Das Herz blutet: FCN-Profi Valentini blickt besorgt nach Italien
21.3.2020, 05:52 UhrEin kleiner Punkt auf dem großen Stiefel. Ein Bild an der Wand zeigt den Besuchern der elterlichen Vinothek im Nürnberger Stadtteil Zerzabelshof, wo Enrico Valentinis Familie eigentlich herkommt. Aus Ridotti, einer Gemeinde mit etwa 1200 Einwohnern, Provinz L`Aquila, mitten in den Abruzzen. Mit dem Auto ungefähr eine Stunde und 15 Minuten weg von Rom, auch Castel di Sangro liegt ganz in der Nähe.
Die Chronik von Joe McGinnis über den ehemaligen Serie-B-Dorfclub ist längst Kult, Enrico Valentini hat ein Trikot zuhause. "Mein Papa kannte sogar Spieler von Castel di Sangro", erzählt der Sohn, während Mutter Maria hinter dem Tresen herumwirtschaftet. Obwohl am späten Vormittag noch gar keine Gäste da sind.
Etwas weiter vorn sitzt Enrico Valentini auf einem Hocker und lächelt, wie nur Enrico Valentini lächeln kann. Wenn zum Beispiel jemand vom gebürtigen Nürnberger wissen möchte, wieviel Italiener in ihm steckt. Oder ob er sich für italienischen Fußball interessiert. Die Fragen hätte man sich sparen können.
Kein Länderspiel in Nürnberg
"Wir sind italienisch aufgewachsen, haben zuhause italienisches Fernsehen geschaut, wir reden zuhause nur italienisch", sprudelt es aus ihm heraus, "das ist nicht gegen Deutschland gerichtet, sondern so ein Gefühl, das in mir ist."
Knapp sechs Wochen ist die Verabredung in der Vinothek jetzt her. Der DFB wollte anlässlich des Länderspiels im nahen Max-Morlock-Stadion gegen Italien eine Geschichte mit und über Enrico Valentini, den Herzens-Italiener und Herzens-Nürnberger. Selbstverständlich wäre er hingegangen und hätte auf der Tribüne auch ein azurblaues Shirt unter der Jacke getragen, ohne Nummer.
Das Länderspiel am 31. März fällt aus und möglicherweise auch die restliche Fußball-Saison mit seinem Club. Enrico Valentini, wie alle anderen aus seiner Nürnberger Mannschaft noch bis Freitag in Quarantäne, kann sich zurzeit ohnehin nicht oder nur schwer auf den Beruf konzentrieren. Wenn er insbesondere Bilder aus Italien sieht, wo jeden Tag Hunderte an Covid-19 sterben, weint seine Seele. Und blutet sein Herz.
Glaube und Melancholie
"In der Region, aus der wir kommen, ist die Situation noch verhältnismäßig glimpflich", berichtet Enrico Valentini, auch in Ridotti, Provinz L`Aquila, mitten in den Abruzzen. "Es ist aber nicht abzusehen, wohin uns die Ausbreitung der Pandemie führt." Wegen der Wirtschaftskrise in Italien sind in den vergangenen Jahren immer mehr Verwandte und Freunde der Valentinis nach Franken gezogen, "mindestens 50 sind es schon", sagt Enrico Valentini, von denen am 31. März auch viele ins Stadion gegangen wären.
Gegen die aktuelle Gefühlsschwere und Melancholie helfen besonders sein Glaube und vielleicht ein paar schöne Erinnerungen; Vater Enzo, wie Enrico glühender Anhänger von Juventus, nahm seinen Buben früher immer mit in den "Club Napoli", eine Kneipe hinter dem Bahnhof, um die Spiele zu schauen. "Alles voller Rauch, aber alles für Juve", erinnert sich Enrico Valentini, noch heute verfolgt er praktisch jeden Auftritt der Turiner live und manchmal sogar im Stadion. Damit ist jetzt ebenfalls erst mal Schluss.
Geschlossenheit und Solidarität
Auch sein sportliches Zuhause, der 1. FC Nürnberg, fehlt ihm gerade doch sehr; bereits als Fünfjähriger hat er im nahen Sportpark Valznerweiher angefangen. Früher, als die Valentinis noch direkt neben dem Vereinsgelände wohnten, hat sein Vater mal den Zaun aufgebrochen, "dann haben wir da immer gekickt, bis meine Mannschaft kam", erinnert sich Enrico Valentini, "bis zur D-Jugend habe ich mich eigentlich nie in der Kabine umgezogen, sondern immer daheim."
Schön war’s und soll’s auch wieder werden, irgendwann. "Ich hoffe sehr, dass wir alle geschlossen und solidarisch miteinander umgehen", sagt Enrico Valentini, ein bekennender Christ, "und am Ende die Gesellschaft gestärkt aus der für alle schweren Situation hervorgeht."
Und das nicht nur in Ridotti in den Abruzzen oder in Nürnberg-Zerzabelshof.
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