Drama dahoam: Atletico mauert Bayern raus
3.5.2016, 22:43 UhrDer Tiger explodierte nach 37 Minuten. Normalerweise sitzt der Co-Trainer so still auf der Bank des FC Bayern München, dass man ihn kaum wahrnimmt. Kurzum: Es braucht viel, um Hermann Gerland aus der Fassung zu bringen. Diego Simeone hatte es kurz vor Ende der ersten Halbzeit geschafft. So sehr, dass Franck Ribery "El Cholo", wie sie den Trainer von Atletico Madrid aufgrund seiner schlechten Manieren in Spanien nennen, alle Kräfte aufwenden musste, um eine handfeste Keilerei mit Gerland an der Seitenauslinie zu verhindern.
Markige Worte aus Madrid
"Wir sterben füreinander, jeder kämpft für den anderen. Das werden wir morgen auch wieder zeigen", hatte Stürmer Fernando Torres vor dem Rückspiel im Halbfinale der Champions League angekündigt. Vor allem aber ging es Atletico Madrid von Beginn an in München nur darum, wann immer möglich Zeit von der Uhr zu nehmen und zu provozieren. "Um ins Finale nach Mailand zu fahren", sagte Mittelfeldspieler Gabi, "muss man die besten Mannschaften schlagen. Und Bayern ist eine der besten. Aber wir haben unsere Möglichkeiten." Am Ende reichte eine einzige aus, um mit einem 1:2 (0:1) das Finale am 28. Mai in Mailand zu erreichen.
Pep Guardiola hatte bei seinem letzten Europapokal-Heimspiel in München auf weitere Experimente in der Startelf wie beim 0:1 im Hinspiel vergangenen Mittwoch verzichtet. Diesmal schickte er Thomas Müller, Franck Ribery und auch den wiedergenesenen Jerome Boateng von Beginn an aufs Feld. Thiago und Kingsley Coman mussten auf die Bank, Juan Bernat stand gar nicht im Kader.
Kampf statt Zurückhaltung
So verschieden die Startelf, so unterschiedlich präsentierte sich der FC Bayern von Beginn an. Die mysteriöse Anfangsviertelstunde von Madrid, ein bis heute ungelöstes Rätsel, dominierte München ebenso wie die komplette erste Halbzeit. Statt Zurückhaltung gab es Kampf, statt Schönspielerei Grätschen und, wann immer es ging, gehörig Druck aufs Tor von Jan Oblak.
Bayern München knüpfte nahtlos daran an, wo es im Estadio Vicente Calderon in der zweiten Hälfte des Hinspiels aufgehört hatte - nur ins Tor traf der Gastgeber zunächst weiter einfach nicht. Arturo Vidal, der mit Xabi Alonso das defensive Mittelfeld für Atleticos Konterfußball verriegelte, verfehlte mit zwei strammen Schüssen ebenso das Tor wie Robert Lewandowski per Kopf, einmal parierte Gästetorwart Jan Oblak mit dem Fuß aus nächster Nähe, als Müller einen langen Ball von Boateng quergelegt hatte (20.).
Atletico bekam lange gar keinen Fuß auf den Boden, nicht einmal das leidenschaftliche Zerstören gelang, normalerweise Lieblingsaufgabe der Spanier. Das machte die Gäste immer wütender, sie schimpften, sie schubsten, sie traten. Das Führungstor schien immer mehr eine Frage der Zeit, Lahm und wieder Lewandowski fehlten aber das Glück. Damit der Ball endlich den Weg ins Tor fand, musste das Abwehrbollwerks Atletico mithelfen: Fernandez foulte David Alaba am Strafraum, Alonso jagte den Freistoß ins Tor - es war der erste Gegentreffer seit 634 Minuten für Jan Oblak gewesen, Verteidiger Jose Gimenez hatte unhaltbar abgefälscht.
#Müller vergibt vielleicht die Vorentscheidung #fcbatleti https://t.co/ftslDFEDUi
— Christoph Benesch (@chribenesch) 3. Mai 2016
Müller vermasselt's
Atletico wirkte zum ersten Mal in diesen Halbfinals ernsthaft angeschlagen. Doch der FC Bayern verpasste den entscheidenden Schlag: Nach Foul von Gimenez an Lewandowski verschoss Thomas Müller den folgenden Strafstoß - Oblak parierte auch noch den Nachschuss von Alonso. Madrid brachte das postwendend zurück ins Spiel. Es waren die Minuten, in denen dem Tiger kurzzeitig an der Auslinie die Sicherungen durchbrannten.
"Kleine Details werden den Unterschied machen", hatte Pep Guardiola geahnt, der im dritten Anlauf auf das Finale der Champions League in drei Jahren endlich eine spanische Mannschaft besiegen wollte. 2014 war München an Real Madrid gescheitert, 2015 am FC Barcelona. Es stand längst mehr auf dem Spiel als nur ein Spiel - doch eine Unachtsamkeit genügte Atletico, um das Blatt zu wenden: Alaba und Martinez verschätzten sich, Torres schickte Antoine Griezmann - und der Franzose besorgte das 1:1 im ersten Torschuss der Gäste nach 54 Minuten.
Auch Torres verschießt
Weiter rannte München an, immer wütender, die Zeit lief nun davon aber spätestens bei Jan Oblak zerschellten die Angriffe. So auch der Schuss von Lewandowksi nach Zuspiel von Vidal. Erst als Guardiola Coman brachte und dessen Flanke Vidal zu Lewandowksi und der ins Tor köpfte, war die Hoffnung urplötzlich wieder zurück. Ein Treffer genügte jetzt, um aufgrund der Auswärtstorregelung am 28. Mai nach Mailand zum Endspiel zu fahren.
Doch der Fußball, er hatte an diesem Abend noch nicht genug vom Wahnsinn: Als Atletico zum zweiten Mal gefährlich Richtung Bayern-Tor kam, foulte Martinez Stürmer Torres außerhalb des Strafraums. Schiedsrichter Cüneyt Cakir zeigte auf den Elfmeterpunkt. Doch die Spanier verpassten die Entscheidung: Auch Manuel Neuer parierte den Strafstoß von Fernando Torres (84.).Weiter durften die 70.000 Zuschauer hoffen, doch ein Schuss von Alaba parierte der überragende Jan Oblak im Atletico-Tor genauso wie einen allerletzten Versuch von Lewandowski.
Als nach fünf Minuten Nachspielzeit der Schlusspfiff ertönte, war Hermann Gerland wieder gefragt. Nicht als Rächer, sondern als Tröster.
"Enttäuscht ist man, wenn man nicht gut gespielt hat", sagt #Guardiola, "deshalb bin ich heute sehr stolz." #FCBAtleti
— Christoph Benesch (@chribenesch) 3. Mai 2016
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