Qual der Wahl im Angriff

Nicht mehr als ein Joker? Warum Niclas Füllkrug wohl auch gegen Dänemark auf der Bank sitzen wird

Johannes Lenz

Nordbayern-Redaktion

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28.6.2024, 17:59 Uhr
Havertz geht, Füllkrug kommt: bislang das gängige Bild bei dieser EM.

© IMAGO/Jan Huebner/IMAGO/Jan Huebner Havertz geht, Füllkrug kommt: bislang das gängige Bild bei dieser EM.

Am Samstagabend trifft die deutsche Nationalmannschaft im Achtelfinale der EM auf Dänemark. Gegen den Europameister von 1992 wird Julian Nagelsmann erstmals im Turnier seine Startaufstellung umstellen müssen - auf mindestens einer Position: Jonathan Tah fehlt aufgrund einer Gelbsperre, für ihn wird Nico Schlotterbeck in die Mannschaft rücken. Ob Antonio Rüdiger rechtzeitig fit wird, ist noch nicht sicher - über seinen Einsatz wird wohl erst kurz vor dem Spiel entschieden.

So viel zu den Änderungen, die der Bundestrainer vornehmen muss. Doch es gibt natürlich auch Optionen für die Startelf, die Nagelsmann ziehen kann - eine davon ist Niclas Füllkrug. Der Mittelstürmer hat Deutschland im Spiel gegen die Schweiz den späten Ausgleich beschert. Obwohl der Dortmunder bislang immer nur von der Bank kam, gelangen ihm bereits zwei Treffer im laufenden Turnier. Kai Havertz, bislang im Sturmzentrum als Stammspieler gesetzt, hat erst einmal getroffen. Nicht wenige Menschen stellen sich deshalb die Frage: Wieso bringt Nagelsmann Füllkrug nicht von Anfang an?

Zwei grundverschiedene Spielertypen - Statistik bestätigt "Klischees"

Bei beiden Angreifern handelt es sich um komplett unterschiedliche Spielertypen, weshalb sich die Frage "Füllkrug oder Havertz?" etwas polemisch auf einfache Schlagworte herunterbrechen lässt: Wendigkeit oder Wucht? Spielwitz oder Präsenz im Strafraum? Eleganz oder Zweikampfhärte? Julian Nagelsmann steht bei der Wahl seines Mittelstürmers demnach vor einer fast schon fußballphilosophischen Frage: Bevorzugt er eine wuchtige Anspielstation mit hoher Strafraumpräsenz? Oder einen facettenreichen Offensivspieler, der viel für das Spiel macht, dafür aber weniger Torgefahr versprüht?

Blickt man auf die Statistiken des bisherigen Turniers, bestätigen sich die "Klischees" über Havertz als mitspielende Spitze und Füllkrug als klassischen Strafraumstürmer. Havertz war im Schnitt etwa alle zwei Minuten am Ball und damit rund doppelt so häufig wie Niclas Füllkrug (durchschnittlich ein Ballkontakt in vier Minuten Spielzeit). Zudem hat Havertz deutlich mehr Pässe gespielt - im Durchschnitt alle 3,3 Minuten einen. Füllkrug hingegen spielte nur alle 7,6 Minuten einen Pass. Diese Statistiken belegen: Havertz ist deutlich stärker ins deutsche Spiel eingebunden als Füllkrug.

Füllkrug wiederum besticht durch seine körperliche Präsenz: 67 Prozent seiner Zweikämpfe konnte der kantige Angreifer gewinnen, Havertz konnte nur 39 Prozent für sich entscheiden. In der Luft kommt Füllkrug sogar auf eine perfekte Zweikampfquote von 100 Prozent, Havertz gewann "nur" 56 Prozent seiner Luftzweikämpfe. Und auch die Effektivität vor dem Tor spricht für den Dortmunder: Füllkrug benötigte für seine beiden Treffer nur 76 Minuten Spielzeit, im Schnitt trifft er demnach alle 38 Minuten - häufiger als einmal pro Halbzeit. Havertz gelang erst ein Tor, obwohl er fast dreimal so lange auf dem Platz stand wie Füllkrug.

Auch der Gegner spricht für Havertz - Füllkrug nimmt Rolle an

Entscheidend bei der Frage, welcher der beiden Stürmer von Beginn an spielt, ist natürlich auch der Gegner. Und der hat es - zumindest in der Defensive - in sich, auf die deutsche Offensive kommt eine im wahrsten Sinne des Wortes große Aufgabe zu: In der Dreier-Abwehrreihe befinden sich mit Joachim Andersen (1,92 Meter) und Jannik Vestergaard (1,99 Meter) gleich zwei Spieler, die Niclas Füllkrug (1,89 Meter) mehr oder weniger deutlich überragen, Andreas Christensen (1,87 Meter) befindet sich zumindest auf Augenhöhe mit "Lücke".

Zumindest körperlich haben die dänischen Abwehrspieler beste Voraussetzungen, um Füllkrugs Wucht standzuhalten und den bulligen Angreifer so zu neutralisieren. Deshalb sind gegen die Dänen wohl vermehrt spielerische Lösungen gefragt - was klar für Kai Havertz sprechen würde. Auch, weil der Stürmer im Dienste Arsenal Londons über die Fähigkeit verfügt, durch Einzelaktionen für Gefahr zu sorgen. In Eins-gegen-Eins-Situationen hat sich Havertz bisher als klarer Sieger im Vergleich mit Füllkrug entpuppt: Die Hälfte seiner vier Dribblings ist geglückt, Füllkrug setzte bislang nur einmal zum Dribbling an - ohne Erfolg.

Viel spricht demnach dafür, dass Nagelsmann auch gegen Dänemark auf Kai Havertz in der Startelf setzen wird. Schließlich steht der spielerische Ansatz unter Nagelsmann generell im Fokus, besonders gegen tief stehende Gegner wie die Dänen. Die Option, bei Bedarf mehr Strafraumpräsenz und Körperlichkeit zu schaffen, hat der Bundestrainer auch noch im Laufe des Spiels. Sollte Füllkrug erneut nur die Jokerrolle bleiben, könnte er selbst das verkraften: "Ich würde es sofort unterschreiben, jetzt Europameister zu werden, auch wenn ich weiter von der Bank komme", sagte der Stürmer im Interview mit Magenta-TV.

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