Erlangen: Erfolgreicher Schwimmer-Standort steht vor dem Aus
26.6.2020, 10:03 UhrAls die Einladung die Geschäftsstelle des Turnerbund 88 Erlangen erreichte, da freute sich der Vorsitzende Matthias Thurek noch darüber. Endlich würde man sich aussprechen können nach Jahren voll Ärger, Misstrauen und Missgunst, über die seine Schwimm-Abteilung so klagte, immer, wenn es um die Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Schwimm-Verband (BSV) ging. Die Aussprache mit der Verbandsführung, um die sich der Verein so oft vergeblich bemüht hatte, schien endlich am 16. Juni stattzufinden.
Eineinhalb Stunden waren für die "Neustrukturierung der Stützpunktfrage ab 1. Januar 2021" angesetzt worden. Genug Zeit also, um alles zu besprechen. "Wir waren uns einig, dass wir so wie bisher nicht mehr weitermachen wollten", sagt TB-Geschäftsführer Jochen Heimpel, "denn letztlich wurde alles auf dem Rücken unserer Athleten ausgetragen. Das konnte weder in unserem, noch im Sinn des Verbandes sein."
"Nach drei Minuten war alles beendet"
Doch zu einem Gespräch kam es dann gar nicht: "Es war ein Verkündungstermin, nach drei Minuten war er beendet", so Thurek: Abgelesen von einem Schriftstück durch den Fachwart und ausgehändigt in einem Umschlag über den Justitiar – weder Präsident noch Vizepräsident waren persönlich gekommen – besiegelten für Erlangen das Ende nach zwölf höchst erfolgreichen Jahren als Bayerischer Landesstützpunkt für Schwimmen. Das beinhaltete auch das Ende der Mischfinanzierung und damit des Arbeitspapiers für Trainer Roland Böller – ohne besondere Begründung. Und ohne, dass man das persönlich mit ihm besprochen hatte. "Wir sind fassungslos", sagt Thurek. "Es ist sportlich absolut nicht nachvollziehbar und menschlich schwer enttäuschend. Es fällt mir schwer zu glauben, dass hinter dieser Entscheidung ausschließlich sportliche Interessen stecken."
Erfolgreichster Verein in ganz Bayern
In Erlangen wurden in den vergangenen 25 Jahren olympische Medaillengewinner, Weltmeister und Europameister groß. Immer war Roland Böller der Trainer, in akribischer, fachlich hochgeschätzter Arbeit formte er aus talentierten Kindern Schwimmer, die manchmal Teil der Weltspitze wurden. Auch derzeit wieder: Böller trainiert fünf Bundeskaderathleten in Erlangen – der Verein ist der erfolgreichste im Beckenschwimmen in ganz Bayern. "Das soll plötzlich so einfach weggewischt werden?", fragt Matthias Thurek.
Beim Bayerischen Schwimm-Verband versteht Harald Walter, der Präsident, die Aufregung nicht. Sicher, es sei "auch für mich eine ganz schwere Entscheidung", immerhin sei es ja eine gegen den alten Verein – Walter war jahrelang Schwimm-Abteilungsleiter beim Turnerbund – und einen Trainer, den er "fachlich höchst schätzt". Daher habe er sich ja auch aus dieser Entscheidung herausgehalten, behauptet Walter: "Compliance und so, Sie verstehen." Aber auch Harald Walter ist der Meinung, die Entscheidung sei alternativlos und folge den Vorgaben des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) und des Deutschen Olympischen Sportbundes. Wenngleich man sich nach Informationen dieser Zeitung zumindest beim DSV intern von der Art und Weise des Vorgehens und auch von Teilen der Entscheidung distanziert. Nur ist der DSV – bis auf Zielvereinbarungen – dem BSV nicht unmittelbar weisungsbefugt. "Es ist ja keine Entscheidung gegen Personen, sondern es geht darum neue Strukturen zu schaffen, die Kräfte zu bündeln", sagt Harald Walter.
Es geht nur am Rande um Wege. Es geht um Menschen
Nürnberg als neuer Regionalstützpunkt biete ein Internat, eine Sportschule und seit 2015 mit dem Langwasserbad auch das lange vermisste 50-Meter-Becken. "Kurze Wege sind das Wichtigste für Sportler, um sich auf ihren Sport konzentrieren zu können, um maximal erfolgreich zu sein", sagt Walter, dessen Sohn selbst Jugend-Europameister wurde – unter Roland Böller. In Erlangen. "Auch für die Eltern der Sportler ist die Zusammenlegung der Landesstützpunkte eine erfreuliche Nachricht", glaubt BSV-Bezirksvorsitzender Rainer Freisleben. Doch es geht nur am Rande um Wege, um Schwimmbecken, um Internate – es geht um Sportler. Um Menschen. Denen man nun vom BSV ein Konstrukt überstülpen möchte, das die so gar nicht wollen: "Kurze Wege sind uns egal", sagt etwa Juri Messel. Er ist Vater einer der größten deutschen Schwimm-Hoffnungen überhaupt: Tochter Kellie zählt mit gerade einmal 15 Jahren zu den sieben schnellsten Brustschwimmerinnen Deutschlands.
Erst im November brach sie mit Nikita Rodenko Altersklassenrekorde bei den Deutschen Meisterschaften, die vorher teils 18 Jahre Bestand hatten. Auch Messel trainiert wie Rodenko seit Jahren in Erlangen. Unter Roland Böller. "Natürlich wäre Nürnberg für uns einfacher, wir wohnen dort", sagt Juri Messel. "Was für uns aber zählt, ist die sportliche Entwicklung von Kellie. Da ist der Trainer entscheidend, nicht das Schwimmbecken oder ein Internat. Kellie könnte sofort nach Magdeburg, nach Heidelberg an Bundesstützpunkte – sie will aber nicht weg von Roland Böller."
Jill Becker als Favouritin
"Es gehört zum Sport dazu, dass es Trainerwechsel gibt", sagt Harald Walter, "oft kann ein neuer Trainer mit seinen Methoden noch mehr herauskitzeln." Geht es nach dem BSV, würde Messel wie alle anderen Erlanger fortan von Jill Becker trainiert, "einer hochqualifizierten und erfahrenen Trainerin", so Walter. Einer Trainerin, deren Vertrag der BSV vor nicht allzu langer Zeit als Nachwuchstrainerin noch auslaufen ließ: "Die Kaderzahlen und die Ergebnisse bei deutschen Jahrgangsmeisterschaften entsprachen nicht den Erwartungen", sagt Martina Markus, damals Vizepräsidentin Leistungssport beim BSV. "Die Entscheidung wurde von mir, Roland Böller und Harald Walter einstimmig getroffen." Damals war Walter BSV-Vizepräsident Finanzen.
"Wir werden das Schwimmen in Erlangen noch viel stärker machen"
Wie Messel, so haben auch die übrigen Erlanger Schwimmerinnen und Schwimmer angekündigt, keinesfalls gegen ihren Willen den Trainer und den Standort zu wechseln. Sie stehen, wie auch der Turnerbund, geschlossen hinter Roland Böller. "Wir werden das so auch nicht hinnehmen", sagt Matthias Thurek, auch wenn ihm die Fördergelder nun fehlen, die Böllers Gehalt zur Hälfte finanzierten. "Wir werden da einen Weg finden. Und wir werden das Schwimmen in Erlangen noch viel stärker machen, als es war."
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