Ein Neuner für Nürnberg: Sturmtank Schäffler kommt zum Club
14.8.2020, 12:24 UhrKreativität zieht Manuel Schäffler aus seinem Hobby: Die Kunst, besonders PopArt und Graffiti, lehren dem 31-Jährigen, wie er einst bei Magenta Sport erklärte, "Dinge zu machen, mit denen manchmal keiner rechnet". Sein ansatzloser Chip ins lange Eck über HSV-Torwart Pollersbeck beim Wiesbadener Gastspiel im Volksparkstadion war eine solch unerwartete Situation. Oder der Lupfer aus halbrechter Position über den überhastet herauseilenden Torhüter und nun Braunschweiger Dornebusch Ende November gegen den Christkindles-Club, als Schäffler den ruhmreichen Altmeister mit seinem Treffer bei Nürnbergs 2:0-Heimniederlage in den Abstiegskampf schickte.
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Der bayerische Vollstrecker vom SV Wehen Wiesbaden, mit 19 erzielten Toren in der 2. Bundesliga der treffsicherste Spieler nach Fabian Klos (21), weiß also, wie man im Max-Morlock-Stadion trifft – und soll jene Fähigkeit in Zukunft öfter unter Beweis stellen, dann aber im rot-schwarz-gestreiften Trikot des 1. FC Nürnberg. Nachdem vor wenigen Wochen noch von einem Hamburger Interesse an dem Mann aus der Metropolregion München berichtet wurde, schien jenes in der Hansestadt verflacht zu sein. Nicht aber beim damaligen HSV-Trainer und jetzigen FCN-Sportvorstand Dieter Hecking, der den bulligen Stürmer nun als vierten Neuzugang von der hessischen Landeshauptstadt in die Noris lotst. Auf der Vereinswebsite erklärt der 55-Jährige seine Beweggründe zur Verpflichtung der einstigen Wiesbadener Lebensversicherung: "Wir waren auf der Suche nach einem robusten und spielstarken Angreifer. Manuel hat in den letzten Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass er genau diese Qualitäten besitzt."
Der Club sichert sich somit die Dienste des - rein statistisch - wertvollsten Spielers des deutschen Profi-Fußballs: Kein Akteur der ersten drei Ligen leistete mit seinen Treffern anteilig an den insgesamt erzielten Toren seines Teams einen größeren Beitrag als Schäffler (42,2 Prozent). Für den PopArt-Artisten aus Fürstenfeldbruck, in Wiesbaden Fanliebling, Führungsspieler und Vize-Kapitän, ist das Engagement beim fränkischen Fahrstuhlverein wohl eine der letzten Chancen für den zumeist zwischen Liga Zwei und Drei dauerpendelnden 31-Jährigen, sich endgültig im deutschen Fußball-Unterhaus zu profilieren - und zudem unweit seiner Heimat zu spielen.
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Freilich zählte die Rückkehr nach Bayern zu den Argumenten pro Nürnberg, schließlich bietet der Wechsel an den Valznerweiher dem früheren U20-Nationalspieler, ausgebildet in der 1860-Talentschmiede, die Möglichkeit, "schnell wieder mit der ganzen Familie im Süden vereint zu sein". Für die Chance, bei einem "so großen Traditionsverein" spielen zu dürfen, ist das Sturm-Ass "dankbar" - und "brennt darauf, richtig Gas zu geben". Deutlich zwiegespaltenere und weniger euphorische, dafür umso selbstkritischere Töne schlug Schäffler zuletzt noch im Interview mit dem kicker an: "Einerseits strebe ich immer nach dem Maximalen. Andererseits gehe ich mit mir selbst sehr hart ins Gericht und muss diese Saison erstmal aufarbeiten und sehen, wo ich mich noch verbessern kann."
Klar, derartige unausgeschöpfte Potenziale und Leistungsbereiche mit Nachholbedarf bestehen immer, bei einem Robert Lewandowski genauso wie bei einem Manuel Schäffler. Wer aber in einer Saison 19 Tore bei einem Absteiger schießt, der kann nicht so viel falsch gemacht haben. Tatsächlich zählt die robuste 1,89-Meter-Kante zu den zuverlässigsten deutschen Offensivspielern – zumindest im Trikot der Hessen, denen er sich 2016 anschloss. Zuvor war der gerne als "Spätzünder" bezeichnete Bayer im hohen Norden aktiv, an der Kieler Förde wurde der Angreifer und zumeist Stammspieler allerdings nie wirklich glücklich, die akute Ladehemmung zog sich – mit Ausnahme der ordentlichen Saison 2014/15 (10 Treffer) – durch seine zweieinhalb Jahre bei den Störchen (insgesamt 13 Tore in 84 Drittliga-Spielen). Seine Vollstreckerqualitäten offenbarte der Offensiv-Bulle erst wieder in Wiesbaden, wo auch die Spielweise deutlich besser zum – entgegen dem Trend zu spielstarken und quirligen "falschen Neunern" – klassischen Stoßstürmer zu passen schien und scheint.
Und in Nürnberg? Unter Coach Klauß, dessen Spiel bekanntlich - der RB-Schule getreu - auf radikales Umschaltspiel fußt und der sich bis dato einzig die Dienste eines 19-, eines 20- und eines 21-Jährigen sicherte? Auf den ersten Blick scheint der kantige Schäffler überhaupt nicht ins Profil "jung – wendig – schnell" zu passen, könnte aber gerade als Kontrastelement zu den verpflichteten Talenten, als erfahrener Führungs- und Mentalitätsspieler eine wichtige Rolle im verjüngten Nürnberger Kader einnehmen. Besonders nach den Abgängen von Mikael Ishak und Michael Frey fehlte dem FCN ein Angreifer der Kategorie "Kraftpaket", der dank Kopfballstärke, Kampfgeist und Körperlichkeit als wichtiger Ziel- und Wandspieler im Offensivvortrag des Klauß-Klubs fungieren soll.
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Reduziert man Schäffler allerdings auf seine Attribute als spielfreudigen Sturmtank, missachtet man Qualitäten des 31-Jährigen, die für den Club möglicherweise von noch weiter reichenden Bedeutung sein könnten: Schäfflers Spiel steht für Intensität und Engagement, der Mann aus Fürstenfeldbruck ist enorm mannschaftsdienlich und in der Lage, den Fokus der Kontrahenten auf sich zu ziehen und Räume für seine Mitstreiter zu öffnen. Oder auch, entgegen den Erwartungen, überraschend aus der Bedrängnis intelligent und technisch anspruchsvoll abzuschließen, wie beim Chip gegen Hamburg. Schäffler überrascht manchmal, ist ein klassischer Neuner, ein Arbeiter - aber eben auch ein Künstler.
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