Fehler im System: Der Club ist hinten nicht ganz dicht
18.9.2019, 05:46 UhrDie Challenge, wie Damir Canadi gerne sagt, die nahm der 1. FC Nürnberg erst mal mit in den Sommer. Satte 68 Gegentore hatte der Absteiger in der vergangenen Bundesliga-Saison kassiert, pro Spiel im Schnitt also zwei und damit viel zu viele für eine realistische Chance auf den Klassenverbleib.
Das Trainerteam nahm die Challenge, die Herausforderung an, ihren neuen Club defensiv wieder zu stabilisieren, auch ohne Ewerton und Leibold. Rein statistisch sind bis Mitte September aber kaum Fortschritte erkennbar, eigentlich überhaupt keine. Sechs Spiele, zwölf Gegentore, im Schnitt: immer noch zwei.
Dass sich in letzter Zeit trotzdem einiges verändert hat beim gemeinsamen Verteidigen, ist Georg Margreitter schon beim Auftakt in Dresden aufgefallen. "Automatismen entwickeln sich über Monate und Jahre", sagte Margreitter, dabei stellten sich Systemfragen Ende Juli noch gar nicht, obwohl es letztlich nur mit etwas Glück gutgegangen war, Endstand 1:0 für Nürnberg.
Der ganze Block wackelt
Die Pflichtspiel-Premiere der sogenannten Dreier-Kette, die ja eigentlich eine Fünfer-Kette ist, wenn die anderen den Ball haben, bewerteten die direkt und indirekt Beteiligten als durchaus gelungen. Dass die meisten Club-Profis vor Canadis Dienstantritt lediglich die Vierer-Variante draufhatten, geriet zügig zur Randnotiz. Drei Punkte, also alles gut.
Neun Tage später sah sich der Trainer bereits nach einer halben Stunde zu Umstellungen gezwungen, weil sich der Hamburger SV gerade einen Spaß daraus machte, die Schwachstellen im Nürnberger Defensivkonzept offenzulegen. Ungefähr seitdem wackelt der gesamte Block hin und wieder doch bedenklich und schien lediglich gegen Osnabrück über 90 Minuten richtig zu funktionieren.
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Auch beim 2:2 gegen Heidenheim ließen die Nürnberger lediglich sieben Abschlüsse zu, der SV Darmstadt nutzte deren zwölf am Sonntag zu gleich drei Treffern. Der Bundesliga-Absteiger ist hinten offenbar nicht mehr ganz dicht.
"Falsch spekuliert"
Woran das liegen könnte, das fragt sich auch Christian Mathenia regelmäßig, der in letzter Zeit ungewohnt häufig patzte. Bei den folgenschweren Freistößen gegen den HSV und Sandhausen hat Mathenia, wie er ehrlich zugibt, "falsch spekuliert, da sieht man dann als Torwart doof aus", gegen Heidenheim vor dem 1:2 wegen eingeschränkter Sicht zu spät reagiert, in Darmstadt vor dem 2:3 etwas unmotiviert den Kollegen Erras über den Haufen gerannt.
Die anhaltende Formkrise der Nummer eins ist natürlich nicht besonders hilfreich beim Versuch, im Defensivverbund wieder konstanter und vor allem strapazierfähiger zu werden. "In der 2. Liga kommen weniger Bälle aufs Tor, da muss man auf den Punkt da sein", glaubt Mathenia, ein Trugschluss, die Zahl der Abschlüsse liegt zurzeit sogar geringfügig höher als zum vergleichbaren Zeitpunkt des Vorjahres. 72 hat der Club in den ersten sechs Begegnungen zugelassen, 70 waren es in der Bundesliga, das abenteuerliche 0:7 von Dortmund inklusive.
Valentini kann (vorerst) nicht helfen
Im Westfalenstadion hatte es Canadis Vorvorgänger ebenfalls mit einer Dreier-/Fünfer-Reihe probiert und ging damit fürchterlich baden, ähnlich durcheinander wirkten die Nürnberger phasenweise auch am Böllenfalltor, trotz 59 Prozent gewonnener Zweikämpfe. Das Problem sind Mitte September die Leistungsschwankungen und individuellen Aussetzer; siehe Erras in Darmstadt, Mühl und Handwerker in Sandhausen, Mathenia. Zudem segeln gerade auffällig viele Flanken in den Strafraum, weil außen nur halbherzig gestört wird; Enrico Valentini kann vorerst gar nicht mehr stören, der rechte Verteidiger fällt mit einem Muskelfaserriss im Adduktorenbereich länger aus.
Das hat dann tatsächlich weniger mit Dreier- oder Achter-Kette zu tun als vielmehr der jeweiligen Ernsthaftigkeit und Penetranz, auch die Abstimmung ließ des Öfteren zu wünschen übrig, ebenso das Tempo in der Rückwärtsbewegung. Bei einer "Spielweise, die nach vorn ausgerichtet ist" (Canadi), kann das auf Dauer wahrscheinlich gar nicht gutgehen.
Überfordert oder nicht?
"In beiden Systemen gibt es Vor- und Nachteile", behauptet Mathenia, "wir haben aber in beiden Systemen gezeigt, dass wir es können." Und leider auch zeitweise Überforderung. Mit der Abwehr-Challenge.
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