hinein aufzuzeigen. Sobald die Mannschaft eingetroffen ist, müsse sie – theoretisch jeder einzelne Spieler – draußen abgeholt und in die Kabine gebracht werden. In der Halle müsse jemand persönlich haften, für den Fall, dass sich jemand mit dem Virus infiziert. Und das seien nur zwei von vielen Auflagen, die erfüllt werden müssen.
Hygienebeauftragter Matthias Stenzel übernimmt die Haftung
Die HG Zirndorf hat sich am vergangenen Samstag nach Kräften bemüht, allem nachzukommen. Mit Matthias Stenzel haben sie auch jemanden gefunden, der die Verantwortung übernimmt. Trotzdem seien immer Bedenken geblieben, man könnte doch etwas falsch gemacht oder versehentlich missachtet haben. "Die Vorlagen vom BHV bringen nicht nur uns ins Straucheln, sondern auch andere," so Anja Häberer.
Damit hat sie offensichtlich recht, denn viele der am Wochenende angesetzten Partien unterhalb der Bayernliga wurden abgesagt. Um den Aufwand ein wenig geringer zu halten, entschieden sich die HGZ-Frauen zum Saisonauftakt, keine Zuschauer zuzulassen. Eine Entscheidung, die sicher nicht alle guthießen. Für das Spiel sind die "HGZ Flames", ebenso wie für einige Trainingseinheiten zuvor, in die Jahnhalle ausgewichen – die Turnhalle, in der die Volleyballer des TSV Zirndorf am Abend desselben Tages sogar das Experiment mit Zuschauern gewagt haben. Personalisierte Sitzplätze sollten es möglich machen.
Sportlich lief es für die HGZ nicht von Anfang an rund. "Nach so langer Zeit mussten wir erst einmal wieder reinfinden. Die Gegnerinnen waren uns anfangs spielerisch überlegen", erklärt Häberer. Das habe womöglich auch mit der ungewöhnlichen Vorbereitung zu tun.
Kaum Freundschaftsspiele
Die Zirndorferinnen verzichteten weitestgehend auf Freundschaftsspiele und kamen so nie in einen Spielrhythmus. Den holten sie sich erst im Laufe der Partie. Vor allem Anna-Maria Pröpster konnte im Tempogegenstoß mehrfach punkten und war mit neun Treffern beste Werferin auf dem Feld. Nachdem Torhüterin Ronja Mendl in Überzahl selbst erfolgreich war, waren die Flames endgültig auf der Siegerstraße, mit 27:20 gewannen sie deutlich.
Häberer kritisierte trotzdem: "Eigentlich wollen wir gerne immer unter 20 Gegentoren bleiben." Der Ehrgeiz ist da, über Saisonziele aber "haben wir noch gar nicht so gesprochen". Nur eins sei klar: "Wir wollen auf jeden Fall in die Playoffs!"
Playoffs gibt es in der Bayernliga am Ende dieser Saison deshalb, weil die vorherige Spielzeit abgebrochen wurde. Es gab keine Ab-, nur Aufsteiger und dadurch spielen aktuell so viele Mannschaften in der Liga, dass die Bayernliga in Nord und Süd unterteilt wurde. Die jeweils besten vier spielen am Ende in Playoffs um den Aufstieg in die 3. Bundesliga.
Ewig lange Busfahrten in der 3. Liga
Eine Liga, in der die HGZ vor einigen Jahren schon einmal war. Häberer erinnert sich: "Das waren ewig lange Busfahrten. Bis nach Berlin und darüber hinaus. Früh morgens los und dann die ganze Nacht wieder zurück. Dafür konnten wir uns mit den Besten messen." Dahin würden die Spielerinnen sicher gerne wieder kommen. Der Fokus liegt derzeit aber woanders.
"Ich will vor allem diese Saison verletzungsfrei bleiben." Dieser Plan wurde aber bereits am Donnerstag zunichte gemacht. Die Wade zwickt, Häberer war nur zum Anfeuern in der Halle. "Ich hätte es heute sicher auch nicht besser gemacht," verweist sie auf die Leistung ihrer Stellvertreterin Pröpster auf Linksaußen. Schon nächste Woche will sie aber wieder angreifen, sofern der Körper mitspielt.
Das Zirndorfer Urgestein spielt seit 23 Jahren im Verein und kann sich eine sportliche Herausforderung andernorts gar nicht mehr vorstellen: "Ich habe hier angefangen und ich hör’ hier auch auf." Selbst nach ihrem Umzug nach Lauf nimmt sie die weite Fahrt in den Heimatort in Kauf: "Mein Herz hängt hier dran."
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