Sportschütze mit Handicap
Ein Supertalent kämpft um die sportliche Inklusion
17.10.2021, 07:49 UhrWer erinnert sich nicht an Volksfeste und die legendären Schießbuden? Zu gewinnen gab es bei entsprechender Trefferquote auf die Röhrchen Stofftiere und sonstige Kleinigkeiten. Zu Ehre und Ruhm brachten es dort nur wenige. Doch es geht auch anders.
Frag nach bei Sebastian Schmidt. Der 19-jährige aus Plech tummelte sich einst mit seiner Oma Irene Gubitz, einer Pegnitzerin, auf dem Rummel in seinem Wohnort. Die Oma, selbst begeisterte Sportschützin und mehrfache deutsche Meisterin in ihrer Sportart, erkundete mit dem von Geburt an im Rollstuhl sitzenden Teenager das Fest. Sie landete mit dem kleinen Basti an der Schießbude. Der hatte mächtig Spaß daran, räumte die Röhrchen reihenweise ab, Irene tat es ihm nach.
Während die Betreiberin nur ungläubig mit dem Kopf schütteln konnte, reifte bei dem Duo Gubitz und Schmidt ein Plan. Warum nicht, wie bei der Oma früher schon Standard, das Ganze am Schießstand in Schnabelwaid fortführen? Gesagt, getan: Nur zwei Wochen später lag der Pass von Irene Gubitz beim FSV Schnabelwaid Schützen Preunersreuth, der von Enkel Sebastian folgte zügig. Schließlich erwies der sich als Naturtalent, ist heute das Aushängeschild des Vereins.
Zuletzt zwei DM-Titel
Zuletzt holte er bei den deutschen Meisterschaften zwei Titel, insgesamt hat er deren drei erschossen, unzählige bayerische Meistertitel zieren die Visitenkarte des sportverrückten Youngsters. „Er ist für unseren Verein Gold wert“, sagt Vereinstrainer Tobias Inzelsberger, an der Seite von Sabrina Bär auch zuständig für die Schützen im Bezirk. Die Entwicklung „seines“ Aushängeschilds liegt ihm besonders am Herzen. Er setzt sich dafür ein, dass Sebastians Handicap ihm nicht zum Nachteil gerät.
Schmidt, mit offenem Rücken geboren und daher größtenteils auf den Rollstuhl angewiesen, schießt mit zwei „Hilfsmitteln“: Einer Schlaufe, die sein Gewehr fixiert und dem Rollstuhl. Dadurch ist er in seiner Entwicklung gebremst. Derzeit darf er nur bis in die Bezirksliga schießen, der Sprung in die Oberfrankenliga – dort ist gehandicapten Menschen nur ein Hilfsmittel erlaubt - bleibt ihm (noch) verwehrt. Dort geht die „Erste“ der Schnabelwaider auf Ringjagd. „Er wäre in der Mannschaft die klare Nummer 1“, so Inzelsberger.
Er hat höchstselbst über den bayerischen beim deutschen Schützenbund einen Antrag gestellt, die Regelung zu ändern. Nicht aus eigenem Interesse („Mit ihm hätten wir gute Chancen, aufzusteigen in die Bayernliga, ich würde ihm auch die 2. Bundesliga von den Leistungen her noch bedenkenlos zutrauen“), sondern weil er für einen begnadeten Schützen die optimalen Möglichkeiten herausholen möchte. „Er hat ein unheimliches Talent, ist noch dazu unglaublich fleißig“, sagt er über den bekennenden Anhänger des FC Bayern München – das Logo der Landeshauptstadtkicker ziert sogar den Rollstuhl Schmidts.
"So hoch wie möglich"
Sebastian selbst würde liebend gerne höherklassig seinem Lieblingssport nachgehen. „So hoch wie möglich“, soll es für ihn gehen, „Oberfrankenliga wäre jetzt schon toll.“ Egal, in welcher Liga es letztlich sein wird: Das liegt weniger in seinem Entscheidungsbereich, da haben die Regelhüter das letzte Wort. „Ich hoffe, dass eine zeitnahe Antwort kommt“, so Inzelsberger, „das Thema Inklusion ist ja doch eines, das immer mehr in den Brennpunkt rückt.“
Ausdrücklich loben will er daher die Verantwortlichen des Bezirks. „Die stehen komplett dahinter“, lobt er Karl Scharf und Walther Horcher und bekommt dabei fast ein bisschen ein Glitzern in den Augen. „Die sind in dem Thema drin und machen da auch was.“ Sebastian Schmidt sitzt neben ihm. Er grinst und nickt.
Er, der seit dem Einstieg ins Berufsleben etwas weniger Zeit am Schießstand verbringt, hofft darauf, dass sich die letzten Tücken noch erledigen. Das Zeug dazu hat er ohne Zweifel. „Sein Auftritt bei der deutschen Meisterschaft war eine Demonstration“, sagt Inzelsberger, „wenn du bei 60 Schuss in der Zehntelwertungder Konkurrenz sieben Ringe abnimmst. Das ist, wie wenn du im Eishockey zweistellig gewinnst.“
Fan der Ice Tigers
Schmidt grinst. Eishockey ist schließlich auch so ein Ding von ihm: Er ist bekennender Fan der Nürnberg Ice Tigers. Die Konkurrenz gewöhnt sich an seine Dominanz. Vor zwei Jahren wurde er Bayerischer Meister: Mit einem Nuller-Schuss. „Das ist schon peinlich für die anderen.“ Der Schütze selbst stellt sich nur ungern in den Fokus. Er genießt seine Zeit am Schießstand. Egal wo, ob zuhause oder in Schweinfurt beim Bayern- und in Suhl beim Nationalkader. Die Familie ist sein Team. Mama Nadja und Oma Irene sind weder Zeit noch Geld zu schade, den Filius zu unterstützen. Bislang hat sich dieser Aufwand in allen Belangen gelohnt.
Eines würde sich Sebastian Schmidt, der bald seinen 20. Geburtstag feiert, noch wünschen: Weitere gehandicapte Schützen an seiner Seite. Inzelsberger: „In Schnabelwaid ist alles ebenerdig und perfekt dafür. Ausprobieren kann das bei uns jeder, ob Rollstuhlfahrer oder Gehbehinderter!“ Wer weiß: Vielleicht entdeckt ja jemand einen Rollstuhlfahrer an einer Schießbude – der Weg vom Stofftier zum Ruhm muss gar nicht so weit sein. „Saucool“ fände das Sebastian Schmidt.
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