Fünf gegen 96: Mathenia und das "Mein-Gott-ey"-Spiel des FCN
25.1.2021, 18:40 Uhr"Auf dem Rücken trägt er die Nummer eins. Der erste beim Kassieren? Der Erste beim Bezahlen. Der Torwart hat immer Schuld", schreibt Eduardo Galeano in seinem Buch "Der Torwart". Freilich, ein Fehler eines Schlussmanns zieht meist ein Gegentor nach sich. Freilich, ein Gegentor erschwert den Weg zum Sieg mehr als ein nicht erzieltes eigenes Tor. Und freilich zeigt nicht selten das Sinnbild einer Niederlage einen Torhüter, der geschlagen und frustriert auf der Torlinie sitzt, ehe er den Ball abermals aus dem Netz holt. "Mein Gott ey", zornte Christian Mathenia noch, den Kopf ernüchtert in das Netz nebst dem Innenpfosten gelegt.
Der 28-Jährige erlebte einen unglücklichen Arbeitstag im Nürnberger Geister-Achteck, wurde viermal von Hannover geschlagen und einmal von sich selbst. Zum Abschluss einer Hinrunde, in die der Routinier trotz der talentierten Konkurrenz vom FC Bayern als Nummer eins startete und in der er diese Entscheidung mit soliden Leistungen rechtfertigte, keimt im Umfeld des 1. FC Nürnberg eine Torhüterdiskussion auf.
Bei den drei Gegentreffern in der zweiten Spielhälfte könnte man ihm vorwerfen dass er den Distanzschuss zum 1:3 nicht hält, was er wohl aber auch nicht muss. Auch dass er sich den leicht abgefälschten Freistoß selbst in die Maschen bugsiert und dass er beim letzten Hannoveraner Treffer doch das kurze Eck schließen muss. Die Vorwürfe sind nicht unberechtigt, aber dennoch zu kurz gedacht, um Christian Mathenias Leistung am Sonntag (Nordbayern-Note 5) zu bewerten.
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Es dürfte unumstritten sein, dass der vierte Gegentreffer auf die Kappe des Schlussmanns geht, wenngleich die kaltnasse Witterung sowie Manuel Schäfflers leichtes Abfälschen des Balls das beidhändige Wegfausten des Spielgeräts für Mathenia erschwerten. Die alleinige Schuld an dem Treffer trägt der Torhüter nicht: Den Freistoß verursachte Johannes Geis recht ungestüm, als er um einen Distanzversuch zu blocken seinem Kontrahenten in die Füße rauschte.
Und auch bei den anderen beiden Treffern des zweiten Durchgangs ist Mathenia zwar Teil, aber nur Ende der Fehlerkette, offenbarten seine Vorderleute, die Nürnberger Hintermannschaft, doch erneut Mängel im Defensivverhalten: Beim fünften Treffer kommt der Stürmer sträflich frei zum Abschluss, den er in das kurze Eck setzt. Das 1:3 erinnerte traumatisch an Havard Nielsens Treffer zur zwischenzeitlichen Führung des Kleeblatts im Derby. Über links kam der Ball zum späteren Torschützen, der relativ unbedrängt nach innen ziehen und dort relativ unbedrängt abziehen kann – nur war es diesmal eben nicht der Norweger, sondern Hannovers umtriebiger Japaner Genki Haraguchi.
Abermals mangelte es an Kompaktheit, die aber besonders für Johannes Geis, der sich in defensiven Zweikämpfen zuletzt gesteigert hatte, unabdingbar ist, um in defensive Zweikämpfe zu kommen. Dass auch der ballnächste Nürnberger, der agile Fabian Nürnberger, nicht mehr annähernd Zugriff auf den knapp vier Sekunden lang ballführenden Hannoveraner bekam, kann durchaus als Indiz einer klar unzureichenden Kompaktheit im defensiven Zentrum gewertet werden. Entsprechend bemängelte FCN-Cheftrainer Robert Klauß das Nürnberger Abwehrverhalten - ihn ärgerte "wie wir verteidigen, die einfachen Zweikämpfe verlieren, eine schlechte Zweikampfquote haben und dass wir uns nicht durchsetzen in den Duellen".
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Die Aktion war also schlecht verteidigt, der Schuss gut, das Geläuf nass, der Ball aber nicht unhaltbar - oder doch? Als Torhüter, der regelmäßig die "Unhaltbaren" hält, präsentierte sich der gebürtige Mainzer Mathenia in seinen bisher zweieinhalb Jahren am Neuen Zabo - abseits von formidablen Ausnahmen bei Nürnbergs Bundesliga-Intermezzo - allerdings ohnehin selten. Er ist nicht der Typ Schlussmann, der von Partie zu Partie oder teilweise innerhalb von wenigen Minuten zwischen Genie und Wahnsinn pendelt, vielmehr ist er der Kategorie der Torhüter zuzuordnen, die meist das parieren, was sie parieren müssen, und manchmal (wie eben gegen Hannover) auch ein bisschen weniger. Das legt zumindest ein Blick auf Mathenias Leistungen in der Hinrunde der laufenden Saison nahe: Mit Ausnahme des Duells mit den Niedersachsen pendelten seine kicker-Noten zwischen 3,5 und 2,0. Bei keinem Nürnberger, der in mindestens sechs Spielen benotet wurde, ist die Schwankung in den Leistungen geringer, bei keinem Nürnberger ist die Differenz zwischen der besten und der schwächsten Note geringer - und kein Nürnberger weist einen besseren Notenschnitt auf als der Torwart (3,09).
Die Bezeichnung der "Achterbahnfahrt", die Mathenia für das Duell mit der Kocak-Elf fand, trifft somit keinesfalls auf seine persönliche Leistung über die bisher 17 Zweitliga-Partien der laufenden Spielzeit zu. Und eigentlich auch nicht auf das Spiel, führte die Rallye doch überwiegend bergab und nur selten und kurzzeitig nach oben. Der Club wäre "in den entscheidenden Aktionen zu nachlässig" gewesen, analysierte Mathenia die Partie, in der der Club auf dem Papier in vielen Statistiken überlegen und auf dem Platz letztlich in allen Belangen unterlegen war. Einer Partie, in der ein Torwart überragte und sein Pendant zum ersten Mal in dieser Saison eine unglückliche Figur abgab. Eine Partie, die sowohl für den Schlussmann als auch für das gesamte Team, so hofft man in Nürnberg, ein Ausrutscher war.
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"Sehr enttäuscht und angefressen" war Mathenia und seine Mannen nach dem Spiel – aber: "Das Gute an der englischen Woche ist, dass wir es in wenigen Tagen am Mittwoch besser machen können", befand der Torhüter, ehe sein Team sich in der anstehenden englischen Woche in Regensburg um Wiedergutmachung bemühen möchte. Um es in Worten des uruguayischen Journalisten Galeano auszudrücken: "Das Beste im Leben" - oder zumindest die Chance, es besser zu machen - "wartet immer hinter der nächsten Ecke".
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