Von Nürnberg nach Dortmund

„Absurdes Flug-Hopping“: Flugzeug fliegt für DFB-Team mehrmals leer durchs Land

Sara Denndorf

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1.7.2024, 16:37 Uhr
Die deutsche Nationalmannschaft um Antonio Rüdiger und Jamal Musiala reiste mit dem Flugzeug von Nürnberg nach Dortmund.

© Daniel Karmann/dpa Die deutsche Nationalmannschaft um Antonio Rüdiger und Jamal Musiala reiste mit dem Flugzeug von Nürnberg nach Dortmund.

Die K.O.-Spiele eines Turniers haben ihre eigenen Gesetze – und heben sich demnach auch oftmals von den Vorrundenspielen ab. Das gilt auch für die deutsche Nationalmannschaft: Erstmals in diesem Turnier nahm Bundestrainer Julian Nagelsmann vor dem Achtelfinale personelle Wechsel in der Startelf vor. Und erstmals in diesem Turnier nahm die deutsche Nationalmannschaft vor dem Achtelfinale nicht den Bus, sondern das Flugzeug und erntete dafür heftige Kritik – aus zweierlei Gründen.

Empörung um DFB-Flug nach Dortmund

Erstens bemängeln Umweltschützer die grundsätzliche Entscheidung des Deutschen Fußball-Bund, zum Achtelfinale in Dortmund mit dem Flugzeug anzureisen. Die Strecke vom Adidas HomeGround in Herzogenaurach bis zum Signal-Iduna-Park beträgt auf Landwegen rund 420 Kilometer und wäre laut "Google Maps" mit dem Bus in viereinhalb Stunden, mit dem Zug ab Nürnberg in ebenfalls unter fünf Stunden abgefahren.

Stattdessen entschied sich der Verband für den Luftweg, der nach Angaben des "Deutschlandfunk" 36 Minuten andauerte. Barbara Metz erkennt eine verpasste Chance, gegenüber dem "Deutschlandfunk" erklärte die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe: "Natürlich ist es so, dass die deutsche Mannschaft eine Vorbildfunktion hat. Das ist ein Riesenhebel rein in unsere Gesellschaft. Und das macht natürlich was, wenn die sagen könnten: Wir haben komplett auf Flüge verzichtet."

Und zweitens – und das ist der weitaus folgenschwerere Aspekt dieser Causa – führte die Entscheidung des DFB, nach Dortmund und nach dem Spiel wieder zurück nach Franken zu fliegen, nicht etwa zu zwei Flügen, sondern zu sechs Strecken. Denn: Die gecharterte Maschine ist quasi hauptberuflich nicht für die deutsche Nationalmannschaft zuständig, sondern fungiert als Linienflugzeug der Lufthansa ab dem Standort München. Diese Konstellation führte laut Recherchen des "Spiegel" zu einer Kaskade an Zubringerflügen: Wie Lufthansa auf Anfrage des Magazins bestätigte, musste der entsprechende Airbus A319 vier Strecken ohne Passagiere absolvieren.

Konkret flog die Maschine am Freitag von der bayerischen Landeshauptstadt leer nach Nürnberg, um dort die Nationalmannschaft einzusammeln und in gut einer halben Stunde nach Dortmund zu befördern. Noch am selben Tag flog der Airbus zurück nach München, ehe er am Samstag einen Linienflug nach Neapel und zurück absolvierte. Anschließend führte die DFB-Odysee das abermals leere Flugzeug erneut nach Dortmund, mit der Nationalmannschaft dann zurück nach Nürnberg und dann wieder ohne Passagiere an den Hauptstandort München. Insgesamt sechs Flüge, darunter vier Flüge ohne Passagiere, und eine zurückgelegte Strecke von rund 1.800 Kilometern stehen nach drei Tagen letztlich zu Buche. Das Problem: Bei Kurzstreckenflügen werden im Verhältnis zur Streckenlänge relativ viele Treibhausgase ausgestoßen, da das Flugzeug laut dem "RND" anteilig viel Zeit in energieintensiven Flugphasen verbringt.

Entsprechend äußerten diverse Umweltschützer Kritik: "Der DFB inszeniert ein absurdes Flug-Hopping für die Nationalmannschaft und verspielt mit dieser ganzen Reihe an Ultrakurzflügen jeden Nachhaltigkeitsanspruch der EM", wird Marion Tiemann, Verkehrsexpertin von Greenpeace, von "NTV" zitiert. "Die Fans sollen mit Bus und Bahn anreisen, für die Nationalelf aber lässt der DFB einen Flieger gleich mehrmals leer durch Deutschland fliegen. Nach den katastrophalen Überschwemmungen der vergangenen Wochen gehören solche extrem klimaschädlichen Kurzflüge verboten - der DFB will sie offenbar wieder salonfähig machen."

"Nachhaltigste Europameisterschaft aller Zeiten"?

Zur Wahrheit gehört aber auch: Die deutsche Nationalmannschaft ist bei der "nachhaltigsten Europameisterschaft aller Zeiten", welche die Organisatoren versprochen hatten, weder der einzige noch der schlimmste Klimasünder. In der Gruppenphase absolvierte die Mannschaft bekanntlich sämtliche Strecken nach München, Stuttgart und Frankfurt mit dem Bus – und hatte auch ihr Quartier aus strategischen Gründen am günstig gelegenen Standort Herzogenaurach bezogen.

Auch die Schweizer suchten in der Gruppenphase einen möglichst ökologischen Weg und reisten mit der Bahn zu ihren Partien. Adrian Arnold, der Mediendirektor des Schweizer Fußballverbandes, lobte im "Deutschlandfunk" die Deutsche Bahn: "Die Bahn ist sehr komfortabel, wir haben sehr viel Beinfreiheit für die Spieler, es ist ökologisch nachhaltig." Abgesehen von einer kurzen Verspätung von rund 25 Minuten habe alles einwandfrei funktioniert. Die Eidgenossen, welche gegen ein desolates Italien überraschend ins Viertelfinale eingezogen sind, zählen zu einem Sextett an Nationalteams, das bislang auf die Bahn setzte.

Der "Deutschlandfunk" ermittelte in einer Auswertung der Reisebewegungen bei der Europameisterschaft, welche Fortbewegungsmittel die Mannschaften in der Vorrunde wählten: Der Bus steht mit 61,5 Prozent am höchsten im Kurs. In 25,9 Prozent der Fälle entschieden sich die Mannschaften für das Flugzeug, die Bahn bleibt mit nur 12,6 Prozent abgeschlagen auf dem letzten Rang. Vergleichen mit der Europameisterschaft 2016, der letzten EM, welche in einem einzigen Land stattgefunden hat, hat sich die Anzahl der Flüge schon deutlich reduziert: Bei dem Turnier in Frankreich lag der Anteil der Flugreisen bei 75 Prozent.

Aber: Der Wert ist noch immer hoch – und insbesondere Kurzstrecken fallen besonders ins Gewicht. Beispielsweise der kommende Viertelfinal-Gegner aus Spanien ist zu all seinen Gruppenspielen geflogen. Die türkische Nationalmannschaft sorgte zudem für große Empörung, als sie die 150 Kilometer lange Strecke zwischen Hannover und Hamburg mit dem Flugzeug in 25 Minuten zurücklegte, obwohl zahlreiche Direktverbindungen der Bahn bestehen.

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